Ulm: „Die lustige Witwe“

Premiere: 6.11.2014

Hommage an die Fernseh-Operette der 1960er Jahre

Man muss es schon sagen: Lehars Erfolgsoperette „Die lustige Witwe“ hat derzeit wieder Hochkonjunktur. Es sind schon einige Theater, die das heitere Werk diese Saison wieder auf den Spielplan gesetzt haben. Der Grund dafür ist leicht ersichtlich. In unsere von Finanz- und Eurokrise erschütterte Zeit passt die Geschichte um die millionenschwere Witwe, deren Zaster ein ganzes Land vor dem Bankrott retten soll, ganz hervorragend. Auch das Theater Ulm hat das Stück jetzt neu herausgebracht.

Oxana Arkaeva (Hanna), Chor

Gemessen an dem begeisterten Schlussapplaus des zahlreich erschienenen Publikums war die Premiere ein voller Erfolg. Indes kam die Aufführung über solides Mittelmaß nicht hinaus. Sie wirkte in jeder Beziehung noch steigerungsfähig. Das begann schon bei Michael Weiger am Pult, der zusammen mit dem Philharmonischen Orchester Ulm Lehars Partitur nicht die Fetzigkeit und Schmissigkeit abgewinnen konnte, die eine gute Ausdeutung des Werkes im Regelfall erfordert. Trefflich gelangen Dirigent und Musiker dagegen die mehr gefühlvollen Stellen, die recht einfühlsam zu Gehör gebracht worden.

Tomasz Kaluzny (Danilo), Oxana Arkaeva (Hanna)

Richtig übergesprungen ist der sprichwörtliche Funke nur an zwei Stellen: Bei dem berühmten Couplet der Herrenliga im zweiten Akt „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ – hier hatten der Baron und Cascada auf einmal von den Noten her ihre Rollen getauscht – und bei der Grisetten-Szene, deren Schlussteil mehrfach wiederholt wurde und in den nach und nach alle Solisten einstimmten, obwohl ihnen der Komponist hier eigentlich Schweigen verordnet hatte. Auffallend war, dass sich die Pressereferentin Susanne Lemke und die Verwaltungsdirektorin Angela Weißhardt unter die von Angela C. Schuett in sündiges Rot gekleidete, durch einige Transvestiten verstärkte Damenschar – ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Geschlechter auch im Nachtlokal-Ambiente – gemischt hatten, die außerdem noch von Angela Barczyk, Sabine Kaminski, Lennard Lemke, Anne Platzdasch, Nora Rothfuchs, Angela C. Schuett und Thomas Schön gebildet wurde. Das war wirklich ein gelungener Regiegag.

Oxana Arkaeva (Hanna), Maria Rosendorfsky (Valencieene)

Diese vergnügliche Einlage war vom Szenischen her ein Höhepunkt von Benjamin Künzels Regiearbeit. Es brauchte einige Zeit, bis die Inszenierung nach einem eher lauen, etwas uninspirierten ersten Akt nach der Pause endlich an Elan zulegte und das viel Wortwitz aufweisende Geschehen zunehmend in die Gänge kam. Munterkeit und Ausgelassenheit der Szene hielten dann aber auch bis zum Ende an. Der Regisseur hat das Stück in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verlegt, mithin in eine Zeit, in der die leichte Muse in Deutschland nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Fernsehen einen der vorderen Plätze einnahm. Der Anspruch der Produktion besteht in einer Huldigung an dieses goldene Zeitalter der Unterhaltungsmusik, in dem auch die meisten Schallplattenaufnahmen des Genres entstanden.

Oxana Arkaeva (Hanna), Don Lee (Cascada), Alexander Schröder (st. Broche), Chor

Das Bühnenbild von Britta Lammers wird im ersten Akt von einer riesigen Freitreppe und einem die männliche Potenz auf die Schippe nehmenden goldenen Kunststoffstier dominiert. Über dem Ganzen schwebt – eine Hommage an ein ganz zentrales Requisit der Handlung – ein in fächerartige Segmente zerlegter und in verschiedenen Farben erstrahlender Halbkreis. Im zweiten und dritten Akt hat sich dieser gespaltene Kringel dem Erdboden angenähert und tritt in aufgerichteter Stellung an die Stelle des herkömmlichen Pavillions, den Künzel, von dem auch die gelungene Choreographie stammt, in seiner Interpretation ausspart. Seine Rechnung ist voll aufgegangen. Das Halbrund erwies sich als trefflicher Ort für das Rendezvous des zweiten Liebespaares, dessen Zeichnung neu und reichlich kurzweilig ausfiel. Valencienne legte manchmal ganz schön aggressive, zickige Züge an den Tag und Rosillon zeigte ganz deutlich, dass er von der schönen Baronin, deren Kleid zu Beginn hinten noch geöffnet war und den Blick auf ihren BH freigab, erotisch sehr erregt war. Im dritten Akt schließlich wartete der Regisseur mit dem alten Coup des Theaters auf dem Theater auf, das einen zentralen Bestandteil des von Hanna in ihrem Haus nachgebildeten Maxims darstellte. Den Lehren Brechts erweist Künzel seine Ehrerbietung, wenn er Danilo und später die Witwe auch mal im Zuschauerraum platziert. Köstlich war der Einfall, die Eifersüchteleien des Bogdanowitsch hier einer Frau zuzuordnen: Der arme Pritschitsch hatte unter seiner Gattin Praskowia ganz schön zu leiden.

Thorsten Sigurdsson (Rosillon), Maria Rosendorfsky (Valencienne)

Gemischte Gefühle hinterließen die gesanglichen Leistungen. Oxana Arkaeva gab darstellerisch eine sehr resolute, wahrlich nicht auf den Kopf gefallene Hanna Glawari. Ihr in Mittellage und Tiefe etwas herber Sopran erzielte im oberen Stimmbereich und an den Stellen, an denen er sich frei ausschwingen und in feine Piani übergehen konnte, seine stärksten Wirkungen. Leider machte sie am Ende des Vilja-Liedes um das hohe h, das man an dieser Stelle eigentlich von den meisten Rollenvertreterinnen hört, einen großen Bogen und transponierte es um eine Oktave nach unten. Es mag an der Indisposition, deretwegen er sich zu Beginn ansagen ließ, gelegen haben, dass Tomasz Kaluzny als Danilo an diesem Abend nicht in Bestform war und seinem an sich gut sitzenden Bariton nicht die Qualitäten abgewinnen konnte, die man sonst von ihm gewohnt ist. So hat er einige Spitzentöne um eine Oktave nach unten versetzt. Diese Vorgehensweise pflegte auch der im Übrigen über einen recht sonoren Bass verfügende Cascada von Don Lee. Ein noch recht jung und fesch aussehender Baron Mirko Zeta war Hans-Günther Dotzauer, der indes gesanglich mit seinem flachen, stark in der Maske sitzenden Tenor nicht überzeugen konnte. Recht dünnstimmig sang Thorsten Sigurdsson den Camille de Rosillon, wobei er einmal beim hohen b unnötigerweise die Fistelstimme bemühte, was inakzeptabel ist. Ebenfalls nur mit flachem Tenormaterial gesegnet präsentierte sich Alexander Schröders St. Brioche. Vokal unauffällig war der Pritschitsch von Girard Rhoden. Johanna Ewals als Praskowia und der Njegus von Joachim Pieczyk standen aufgrund ihrer köstlichen schauspielerischen Leistungen zurecht hoch in der Gunst des Publikums. Den Kromow gab J. Emanuel Pichler. Die beste Leistung des Abends erbrachte eindeutig Maria Rosendorfsky, die sich mit ihrem trefflich durchgebildeten, voll und rund klingenden lyrischen Sopran für die Valencienne als gute Besetzung erwies. Auch darstellerisch wurde sie ihrer Partie voll gerecht. Solide der von Hendrik Haas einstudierte Chor und Extrachor.

Ludwig Steinbach, 7.11.2014
Die Photos stammen von Martin Kaufhold