Würzburg: „Der Zigeunerbaron“

Premiere: 6.12.2014

Mit biederer Unterhaltung Chance vertan – aber musikalisch vortrefflich

Sie sollte eigentlich eine Oper werden: Strauß’ Erfolgsoperette „Der Zigeunerbaron“. Das Zeug dazu hätte das auf der Novelle „Saffi“ des ungarischen Dichters Mór Jókai – dieser zeigte zusammen mit seinem Schriftsteller-Kollegen Ignaz Schnitzer auch für das Textbuch verantwortlich – beruhende Stück durchaus gehabt. Schon das ungarische Sujet war damals, nicht lange nach dem historischen Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn, ungewöhnlich. Dass aktuelle politische Begebenheiten in ein Werk des Musiktheaters Eingang fanden, dürfte damals einmalig gewesen sein. Und viele der von Strauß tableauförmig gestalteten Ensembleszenen und Finales weisen deutlich in Richtung Oper. Darüber hinaus weist das Stück für eine Operette untypische, sehr ernste Untertöne auf.

Sonja Koppelhuber (Czipra), Paul McNamara (Barinkay),Karen Leiber (Saffi)

Leider gelang es Strauß nicht, den „Zigeunerbaron“ an der Wiener Hofoper zur Aufführung zu bringen, da Schnitzer diesen bereits vertraglich dem Theater an der Wien zugestanden hatte. Am 24.10.1885 fand dort die umjubelte Premiere statt, die für den damals bereits 60jährigen Komponisten zu einem der größten Triumphe seines an Erfolgen nicht gerade armen Lebens wurde. Der von ihm kreierte neue Operettentyp mit seiner Mischung aus tragischen und heiteren Aspekten wurde vom Publikum voll angenommen und akzeptiert. Der Siegeszug des Werkes war nun nicht mehr aufzuhalten. Indem er das Stück letzten Endes doch noch zu einer Operette umarbeitete, hatte Strauß aus der Not geschickt eine Tugend gemacht und damit u.a. den Weg für so manche der musikalischen Schöpfungen Lehars, die öfters traurig ausgingen, geebnet

Karen Leiber (Saffi)

Dass die Neuproduktion des „Zigeunerbarons“ am Mainfrankentheater Würzburg bei dem zahlreich erschienenen Publikum auf begeisterte Zustimmung stieß, ist in erster Linie den fast durchweg ausgezeichneten musikalischen und gesanglichen Leistungen zu verdanken. Sebastian Beckedorf ging an das Werk etwas anders heran, als man es von sonstigen Pultmeistern gewohnt ist. Bereits während des Vorspiels waren er und das prächtig aufspielende Philharmonische Orchester Würzburg um einen recht opernhaften Klang bemüht. Die ruhigen und bedächtigen langsamen Tempi bei gleichzeitig breitem Klang und hoher Ausdrucksintensität gemahnten ein wenig an die Aufnahmen Strauß’scher Walzer des legendären Hans Knappertsbusch – heute eine CD-Rarität! Das soll allerdings nicht heißen, dass das typisch Operettenhafte des Werkes zu kurz gekommen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Die mehr flotten, ausgelassenen Weisen wurden von Dirigent und Instrumentalisten in gleicher Weise versiert zur Geltung gebracht wie ausgelassene Walzerseligkeit. Was an diesem Abend aus dem Graben tönte, war ein gelungener Spagat zwischen opern- und operettenhaften Klängen.

Daniel Fiolka (Graf Homonay), Chor, Ballett

Leider hatte der Krankheitsteufel im Mainfrankentheater Einzug gehalten und sich ausgerechnet Paul McNamara, den Vertreter der Titelpartie, als Opfer ausgesucht. Obwohl er sich nach der Pause entschuldigen ließ, ist ihm eine ansprechende Leistung zu bescheinigen. Er kam als Barinkay insgesamt gut über die Runden und verlieh diesem sogar in indisponiertem Zustand mehr an trefflich fokussierter, heldentenoraler Stimmkraft als man es von anderen Rollenvertretern gewohnt ist. Es bleibt zu hoffen, dass er die mit ihm von der Regie her oft auf Tuchfühlung gehende Karen Leiber nicht angesteckt hat, die die Saffi getrost zu ihren besten Rollen zählen kann. Mit ihrem bestens sitzenden, prägnanten und farbenreichen dramatischen Sopran zog sie jedes Register dieser anspruchsvollen Partie, der sie auch darstellerisch voll entsprach. Dem Liebespaar in nichts nach stand Sonja Koppelhuber, die mit frischem, tiefgründigem Mezzosopran eine noch recht jugendliche Czipra sang. Aus der Rolle des Kálmán Zsupán machte Bryan Boyce mit einer ausgeprägten komödiantischen Ader und aufgewecktem Spiel ein wahres Kabinettstückchen. Auch gesanglich konnte er mit seinem geschmeidigen, solide verankerten Bass überzeugen. Eine Luxusbesetzung für die Arsena war Anja Gutgesell, die ihren Part gleich vielen anderen Vertreterinnen der Schweinezüchter-Tochter nicht dünn und kopfig sang, sondern mit bestens im Körper verankertem lyrischem Sopranmaterial aufwartete. Ihr Niveau erreichte Maximilian Argmanns Ottokar zwar nicht ganz. Er war mit seinem ordentlich gestützten Tenor aber ebenfalls recht solide. Gleichsam ein Bild von einem Mann, fesch und drahtig auftretend war Daniel Fiolka als Graf Homonay. Seine blendende Erscheinung ging mit der herrlichen, auf einer vorbildlichen Technik beruhenden vokalen Leistung eine vorzügliche Symbiose ein. Zweifelsfrei gehört der junge Bariton, der zudem über eine phantastische Höhe verfügt, zu den besten Kräften des Würzburger Theaters. Man möchte ihn gerne mal als Graf Danilo erleben. In dieser Rolle könnte er unübertrefflich sein. In ihrem Lied im ersten Akt setzte die Mirabella von Barbara Schöller noch auf einen mehr deklamatorischen Ton, fand aber zunehmend zu einer schön fundierten Gesangslinie. Tadellos gab Herbert Brand den Páli. Zumindest gesanglich jenseits von Gut und Böse bewegte sich Kai Christian Moritz in der Partie des Conte Carnero, den er schauspielerisch sehr karikativ anlegte.

Daniel Fiolka (Graf Homonay), Karen Leiber (Saffi), Sonja Koppelhuber (Czipra), Paul McNamara (Barinkay)

Nicht über Mittelmaß hinaus kam die Inszenierung von Uwe Drechsel im Bühnenbild von Bernd Franke und den Kostümen von Götz Lanzelot Fischer. Es ist ein einfach gestricktes Ambiente, in dem sich die Handlung abspielt. Der erste Akt wird links von dem Herrenhaus Zsupáns, rechts von Czipras und Saffis nicht gerade elegantem Wohnschuppen beherrscht. Im Hintergrund ragen Reste des für die Handlung wichtigen verfallenen Turms auf, der im zweiten Akt gedreht und in den Vordergrund gerückt wird. Bei Drechsel wird der Schatz erst auf Anweisung Czipras von den Zigeunern in dem Turm deponiert, um von Barinkay dann auch leicht gefunden zu werden. Der Regisseur deutet die Handlung als Wunschtraum des jungen Gutsbesitzers, der während des Vorspiels von dem Wirt Zsupan aus dessen Kneipe geworfen wird. Still an der rechten Seite der Bühne auf einer Tonne sitzend – hier handelt es sich um ein Double – visualisiert er im Geiste das Geschehen, in dem der Kneipenwirt zum Schweinezüchter mutiert und sich mit Saffi sein Liebestraum erfüllt. So weit so gut.

Zwar gibt es in der Inszenierung durchaus einige ansprechende, heitere Einfälle, was sicher auch angebracht war. Indes geht Drechsel zu traditionalistisch an die Sache heran und bleibt mit seiner Regiearbeit ziemlich an der Oberfläche. Die heutigen sehr fragwürdigen Verhältnisse in Ungarn, das erneute Wiederaufleben von Hass gegen Roma dort und allgemein die stückimmanente fragwürdige Kriegsbegeisterung hätten eine sehr viel modernere und gehaltvollere Herangehensweise der Regie an das Stück möglich gemacht. Dessen derzeit wieder hoch aktueller Subtext interessiert den Regisseur indes überhaupt nicht. Anstatt auf eine politisch geprägte, brisante Lesart zu setzen, geht er auf Nummer Sicher und legt den Focus auf brave und biedere Unterhaltung ohne nennenswerten Tiefgang. Hier wurde eine Chance vertan. Schade!

Ludwig Steinbach, 6.12.2014
Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg