Paris: Napoleons Krönungsmesse (Giovanni Paisiello)

Konzert am 18.06.2021

Wiederentdeckung im „Napoleon-Jahr“ einer unerwartet wenig brillanten Messe für einen selbstgekrönten Kaiser, der viele Komponisten inspirierte

Jacques-Louis David, die Kaiserkrönung Napoleons (auf dem Bild eigentlich Joséphines) in der Notre-Dame am 2. Dezember 1804. Wo man auf dem berühmten Gemälde die Tribünen sieht, befanden sich in Wirklichkeit 300 Musiker. Denn die Tribünen waren ein „Bildbefehl“ Napoleons: weil seine Mutter geweigert hatte an dieser „Farce“ teilzunehmen, ließ er sie als „Strafe“ überdeutlich in die Bildmitte setzen. © Musée du Louvre, Paris

Napoleone Buonaparte, 1769 in Ajaccio auf Korsika geboren, kurz nachdem Genua die arme und rebellische Insel an König Ludwig XV. verkauft hatte, scheint einige Widersacher im Himmel zu haben. Denn immer wenn Frankreich groß ansetzen will, um seinen Volksheld zu feiern, geht etwas schief. Die Feierlichkeiten zu seinem 200. Geburtstag wurden gestört durch die Nachwehen der Mai-1968-„Revolution“. 2004 annullierte Jacques Chirac die geplante Rekonstruktion von Napoleons Kaiserkrönung, womit die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Schlacht von Austerlitz 2005 auch ins Wasser fielen. Für den 200. Todestag hatte Emmanuel Macron das Jahr 2021 im Vorfeld zur „Année Napoléon“ ausgerufen – dies auch in eigener Sache, da er sich selbst gerne mit Napoleon vergleichen lässt: „ein Arbeitstier, das nur 3 Stunden pro Nacht schläft, während seine ältere Gattin elegant über das Protokoll wacht“, so wie es seine Pressesprecher schreiben, die auffällig viele Fotos des Präsidenten mit einer Napoleon-Büste veröffentlicht haben. Doch der Vergleich ging nach hinten los, denn am 5. Mai 2021, dem 200. Todestag des „Helden der Nation“, als Macron eine große Napoleon-Rede im Fernsehen hielt, veröffentlichten mehrere französische Zeitungen genau diese Fotos auf ihrer Vorderseite mit darunter Hinweise auf die gleiche Körpergröße der beiden, ihren Hang zur Megalomanie und ihre Vorliebe für das Wort „Krieg“. Am gleichen Tag musste das einzige Jubiläumskonzert, in der Chapelle Impériale, der imposanten Grabkapelle der Bonapartes im Palais Fesch in Ajaccio, quasi abgesagt werden: wegen Corona konnte es nur als Stream ohne Publikum stattfinden mit nur noch 10 maskierten Musikern.

Jacques-Louis David, Jacques-Louis David „Bonaparte, Premier consul, franchissant le Grand-Saint-Bernard le 20 mai 1800“. Dieses Bild hatten Beethoven, Heine und Schumann von ihm: heldenhafter als Hannibal und Karl der Große (deren Namen unter den Pferdehufen stehen). In Wirklichkeit ritt Napoleon auf einem Maultier über die Alpen, in viele Decken gehüllt, denn er war ein absoluter „Kältefritze“.

© RMN-Grand Palais, Ausstellung „Napoléon“ in der Grande Halle de la Villette in Paris

Einfluss auf deutsche/österreichische Komponisten

Dies ist besonders schade, denn dieses Jubiläumsjahr wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich mehr in das hochinteressante Thema „Napoleon und die Musik“ zu vertiefen und in seinen Einfluss auf die Musik. Dazu scheint erstaunlich wenig geschrieben zu sein (auf Französisch nicht einmal 5 nennenswerte Bücher, Doktorarbeiten und Artikel). Dabei ist Napoleons Einfluss auf die Kunst und sein Nachleben in der Kunst unbestreitbar (diesen Sommer Thema einer Ausstellung im Palais Fesch in Ajaccio, in der Musik auch eine große Rolle spielt). Um nur einige deutsche/österreichische Vorbilder zu nennen: Beethoven war ein ausgesprochener Napoleon-Verehrer und widmete ihm seine dritte Sinfonie „Eroica“, die ursprünglich „Bonaparte“ heißen sollte – bis er angeblich bei der Nachricht von Napoleons Kaiserkrönung diese Widmung durchstrich. (Ein wichtigerer Grund könnte gewesen sein, dass Fürst Lobkowitz ihm zeitgleich den ansehnlichen Betrag von 400 Gulden bot für das alleinige Aufführungsrecht und so auch die Widmung bekam). Heinrich Heine war ein begeisterter Verehrer Napoleons – man lese nur in seinen „Reisebildern“ sein erstaunlich selten zitiertes „Ideen. Das Buch Le Grand“. Als Heine 1821 von Napoleons Tod auf St. Helena erfuhr, schrieb er „Die Grenadiere“, die Schumann 1840 vertonte als „Die beiden Grenadiere“ – genau an dem Tag als er in der Zeitung las, dass Napoleons Leichnam feierlich im Invalidendom in Paris beigesetzt werden sollte. Robert Schumann hatte seit Kindesalter eine wirkliche Napoleon-Verehrung und schrieb mit 15 an seine Mutter, dass über seinem Bett im Pensionat ein Bild des Vaters und von Napoleon hing. Lustigerweise hat Richard Wagner 1840 zeitgleich mit Schumann Heines Grenadiere vertont, aber auf Französisch als „Les deux grenadiers“. Das scheint weniger mit einer Napoleon Verehrung zu tun gehabt zu haben, als mit Wagners Opportunismus: Er befand sich zu dem Zeitpunkt in Paris und wollte Heines Beziehungen benutzen. So schrieb er amüsiert an Schumann: „Ich höre, daß Sie die Heineschen Grenadiere componiert haben, und daß zum Schluß die ‚Marseillaise‘ darin vorkommt. Vorigen Winter habe ich sie auch componiert, und zum Schluß auch die ‚Marseillaise‘ angebracht. Das hat etwas zu bedeuten! Meine Grenadiere habe ich sogleich auf eine französische Übersetzung componiert, die ich mir hier machen ließ und mit der Heine zufrieden war. Sie wurde hie und da gesungen, und haben mir den Orden der Ehrenlegion und 20 000 Francs jährliche Pension eingebracht, die ich direkt aus Louis Philippes Privatkasse beziehe.“ So bekam Richard Wagner, wie Goethe, als einer der wenigen Deutschen den von Napoleon gestifteten Orden der „Légion d’honneur“.

François Gérard, „Napoléon 1er, Empereur des français“ (1808), das offizielle „Kaiserporträt“, das vielen seiner früheren Verehrer missfiel. Napoleon hat selbst wohl die römische Krone aber nie den Hermelinmantel getragen, weil der 2.5m lange Mantel dem 1.68m großen Mann „klein machte“.

© RMN-Grand Palais, Ausstellung „Napoléon“ in der Grande Halle de la Villette in Paris

Auf der Homepage der Fondation Napoléon findet man beinahe 100 Events und Ausstellungen für das „Napoleon-Jahr“. Die größte ist in Paris in der Grande Halle de la Villette (bis 19. September, www.expo-napoleon.fr). Musik spielt leider kaum eine Rolle – wenn man Militärmusik für Blaskapellen nicht mitzählt und die in Frankreich sehr bekannten Chansons von Pierre-Jean de Béranger (1780-1857). Die anscheinend einzige Ausnahme ist die oben erwähnte Ausstellung „Napoléon, légendes“ in Ajaccio (mit im Katalog mehrere Essais von Maria Teresa Caracciolo zum Thema Napoleon und Musik). So kann man dem Palazzetto Bru Zane nicht dankbar genug sein, dass es in der Coronapause weitergearbeitet hat und eine ansehnliche Anzahl neu gefundene Partituren und Dokumente auf seiner Homepage bruzanemediabase.com veröffentlicht hat. Dazu gehört die Spielversion der „Messe pour le sacre de Napoléon“ von Giovanni Paisiello für die Kaiserkrönung Napoleons (und Joséphines) in der Notre-Dame in Paris am 2. Dezember 1804. Sie weicht erheblich ab von der handgeschriebenen Partitur, die sich in den Archiven des Konservatoriums in Neapel befindet (wo Riccardo Muti in den letzten Jahren so viel Interessantes gefunden hat). Für den megalomanen Napoleon konnte es nie groß genug sein und auf seine persönliche Weisung – er griff gerne in Partituren ein, weswegen sein „Lieblingskomponist“ Giovanni Paisiello bald seinen hochbezahlten Posten in Paris wieder aufgab – wurde die Krönungsmesse mächtig aufgebauscht: Aus drei Solisten wurden zehn, aus einem Orchester zwei und auch die Chormassen wurden verdoppelt, bis sich schlussendlich 300 Musiker in den beiden Seitenschiffen befanden (unter der Leitung von Cherubini und Kreutzer) und auch noch eine militärische Blaskapelle für das Finale – mehr ging wirklich nicht rein. Ein Konzert mit 300 Musikern wäre zurzeit in Frankreich undenkbar, die Notre-Dame wird ab 2024 wieder zugänglich, so entschied man sich für eine weniger groß angelegte Aufführung mit fünf Solisten, einem Chor und einem Orchester im Théâtre des Champs-Elysées, das Dankensweise auch solche Raritäten ins Konzertprogramm nimmt.

Julien Chauvin, ein habitué des Palazzetto Bru Zane, dirigierte mit Verve und Feinheit sein Orchester auf historischen Instrumenten Le Concert de la Loge. Dem war auf der Vorderbühne eine historische Harfe von Joséphine beigefügt worden, da die Kaiserin eine Harfenistin war (mehr aus aristokratischer Manier, in Folge von Königin Marie-Antoinette, die die Harfe in die französischen Hofkreise eingeführt hat). Die Krönungsmesse entpuppte sich als erstaunlich wenig feierlich und legt die Vermutung nahe, dass Paisiello eine Messe, die er schon in einem Schublade liegen hatte, nach Paris geschickt hat. Und eine größere Besetzung ändert da dann auch nichts an dem Inhalt. Die Musik ist noch aus dem 18e Jahrhundert, im Stil von Haydn – da wäre Beethoven doch viel angebrachter gewesen! Und über den Text der Messe musste man lächeln: von Anfang bis Ende „Kyrie eleison“ (Herr erbarme Dich), „Miserere“ (Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen) und immer wieder „peccata mundi“ (die Sünden der Welt). – Für Kaiser Napoleon, der mit Religion nichts am Hut hatte (außer wenn es um Macht ging). Der Papst, den man gezwungen hatte nach Paris zu kommen um diese Krönung zu vollziehen, wird wahrscheinlich etwas gelächelt haben. Das taten wir nun auch. Da konnten sich die fünf Solisten, die auf einer Empore hinter dem Orchester standen, noch so ins Zeug legen: Florie Valiquette und Chantal Santon Jeffery (Soprane), Eléonore Pancrazi (Mezzo), Sahy Ratia (Tenor), Thomas Dolié (Bariton), verdoppelt durch fünf Sängern des Choeur de chambre de Namur, der übrigens hervorragend nuanciert sang (ohne Gesichtsmaske, durch Plexiglaswände voneinander getrennt, denn für belgische Chöre gelten andere Regeln als für französische). Am meisten gefiel uns das Harfensolo im Credo – die alte Harfe klang erstaunlich „männlich“. Das war wahrscheinlich die einzige Musik, die Paisiello direkt für die Zeremonie komponiert hat, als hommage an Joséphine, die – im Gegensatz ihren Mann – bei den damaligen Musikern sehr beliebt war.

Mozarts „Requiem“ in der ersten Pariser Fassung

Als Zugabe gab es Mozarts „Requiem“, so wie es kurz nach der Kaiserkrönung am 21. Dezember 1804 zum ersten Mal in Paris gespielt wurde. Interessanterweise nicht in der ursprünglichen, heute überall gespielten Fassung aus 1793, sondern mit einigen „aménagements“ für Paris 1804. So wurde dem „Introït“ noch ein anderes vorangestellt aus dem Requiem von Niccolo Jommelli (1756), das die Pariser Musikliebhaber damals schon kannten & liebten. Schöne Musik (man würde dieses „Requiem“ gerne öfters hören!) und funktionierte erstaunlich gut. Bei den ersten Sätzen von Mozart „Requiem Aeternam“ war erst einmal Umhören angesagt. Das klang alles so viel weniger brillant als wir es heute im Ohr haben, beinahe als ob die Bläser zu tief spielen würden. Das lag aber nicht an ihrer Intonation, sondern ausschließlich an der Klangfarbe. Denn 1804 – Alexandre Dratwicki, der wissenschaftliche Direktor des Palazzetto, ist in solchen Sachen peinlich genau – war die Bläserbesetzung anders, weil man dann z.B. in Paris (noch) keine Bassethörner finden konnte. Doch das ist eine ganz eigene Geschichte, die mit Napoleon nichts zu tun hat. Oder nur entfernt, denn für die feierliche Beisetzung seines Leichnams im Invalidendom 1840, wurde genau dieses Requiem gespielt (inzwischen in der Wiener Fassung). Zur Verzweiflung von Hector Berlioz, der in Erwartung dies Anlasses eine große Kantate geschrieben hatte: „Le Cinq Mai, chant sur la mort de l’Empereur Napoléon“ [Der 5. Mai, Gesang zum Tode des Kaisers Napoleon]. Weil Berlioz sich mal wieder in Paris verkracht hatte, wurde seine Kantate hauptsächlich in Deutschland gespielt (Dresden, Hamburg, Darmstadt, Hannover etc) und auch dort verlegt, und assoziierte man in Paris Napoleon mit Mozart, obwohl „Wolferl“ den Namen Napoleon wahrscheinlich gar nicht gekannt hat. Ein interessantes Thema!

Waldemar Kamer

Weitere Infos: www.bruzanemediabase.com