Budapest: „Die Spinnstube“

(Székely fonó)

am 28.5.2017

(Premiere am 1.10.2016)

Eine Volksliedsammlung stimmig in Szene gesetzt.

Bei einer Dauer von etwa 80 Minuten sieht man sich an der Ungarischen Staatsoper natürlich mit dem Problem konfrontiert, womit man diese „Oper“ kombinieren kann. In früheren Jahren wählte man dafür entweder ein ungarisches Ballett von Bartók oder eine andere einaktige Oper. Für diese neue Produktion aber beschritt man – wohl aus Kostengründen – völlig neue Wege, indem man das Duna Art Ensemble, eine ungarische Volkstanzgruppe, unter der Leitung von István „Szalonna“ Pál, im ersten Teil zeigte. Die Band bestand aus einer namentlich nicht genannten Sängerin, zwei Violinen, einer Viola, einer ungarischen Klarinette, einem Zymbal und Kontrabass. Gespielt wurden ungarische Volksmelodien und man ließ das begeisterte Publikum zum Schluss sogar mitsingen. Jedem das Seine. Ich war von den Darbietungen jedenfalls derart „ergriffen“, dass ich mich fluchtartig in die Pause rettete…

Nach einer wohlverdienten Stärkung wurde dann endlich die eigentliche Oper, „Székely fonò“ (Die Spinnstube) von Zoltán Kodály (1882-1967), gezeigt. Kodály hatte bereits für seine auf Ungarisch geschriebene Dissertation „Der Strophenbau im ungarischen Volkslied“ etwa 150 Bolkslieder aus der Umgebung von Galánta gesammelt. Gemeinsam mit Bela Bartók begann er ab 1905 die ungarische Provinz zu bereisen und sich als einer der Ersten mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Volksmusik auseinander zu setzen. 1906 wurde dann die erste Sammlung ungarischer Volksmusik publiziert. Insgesamt sammelte Kodály über 3500 Lieder.

„Die Spinnstube“ wurde am 24. April 1932 am Ungarischen Königlichen Opernhaus in Budapest uraufgeführt. Zur Handlung: Der Ehemann der Frau des Hauses liegt im Sterben. Zurück bleiben die trauernde Gattin und ihre Tochter. Sie erinnert sich an ihre Jugend, als sie ihren späteren Gatten kennen lernte und während sie sich für die Trauerfeierlichkeiten vorbereitet, werden vor ihrem geistigen Auge Bilder ihrer Hochzeit wach gerufen. Nach der Beerdigung vermeint die trauernde Witwe ihren toten Gatten wieder zu sehen, aber es bleibt nur eine Illusion. Von Trauer überwältigt, geht sie zu Bett und verweigert jegliche Nahrungsaufnahme, bis sie stirbt und in einer Apotheose wieder mit ihrem verstorbenen Gatten im Himmel vereint ist.

Kodály hatte mit diesem Werk nicht beabsichtigt eine eigentliche Oper zu schreiben, vielmehr galt seine Absicht der Wiederentdeckung des ungarischen Volksliedes und dem Nachweis seiner in ihm verankerten einfach strukturierten dramatischen Kraft. Er fügte für diesen Zweck 21 Volkslieder aus der Region Székely (heute Rumänien) lose zusammen. Mütterlicherseits hatte Kodály polnische Vorfahren und so wurde für diese Produktion der Spinnstube der polnische Regisseur Michał Znaniecki gewonnen. Luigi Scoglio stellte in den Mittelpunkt des Bühnenbildes ein kleines Zimmer mit steil aufsteigendem Dach, in dem sich ein Bett befindet, dass zu Beginn und am Ende der Oper zum Sterbebett wird. Die Volkslieder dazwischen werden wie im Zyklus der Jahreszeiten, ähnlich Carl Orffs „Carmina burana“ bebildert. Die volkstümlich gehaltenen Kostüme ersann Magdalena Dabrowska. Ihre witzigen Kopfbedeckungen ähneln Pflanzen und Tieren. Zsolt Juhász kreierte die typisches ungarisches Flair versprühenden Tänze. Bogumił Palewicz zeichnete noch für Animationen und Lichtregie verantwortlich.

Das Orchester der Ungarischen Staatsoper unter Balázs Kocsár hatte bei einem seiner Hauskomponisten natürlich Heimvorteil und musizierte ausgelassen und an manchen Stellen auch mit einem Hang von Sentimentalität. Stimmig auch der von Kálmán Strausz gut einstudierte Chor der Ungarischen Staatsoper. Erika Gál beweinte als Frau des Hauses mit einem im parlando geführten Mezzo den Tod des Brautwerbers, gesungen von Levente Molnár mit sattem Bariton. Das übrige Personal der Oper wurde von Adorján Pataki als junger Bursche, Andrea Ulbrich als Nachbarin und Mutter des jungen Mannes, Orsolya Sáfár als junges Mädchen, Lajos Geiger als ein Vermummter in der Maske eines Flohs und Erika Kiss als Mutter des kleinen Mädchens rollengerecht wiedergegeben. Der Applaus verteilte sich gleichmäßig auf alle beteiligten Künstler an diesem Sonntag zur Mittagszeit.

Harald Lacina, 29.5.2017

Fotocredits: Szilvia Csibi