Budapest: „Love and Other Demons“

Péter EÖTVÖS

Vorsterllung am 27.5.2017

(Premiere am 27.1.2017)

Klanggewaltiger Exorzismus in optisch mystischer Verpackung

Vom Glyndebourne Festival wurde diese fünfte Oper des ungarischen Komponisten Péter Eötvös (2.1.1944*) in Auftrag gegeben und erlebte dort am 10. August 2008 ihre Uraufführung. Kornél Hamvai (12.7.1969*) verfasste dafür ein zweiaktiges mehrsprachiges Libretto. Neben Englisch als führender Sprache, verwendete er noch Spanisch, Kirchenlatein und Yoruba, eine Niger-Kongo-Sprache, die in Nigeria, Benin, Togo und Sierra Leone von etwa 30 Millionen Menschen gesprochen wird und die der Autor als Sprache der Sklaven für den Text der Oper einsetzt. Dem Libretto liegt der kurze Roman in fünf Kapiteln des kolumbianischen Literatur-Nobelpreisträgers von 1982, Gabriel José García Márquez (1927-2014), „Del amor y otros demonios“ aus dem Jahr 1994 zu Grunde. Mit diesem Roman popularisierte er den Stil des „realismo mágico“, des magischen Realismus.

Zur Handlung: In der zweiten Hälfte des 18. Jhd. verliebt sich der Bibliothekar Pater Cayetano Delaura unglücklich in die erst 12-jährige Sierva María, Tochter des Marqués von Casalduero. Der Pater wird vom Bischof der Diözese Cartagena de Indias aus dem Vizekönigreich Neugranada als Exorzist gegen die Dämonen, die das Mädchen beherrschen, bestimmt. Sierva María wird in das Klarissinnenkloster Santa Clara von Cartagena eingewiesen. Als der Pater seine Liebe zu Sierva María gesteht, übernimmt der Bischof selbst das Ritual der Teufelsaustreibung, in deren Verlauf das völlig geschwächte Mädchen stirbt.

Hauptmotive der Oper sind die religiöse Intoleranz, dämonische Besessenheit sowie verbotene Liebe. Die Musik von Eötvös setzt mit einer geheimnisvollen Celesta, begleitet von Xylophonschlägen ein. Reale Monster und Fantasieprodukte werden durch den Einsatz einer ganzen Armada an perkussiven Instrumenten (Marimba, Glockenspiel, Röhrenglocken, antike Zymbeln, Amboß, Tam-Tam, Gongs, Triangel, afrikanische Bohnenrassel, Rumbarassel, Kuhglocken, Vibraphon) allgegenwärtig. Unter Verzicht auf eine breite Orchestrierung unterlegt Eötös die Singstimmen mit höchstens einem oder zwei Instrumenten. Die Oper ist äußerst melodiös und der Komponist selber hält sie für sein erstes, quasi belcanteskes, Stück, das den Sängern erlaubt, die Schönheit ihrer Stimmen vorzuführen. Thematisch gesehen ist Eötvös Oper nicht die erste, die den Exorziskus thematisiert. Schon Sergei Prokofjew griff dieses Thema in seiner Oper „Der feurige Engel“ (1954) und etwas später auch Krzysztof Penderecki in „Die Teufel von Loudun“ (1969) auf.

Der aus Rumänien stammende Theaterdirektor Silviu Purcărete hat diese packende Geschichte in kraftvolle, berstende Bilder umgesetzt. Die Wiederaufnahme im Mai besorgte sein Assistent Rareş Zaharia. Helmut Stürmer stellte zu beiden Seiten der Bühne ein balkonartiges Gerüst in einen bogenförmigen Mauerdurchbruch sowie zwei gigantischen Leitern zu beiden Seiten der Einheitsbühne. Dazwischen läßt Andu Dumitrescu durch Videoeinspielungen und Einblendungen Szenen aus der Karibik, Afrika, Südamerika und Spanien entstehen. Zu Beginn erscheinen der Mond und die Sonnenfinsternis, in deren Verlauf die zwölfjährige Sierva María von einem Hund gebissen wird. Kellerasseln tummeln sich und zwei nackte, sich schmerzvoll verrenkende Personen erscheinen im Hintergrund. Die Kostüme von Helmut Stürmer charakterisieren die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten der handelnden Personen, von den Sklaven bis zur Kirchenhierarchie.

Jerry Skelton hüllte die einzelnen Szenen in schauriges Licht ein. Die ukrainische Sopranistin Tatiana Zhuravel gestaltete die atemberaubende junge Sierva María, die den lauernden bösen Kräften mit Zerbinetta gleichem Gesang, durchsetzt von schrillem Wehklagen und zwitscherndem Tirilieren, Paroli bot. Ihre Tessitura mit gelegentlichen Ausflügen ins Flageolettregister erinnert natürlich an den Luftgeist Ariel in Thomas Adès Oper „The Tempest“ (2004), die sowohl in Wien als auch in Budapest zu erleben war. Mit ihren roten langen Haaren wirkt sie so verführerisch wie unbefangen. In ihren während einer Sonnenfinsternis erlittenen Hundebiss erblickten ihre Mitmenschen ein unheilvolles Vorzeichen.

Heidnische Rituale, zahlreiche kirchenlateinische Beschwörungen führen Sierva María schließlich in den Wahnsinn, aus dem sie ihr melancholisch gesungener „Liebestod“ erlöst. István Kovacsházi porträtierte ihren Vater, Don Ygnacio, der unfähig ist, die Tochter einer Mestizzin zu lieben mit gut geführtem Tenor. Zsolt Haja wirkte berührend als jener in zarten aber verbotenen Liebesbanden verstrickter junger Priester Pater Delaura und zeigt fallweise seinen respektablen Ansatz eines Sixpack. Dazu gesellten sich sein ausdrucksstarker kraftvoller Bariton und eine perfekte Aussprache. András Palerdi verlieh dem Bischof Don Toribio mit seinem mächtigen Bass die absoluten Gehorsam heischende nötige Authorität. Die Äbtissin Josefa Miranda von Andrea Meláth weist in ihrem Sprechgesang bereits Züge von Geisteskrankheit auf. Die afrikanische Bedienstete Dominga wurde von der jungen littauischen Mezzosopranistin Jovita Vaškevičiūtė, die in mütterlicher Sorge Sierva María in Yoruba beschwört, treffend interpretiert. Die wahnsinnig gewordene Nonnenmörderin Martina Laborde wurde mit durchdringendem Mezzosopran und grotesk im körperlichen Ausdruck von Éva Balatoni gesungen. Gergely Boncsér ergänzte als gefühl- und verständnisvoller Doktor mit dem klingenden Namen „Abrenuncio“ (Gott bewahre!).

Großer Applaus für alle Beteiligten. Bravi-Rufe für Balázs Kocsár

und den Komponisten Eötvös, der mit der Umsetzung seiner fünften Oper an der Ungarischen Staatsoper durchaus zufrieden sein kann. Harald Lacina, 28.5.2017

Fotocredits: Csibi/Nagy/Rákossy