Budapest: „Götterdämmerung“

15.5. Premiere

Szilvia Rálik – eine Weltklasse Brünnhilde!

Fünf Jahre war die Budapester Staatsoper auf Grund von notwendig gewordenen Renovierungsarbeiten geschlossen. Der geplante Ring blieb ein Torso: Auf das Rheingold am 21.3.2015, folgte knapp ein Jahr später die Walküre am 6.3.2016 und wiederum im Abstand von einem Jahr Siegfried am 19.3.2017. Zeit genug für den ungarischen Filmregisseur und Béla Balázs-Preisträger Géza M. Tóth gemeinsam mit seiner bewährten Dramaturgin Eszter Orbán sein visuelles Konzept für den Abschluss der Tetralogie weiterzuentwickeln. Für die auf Leitmotiven aufgebaute Musik Wagners hat das Animations Studio KEDD (KEDD Vizuális Mühely) wiederum die passenden visuellen Einblendungen basierend auf dem Konzept des Regisseurs entworfen, um so nicht nur ein jüngeres, mit anderen Sehgewohnheiten aufgewachsenes Publikum, sondern auch die ältere Generation zu überzeugen, überkommene Vorstellungen wie etwas sein sollte beiseitezulegen, um sich voller Spannung und mit großem Interesse neuen Sichtweisen zu öffnen.

Im Vorspiel kommen die drei Nornen von der Unterbühne herauf, um nach ihrem Gesang und nachdem das durch Laserstrahlen angedeutete Seil riss, wieder hinab zu ihrer Mutter Erda zu sinken. Aus der Edda erfahren wir auch die Namen dieser drei Nornen, die im Personal der Götterdämmerung nur durchnummeriert wurden. Es handelt sich um Urð, Verðandi und Skuld, deren Namen auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft verweisen und im Vorspiel erzählen sie auch, was bisher geschah und noch geschieht. Die dritte Norn schließlich erschaut dann das Ende der Götter im brennenden Walhall. Doch die Visionen verschwimmen und das Seil reißt, womit ewiges Wissen für immer endet! Sie tragen bodenlange schwarze Kleider mit einem gelben Cape und lange weiße aufgesteckte Haarsträhnen zu beiden Seiten ihres Kopfes (Kostüme: Íbolya Bárdosi). Der Wechsel zum zweiten Bild zeigt uns Brünnhilde auf einem Tisch liegend, während das Bühnenbild eine vom französischen Postimpressionisten Henry Julien Félix Rousseau inspirierte wilde Landschaft zeigt, in der sich auch einige Vögel und andere Tiere blicken lassen (Choreografie: Marianna Venekei). Das Ganze wirkt wie ein Garten Eden auf Island (Bühnenbild: Gergely Z. Zöldy). Siegfried trägt eine lange wilde Mähne, Stiefel und einen pinkfarbenen Kampfanzug, während Brünnhilde in einem eleganten weißen Ensemble mit Capri Hose und weißem Haar erscheint. Aber nicht nur Wotan kann den umtriebigen Inzestknaben nicht aufhalten, nein, auch Brünnhilde muss ihn zu den am Rhein lebenden Gibichungen ziehen lassen. Popart bestimmt die Kleidung der Geschwister Gunther und Gutrune, beide haben knallig gelbe Frisuren und tragen einen Kunststoff Brustschild als äußeres Zeichen des Gibichungen Clans. Lediglich Hagen, der Halbbruder Gunthers, trägt als Heerführer elegantes Grau mit einer weinroten Schärpe. Waltraute tritt in einem futuristisch wirkendem eleganten Kostüm mit Armstulpen und Schulterpölstern auf. Ebenso wie Brünnhilde ist ihr Haar völlig weiß. Zu Beginn des zweiten Aktes sehen wir Hagen in einer Art von halboffenem Käfig vor sich hinbrüten und wie er widerwillig den Einflüsterung seines Vaters Alberich zuhört. Die bebrillten Mannen wiederum erscheinen in unterschiedlicher soldatischer Kleidung teilweise mit angedeuteten tattooübersähten Oberkörpern und Schirmkappen. Siegfried tritt nun bereits völlig assimiliert als Gibichung mit einem weißen eleganten Anzug samt blauem Brustpanzer und Stehkragen und einer brünetten Haartolle, der typischen Façon einer Frisur aus den 1950er Jahren. Im ersten Bild des dritten Aktes trifft Siegfried in grüner Jagdkleidung auf die drei Rheinnixen in ausladenden Rokokokostümen und pompösen Perücken in den Farben Blau, Pink und Gelb. Der Hintergrund wird von einer wilden Waldlandschaft beherrscht. Von Hagens Speer tödlich getroffen sinkt der sterbende Held in den Schoß der herbei geeilten Brünnhilde, seiner ewigen Braut. Trauermarsch leitete dann auf Grund technischer Umbauprobleme ungewollte in eine etwa zehnminütige Pause über. Das Publikum wurde aber damit belohnt, dass der wunderbare Trauermarsch noch einmal gespielt wurde. Danke! Danach wird Siegfried auf einem Tisch aufgebahrt und Brünnhilde entfacht schlussendlich mit einer Fackel den Weltenbrand. In zwei Öffnungen am oberen hinteren Bühnenrand sieht man die Götter versammelt, die ihr Ende schweigend erwarten. Als Apotheose erscheint dann noch zum Schluss ein junges Liebespaar, die Hoffnung der Menschheit auf eine bessere und friedvolle Zukunft.

Allen voran muss die sängerische wie darstellerische Leistung von Szilvia Rálik als Brünnhilde herausgestrichen werden. In habe in meinem Leben vielleicht 70 verschiedene Brünnhilden erlebt, aber keine kam dieser Ausnahmekünstlerin nahe. Jede Phrase ein Genuss. Mit ihrer voluminösen Mitte konnte sie alle Höhen schier problemlos meistern. Sie hat unzweifelhaft das Potential einer Birgit Nilssen. Sie durchläuft auch alle Situationen einer betrogenen Ehefrau und überzeugt in ihren extremen Gefühlsausbrüchen, die sie in das Mordkomplett von Hagen und Gunther einwilligen lässt. Wer eine sensationelle Brünnhilde erleben möchte, ab nach Budapest: Im November wird der gesamte Ring in Budapest aufgeführt, wobei Szilvia Rálik die Brünnhilde in der Walküre und in der Götterdämmerung singen wird! István Kovácsházi war ihr zur Seite ein würdiger Siegfried mit noblem Heldentenor. Innerhalb von nur knapp zwei Monaten hat er an der ungarischen Staatsoper den Kaiser, Parsifal und nun Siegfried in der Götterdämmerung gesungen. Die Inszenierung des neuen Parsifal kann vom Livestream der Premiere auf youtube angesehen werden (https://www.youtube.com/watch?v=j5O17S4uHZ0&ab_channel=OperaVision). Sie erinnert in ihrem Konzept der Rückschau des alternden Parsifal auf seine Jugenderlebnisse an den umstrittenen Wiener Parsifal. Mit seiner tadellosen Diktion erklomm er mühelos alle gefürchteten Höhen im dritten Akt und wirkte dabei niemals angestrengt oder ermüdet. Mit seinem eher hellen Tenor musste er auch bei Zitierung der Verkündigungen des Waldvogels an ihn auch nicht im Falsett singen.

Der 1972 in Székesfehérvár geborene ungarische Bass Géza Gábor stattete den Hagen mit einer dämonischen, alles durchdringenden Stimme aus. Sein Vater Alberich wurde von dem ungarischen Bariton Zoltán Kelemen, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bassbariton (1926-1979), mit einwandfreier Diktion wortdeutlich gesungen und hervorragend in der versuchten Manipulation seines Sohnes dargestellt. Zu erwähnen noch Andrea Szántó als Waltraute mit gut geführtem Mezzo und ausdrucksstarkem Spiel. Sie überzeugte zuletzt auch vollends als verführerische Kundry im neuen Parsifal in Budapest. Die Gibichungen Geschwister Gunther und Gutrune waren bei Tenor Károly Szemerédy und Sopran Lilla Horti, ausgebildet von Éva Marton, gesanglich und darstellerisch bestens aufgehoben. Von den drei Nornen überzeugten Bernadett Wiemann mit tiefer Altstimme und Andrea Ulbrich mit tragfähigem Mezzo als erste und zweite Norn, während die dritte Norn von Sopran Zsuzsanna Ádám für mich an manchen Stellen etwas verquollen klang. Ausgewogen das Terzett der Rheintöchter mit Zita Váradi als Woglinde, Natália Tuznik als Wellgunde und Viktória Mester als Flosshilde. Der Chor war von Gábor Csiki wie immer exzellent einstudiert. Generalmusikdirektor Balázs Kocsár leitete das Orchester der ungarischen Staatsoper umsichtig und viele bewegende Momente entstiegen dem Graben und breiteten sich voluminös im umgebauten Opernhaus mit seiner fantastischen Akustik aus. Die Vorstellung war unerwarteter Weise nicht ausverkauft. Grund dafür könnte wohl der an diesem Abend ausgestrahlte Europäische Song Contest 2022 gewesen sein. Das anwesende Publikum zollte allen Mitwirkenden frenetischen Applaus, der sich bei Szilvia Rálik zu einem tosen Orkan mit vielen Brava-Rufen steigerte! Unbedingt hinfahren und ansehen, wenn man eine außergewöhnliche Sängerin, die der Ruf der Wiener Staatsoper vielleicht auch einmal erreichen wird, erleben möchte!

Harald Lacina, 17.5.

Fotocredits: ©Péter Rákossy / Hungarian State Opera