Budapest: „I Spiritisti“

György Selmeczi

19.1.2014 (Welturaufführung):

Die Ungarische Staatsoper Budapest koproduzierte diese neue Oper gemeinsam mit der Ungarischen Oper in Cluj-Napoca (Rumänien).

Der in ganz Europa gastierende Komponist, Dirigent, Pianist und Regisseur Gygörgy Selmeczi wurde am 8. März 1952 in Klausenburg (Cluj) geboren. Er war u.a. auch Schüler von Pierre Boulez in Paris. Der Komponist verfasste das Libretto gemeinsam mit Csilla Péntek in italienischer Sprache mit kleineren russischen und französischen Einschüben. Der Text kann im Internet im Original mit ungarischer Übersetzung nachgelesen werden (filmacademy.hu).

Das Libretto basiert auf dem Drama „Balaganchik“ (Ein Puppentheater) des russischen Symbolisten Alexander Alexandrowitsch Blok 1880-1921), eine Satire auf die klassische griechische Tragödie, Commedia dell’arte und Symbolismus. 1906 erprobte der berühmte Regisseur Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold (1874-1940) am Wera-Kommissarschewskaja Theater in St. Petersburg an diesem Stück seine grundlegenden Ideen eines grotesken und konstruktivistischen Theaters. In den 20 Jahren wurde das Stück dann auch in Paris und New York aufgeführt.

Dem Drama lag ursprünglich eine simple Geschichte zu Grunde. Harlekin stiehlt Columbine von Pierrot. Bei einer Schlittenfahrt stürzt Columbine aus dem Wagen und Harlekin fährt weiter. Pierrot bleibt auf der leeren Bühne zurück. Blok und Meyerhold haben diese Geschichte dann zu einem abendfüllenden symbolistischen Drama ausgestaltet.

Zum Inhalt der Oper in zwei Akten: Ein Herzog hält in seinem Palazzo ducale in Moskau im Jahr 1899 gemeinsam mit seinen Freunden, unter denen sich auch Pierrot in Gestalt eines jungen Landedelmannes befindet, eine Séance ab. Die Erscheinung einer Frau wird sichtbar, in der Pierrot seine Verlobte Colombine zu erkennen vermeint. Die Szene verschwindet. Wir befinden uns nun im Ballsaal des herzoglichen Schlosses mit zeitgenössisch im Stil des fin de siècle gekleidetem Bühnenorchester. Arlecchino mischt sich in Gestalt eines rätselhaften Weltenbummlers unter die Ballgäste und sinniert über die Wechselwirkungen zwischen Langeweile und Leidenschaft nach. Aleksei und Dimitri, zwei adelige Freunde die Herzogs, fordern Arlecchino zu einem Wettstreit heraus. Hierauf führt Pierrot seine schüchterne Frau Colombina in den Ballsaal. Ein russisches Volksfest mit russischem Gesang und Folkloretänzen wird nun abgehalten, und eine Melodie, ähnlich „I want to be in America“ aus Bernsteins West Side Story, sickert marginal durch.

Gekleidet wie aus der Gegenwart erscheint der desillusionierte Dichter Desiré, der von zügellosen Fantasien gelenkt wird.

Die Truppe der Gaukler aus dem fernen Italien tritt nun auf, um die aus Leoncavallos Oper I Pagliacchi bekannte Szene aufzuführen. Dem Herzog und seinen Gästen aber gefällt das tragische Ende nicht. Sie wollen ein versöhnliches vorgeführt erhalten. Die Komödianten weigern sich aber und bestehen auf einem tragischen Ende, weil die Tragödie eben ihr ureigenstes Metier ist. Sie beginnen zu improvisieren. Pierrot hat die rettende Idee und bittet Colombina ihn zu küssen. Angewidert zieht Desiré, der sich von der Welt und der Liebe betrogen fühlt, unbemerkt von den anwesenden Gästen seine Pistole und erschießt Colombina, die mit den gleichen Worten wie im ersten Akt „Non ti lascio mai piú, mai piú!“ stirbt. Die Gäste fliehen. Der Herzog trauert um Colombina. Die Spiritisten versammeln sich aufs Neue zu einer Séance. Wird die Geschichte dieses Mal anders enden?

Was die durchaus melodiöse eklektische Musik anbelangt, so bedient sich Selmeczi großzügig bei Puccini, Mascagni und Bernstein. Er erreichte damit eine nachhaltige Wirkung beim anwesenden Premierenpublikum, das dem Komponisten nach der Aufführung anerkennenden Applaus spendete. Dahinter vermute ich natürlich schon ein wenig Nationalstolz. Der große Wurf ist diese Oper sicherlich nicht, denn es fehlt ihr, meiner Meinung nach, an musikalischer Originalität. Darüber hinaus ist dem Komponisten auch der zweite Akt viel besser gelungen, weil stringenter und spannender gestaltet als der erste. Aber Selmeczi versteht natürlich sein Handwerk und fügt sich seine Oper in die Reihe der Literaturopern, wie beispielsweise „1984“ seines komponierenden Dirigentenkollegen Lorin Maazel, dessen Uraufführung 2005 am Royal Opera House Covent Garden statt fand.

Der Regie von Eszter Novák gelang es nicht immer die verschiedenen Bewusstseinsebenen der handelnden Personen deutlich heraus zu arbeiten. Die Grenzen zwischen Traum, Schein und Wirklichkeit verschwammen häufig vor den Augen des Betrachters zu einem heillosen Durcheinander. Die von Edit Zeke entworfene Ausstattung war bei der Entschlüsselung der Handlungsebenen auch nicht besonders hilfreich. So erschienen die Freunde des Herzogs zu Beginn der Séance in Anzügen, die durchaus aus der Gegenwart stammen könnten, während die Ballgäste in ihren prächtigen Roben und weißgepudert an das Personal aus Roman Polanskis Film „Tanz der Vampire“ erinnerte.

Krisztián Cser versah seinen Duca mit einem würdevollen eleganten Bass. Géza Gábor als Aleksei und Szabolcs Hámori als Dimitri, die Freunde des Herzogs, ergänzten mit profunder bassbaritonaler Würde. Etwas verquollen hörte sich der raue Bass von Árpád Sándor als larmoyanter Dichter Desiré an. Aus dem Personal der Commedia dell’arte stach einzig Polina Pasztircsák als Colombina, der der Komponist im zweiten Akt eine Bravourarie „Ah! ah! ah! ah! ahi ahahahha! Voglio amare il mio tesoro, perché non vien, ah“ in die Kehle geschrieben hatte, mit jugendlich frischem Sopran hervor. Arlecchino István Kovács bestach mehr durch sein artistisches Können, indem er einen Handstand vorführte und Räder schlug, als mit seinem eher dünnen Bariton. Der Tenor von Adorján Pataki als Pierrot stieß bei den hohen Tönen leider hörbar an seine Grenzen.

János Kovács am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper hob das Werk routiniert und umsichtig wie gewohnt aus der Taufe. Seiner exzellenten Umsetzung der Partitur verdank die Oper auch ihren Achtungserfolg, an dem der hervorragend singende und agierende Chor der Ungarischen Staatsoper unter seinem Leiter Máté Szabó Sipos keinen unwesentlichen Anteil hatte. Die Choreographie der russischen Folkloretänze besorgte Tamás Topolánszky.

Der Komponist kann zu Frieden sein. Sein Werk gefiel, es gab keine Buh-Rufe und ein verdienter Achtungserfolg war ihm an diesem Abend sicher.

Harald Lacina 25.1. Bilder: Szilvia Csibi