Premiere am 18.03.2018
Eine Parabel über unerfüllte Liebe
Ferenc Molnárs „Liliom“, 1909 im Budapester Vigszinhás uraufgeführt, zählt zu diesen genialen Theaterstücken, welche während des Vorabends zum blutigen Ausklang der k.u.k. Monarchie geschrieben wurden. Eine elegische ‚Vorstadtlegende in sieben Bildern‘, Denkungsart: sozialkritisch mit einem nicht unerheblichen Sarkasmus, dabei von reinstem Humanismus geprägt. In den 40er Jahren, höchst trächtigen Musical-Jahren in den USA, haben Erfolgskomponist Richard Rodgers und sein Texter Oscar Hammerstein II „Liliom“ als Vorlage für ein Broadway-Musical gewählt. Unter dem Titel „Carousel“ ist dieses aufwändige Musikspektakel mit tragischen Untertönen 1945 zu einem überwältigenden Erfolg geworden. Der 1940 nach New York emigrierte Molnár hatte zögerlich seine Einwilligung für diese Show-Adaption gegeben.
In der Volksoper wurde nun Handwerksmontur angelegt, um diesen doch sehr, sehr wertvollen und hoch zu schätzenden Broadway-Oldtimer einigermaßen fahrtüchtig zu machen. Passendes Montagegerät war Regisseur Henry Mason gegeben, und dieser hat mit einfacher Technik und ohne seine werkmeisterliche Phantasie allzusehr bemühen zu müssen geradlinig und klar mit gekonntem Zugriff das zugegebenermaßen doch heikel zu bedienende alte Vehikel zum Anspringen gebracht.
Allerdings mit zwei unterschiedlichen Fahrspuren für das Publikum. Dieses, welches sich unbefangen in die Geschichte einzuleben vermag, kommt am überlangen Abend nach manch schöner oder auch ergreifender Zwischenstation – aber auch mit ermüdend ausgedehnten, mäßig unterhaltsamen Dialogen – unversehrt ins Ziel. Wer sich jedoch mit dem schmissigen „The Carousel Waltz“ eine zügige Spritzfahrt erhofft hat, gerät auf seiner Spur sehr bald ins Stocken: Hier sollten, müssten alle aufgewirbelten menschlichen Emotionen so richtig ins Herz treffen …. doch es menschelt ganz und gar nicht. Hat sich da eine eher sterile ästhetische Dunstglocke über die sozialen Empfindlichkeiten wie das bunte Treiben gelegt?
An die Küste von New England haben Rodgers & Hammerstein ihre adaptierte Story verlegt. Das stilisierende Bühnenbild (Ausstattung: Jan Meier) mit dem blau leuchtenden Meer im Hintergrund und anfangs hereinragendem blühenden Ast lässt an poetische japanisches Naturmalerei denken. Doch hier wird eifrig herumgelaufen, heftig aufeinander eingeschrien, skurriles oder freundschaftlich vertrautes Gehabe gemimt. Daniel Schmutzhard ist der stimmkräftige (vorläufig noch etwas unsicher einen charakterlich hilflos Wankenden spielend) und stets jäh aufbrausende und schnell unüberlegt zuschlagende Karussell-Ausrufer Billy Bigelow, der amerikanische Liliom.
Zurückhaltender müssen sich die Mädels um ihn geben: Mara Mastalir als prägnante Mutter seiner noch ungeborenen Tochter Louise, Johanna Arrouas neckisch gestikulierend als ihre Gefährtin. Atala Schöck spendet tröstlichen Gesang, und wild schimpfend lässt sich die über Billys Liebschaft erzürnte, doch ihn liebende herbe Karussell-Chefin Mrs. Mullin (Regula Rosin) immer wieder aus. Christian Graf mimt mit schleimigem Gehabe den schurkischen Verführer, der Billy zum missglückten Raubüberfall und in Folge in den Selbstmord treibt.
Ja, hoch am Himmel landet nun der Verstorbene. Von der Höhe herab schwebt ein weißbärtiger Sternwart (Robert Meyer) und findet nette Wort für ihn. Billy darf kurz auf die Erde zurück, um seine inzwischen geborene Tochter Louise zu treffen – claro, Himmelsgesetz, eine Minute oben am Sternenzelt ist eine ganzes irdisches Jahr. Staatsballett-Solistin Mila Schmidt lässt ihrem Vater in einer Tanzsequenz (eine bewegte, dabei schlicht gehaltene Choreographie von Francesc Abós) ihr ebenso nicht ganz glücklich verlaufendes junges Leben unter die Haut gehen. Imposant schließlich das großes Chorfinale, und dieses verfehlt nicht die angestrebte Wirkung: „You’ll Never Walk Alone“ – das ist ein starker Abgesang.
Richard Rodgers Musik schwankt zwischen simpler Untermalung und sentimentalem Aufrauschen. Der Carousel-Waltz und die einprägsame pathetische Hymne „You’ll Never Walk Alone“ – ist später der aufmunternde Schlachtruf für den FC Liverpool und in so manch anderer internationaler Fußballarena geworden – zählen zu den Welthits. Einiges mehr an eingängiger Melodik wird geboten. Auf stark und laut und schwungvolle Tempi setzt Dirigent Joseph J. Olefirowicz. Und er lässt die Musiker während der Entr’Acte-Musik vor dem zweiten Aufzug aus dem Orchestergraben hochfahren, um sich mit gekonnter Showgestik in den Mittelpunkt zu rücken. Sehr groß besetzt ist das Orchester, und dadurch mag die Klangbalance für die Sänger trotz tontechnischer Unterstützung bisweilen zum kleinen Verhängnis werden.
Also, vielleicht doch aufgesprungen auf dieses „Carousel“? Auf der besseren Spur hinein in dieses durchaus interessante Milieu mit seinen zahlreichen kurz angetupften unterschiedlichen Typen. Ferenc Molnár schrieb mit geistreicher Raffinesse eine Parabel über nicht erfüllbare Liebe – und solche unglückliche Schicksale vermögen nach wie vor zu berühren.
Bilder © Barbara Palffy
Meinhard Rüdenauer 20.3.2018
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