Wien: „Die Dubarry“

Premiere: 3. September 2022

Operette von Carl Millöcker / Theo Mackeben

Man kommt um „Pretty in Pink“ nicht herum, denn dieser Gedanke stellt sich unweigerlich ein, wenn man vor der „neuen“ Volksoper steht. Mit dieser herausfordernd rosa gehaltenen Fassade will die neue Direktorin Lotte de Beer ein Statement abgeben. Locker, luftig, duftig sozusagen. Einstand mit Operette. Signal: Fürchtet Euch nicht, Leute, kommt! Und sie kamen in Scharen zur ersten Premiere, gewidmet dem kaum je gespielten Werk „Die Dubarry“.

Das Beste daran ist, geben wir es zu, der Titel. Auch wer kaum etwas von Geschichte weiß, wittert hier eine Mätresse, und zwar die eines französischen Königs. Sex und Royals also, die unwiderstehliche Mischung. Allerdings ist das Werk nie wirklich gelungen – schon nicht als „Original“ von Carl Millöcker, 1879 im Theater an der Wien uraufgeführt – drei Jahre später schuf der Komponist mit dem „Bettelstudenten“ schon sein Meisterwerk. Die „Gräfin Dubarry“, wie sie damals hieß, war keines, sonst hätte sich Theo Mackeben nicht bemüßigt gefühlt, mehr als ein halbes Jahrhundert später eine Neufassung zu versuchen (uraufgeführt 1931 in Berlin).

Dch auch diese ist musikalisch schwach und dramaturgisch unökonomisch. Die Handlung läuft langsam, die Liebesgeschichte gewunden, auf König Ludwig XV. muss man zweieinhalb der dreieinviertel Stunden Spielzeit warten, das Buffopaar ist extrem schwach. Und außerdem spielt die Handlung im Original durchgehend im Paris von 1764, und das Motto der Titelheldin besagt, dass eine Frau vor allem den Männern gefallen müsse, und der Blick in den Spiegel sei Pflicht – schlimmer kann man nun gar nicht gegen den Zeitgeist von heute sündigen.

Eine schwierige Arbeit für Regisseur Jan Philipp Gloger, sich hier durch zu lavieren und das Stück – natürlich, es geht heute nicht mehr anders – in die Gegenwart zu versetzen. Das funktioniert eine zeitlang zwischen Modesalon, schäbigem Maleratelier und Vergnügungsetablissement. Da kann man die Ausbeutung der Arbeiterinnen zeigen, die folglich nichts anderes im Kopf haben, als sich einen reichen Mann zu angeln, um dem ewigen Elend zu entgehen. Man kann die Brutalität der Männer zeigen, die bezahlen und dafür entlohnt werden wollen, bis zur versuchten Vergewaltigung. Und zwischen Maler und Modell, was die arme Verkäuferin Jeanne Beçu anfangs noch ist, kann man neben Beischlaf auch Krach und häusliche Gewalt andeuten. Keine schöne Welt.

Natürlich ist es nicht einfach, von hier zu Ludwig XV. zu kommen, und das geht nur, indem man einfach auf jegliche Logik verzichtet und sich darauf ausredet, dass Operette diese nicht braucht. Nachdem Graf Dubarry die hübsche Jeanne mit seinem Bruder (der gar nicht auftaucht) in einer klassischen Scheinehe verbindet, damit sie hoffähig wird, beginnt nach der Pause die ultimative Ironisierung der Geschichte.

Wenn Jeanne „Manieren“ lernen soll, dreht sich alles um – vielmehr bringt ihr der geplagte Lehrer „Österreichisch“ bei, damit gar keine Zweifel aufkommen, dass Hauptdarstellerin Annette Dasch hörbar keine Französin, sondern eine Deutsche oder, wie die Wiener bei solchem Zungenschlag sagen, eine „Piefkin“ ist. Aus dieser Pygmalion-artigen Szene lässt sich viel billiger Witz schlagen – logisch ist es nicht.

Auch nicht, dass man jetzt tatsächlich ins Frankreich des 18. Jahrhunderts rutscht, denn König Ludwig XV. ist schließlich unverzichtbar und historisch nicht umzumünzen. Immerhin gewinnt das Ganze dann den optischen Reiz, den das Publikum von Anfang an von dieser Operette erwartet hätte. Das Happyend freilich muss – wir sind ja so heutig – hinterfragt werden. Gerade noch tanzt die Dubarry fröhlich als unbestrittene Mätresse des Königs herum, da stürzen sich zum Finale vier Herren mit Revolutionsfahne über sie, reißen ihr die Perücke herunter, werfen sie zu Boden, und eine Aufschrift auf dem transparenten Vorhang weist darauf hin, dass die arme Dubarry tatsächlich noch die Französische Revolution erlebt, allerdings nicht überlebt hat. Wie viele Adelige starb sie auf der Guillotine.

Die Volksopern-Aufführung packt da „Kritik“ von allen Seiten in das Geschehen, aber grundsätzlich herrscht in der nicht eben aufregenden Ausstattung von Christof Hetzer (Kostüme ohne besondere Eigenschaften: Sibylle Wallum) so viel Schmäh, dass das Publikum sich daran halten kann und sich nicht mit den hässlichen Seiten der Geschichte aufhalten muss. Und die Volksoper hat gezeigt, dass Operette ein fragwürdiges Genre geworden ist, dass man aber trotzdem versuchen kann, damit umzugehen.

An Annette Dasch lässt sich ermessen, was Künstler historischen Kostümen verdanken: Anfangs als struppelige Verkäuferin im Arbeitsmantel ist sie geradezu unscheinbar, im Barockkostüm wächst sie zu der Repräsentationsfigur, die sie auch sein soll. Allerdings verliert sie auch als Schönheit nichts von ihrer ursprünglichen scharfzüngigen Frechheit, so dass die darstellerische Leistung teilweise darüber hinwegtrösten muss, dass die Stimme schon angeknackst ist – und das nicht nur in der Höhe.

Als tenoraler Maler-Held bietet Lucian Krasznec vorwiegend gepresst-scharfe Töne, als Buffo-Paar tun Juliette Khalil und Wolfgang Gratschmaier was sie nur können, damit man nicht merkt, wie fadendünn ihre Geschichte ist.

Übrigen fällt auf, wie präzise und exzellent die Nebenfiguren geführt sind, wobei Ulrike Steinsky von der strengen Herrin des Modesalons bis zur perfekt „näselnden“ Hof-Intrigantin viele Möglichkeiten bekommt. Glänzend sind Oliver Liebl (mit Szenenapplaus für seinen Auftritt als Hauslehrer, der Jeanne seltsamerweise den österreichischen Kaiser beibringt anstelle des französischen Königs) und Martin Enenkel als Faktotum, ebenso Marco Di Sapia als undurchsichtiger Graf Dubarry – und Daniel Ohlenschläger als Ministerpräsident, das ist ja geradezu eine richtige Figur.

Ja, und da ist noch Harald Schmidt, dessen Engagement der Produktion einen zusätzlichen Schub an Medienbeachtung lieferte (die ohnedies groß genug war). Wie würde er den König spielen? Nun, gar nicht natürlich, er ist Harald Schmidt, der in seiner Eingangsszene des Kennenlernens mit ihr die Dubarry befragt, wie er es als Talk-Host zahllose Male im Fernsehen getan hat. Wenn er nun durch die theatrale Landschaft tingelt, will man ja gar nichts anderes von ihm als ihn selbst – und er passt sich mit seinem Schmäh dem des Abends voll an. Und dabei singt er sogar zweimal ein paar Töne!

Am Pult steht Kai Tietje, und er kann vermutlich nichts dafür, dass die Musik etwas schwerfällig daherkommt. Außer „Ich schenk mein Herz“ und „Ja, so ist sie, die Dubarry“ (glücklicherweise zum Finale, um die Stimmung hoch zu reißen) findet das Publikum gar keine Ohrwürmer. Aber da es genug „Aufputz“ für den Abend gab und das Publikum schon mit reichlich Szenenapplaus zeigte, dass man entschlossen war, den ersten Abend der Ära de Beer ins Herz zu schließen, wurde ein veritabler Premierenerfolg daraus.

Renate Wagner 5.9.22