Wien: „Die Hochzeit des Figaro“

Vorstellung am 25. November 2012

Sollten Wiener Hotelportiere diese Zeilen lesen, möchte ich ihnen einen wichtigen Hinweis geben: Schicken sie ihre ausländischen Gäste, die auf der Suche nach einer Mozart-Oper sind, nicht in eine Aufführung der Staatsoper, sondern machen sie ihnen „Die Hochzeit des Figaro“ an der Volksoper schmackhaft. Dort wartet nämlich ein Geheimtipp darauf entdeckt zu werden, das dafür fällige Trinkgeld für das Besorgen der Karten wird sicher höher ausfallen als nach einer (viel teureren) Staatsopernkarte.

Und für alle Musikliebhaber aus Wien und Umgebung: Vergessen sie die zum Teil wirklich miese Akustik der Volksoper (von meinem Galerieplatz versank ich diesmal hin und wieder in „schwarze“ akustische Löcher) und vertrauen sie voll der exzellenten Regiearbeit von Marco Arturo Marelli. Der Schweizer begann seine internationale Karriere vor 39 Jahren an der Volksoper, inszenierte hier schon einmal den gesamten Daponte-Zyklus und übertraf sich diesmal mit einer quirligen, witzigen, detailreichen und auf unnötige Mätzchen verzichtenden Regiearbeit. Als Grundlage für sein Bühnenbild wählte er zwei barocke Gemälde. Erstens den im Madrider Prado hängenden „Kampf mit dem Giganten“ von Francisco Bayeu y Subias, womit Marelli die Grundidee des Stückes unterstreichen wollte: Eine Ordnung löst die andere ab. Und zweitens das Deckengemälde von Daniel Gran aus dem Schloss Eckartsau, welches die Aufnahme Dianas (als Göttin der Jagd und Hüterin der Jungfräulichkeit) in den Olymp thematisiert. Diese beiden dominanten Bilder beherrschen die Bühne und mit frei verschiebbare Elemente schuf Marelli als Bühnenbildner adäquate Räume: Groß und freizügig in den gräflichen Szenen, eng und intim in den Bildern der Dienerschaft. Die wunderbaren stimmigen Kostüme von Dagmar Niefind unterstreichen die einzelnen Charaktere des Mozart’schen Meisterwerkes ideal.

Wichtig scheint mir bei jeder „Hochzeit“, dass ein solides Handwerkszeug zum Tragen kommt, wenn es um die Personenführung und die oft schwierige Umsetzung der punktgenauen Einsätze und Pointen geht. Und genau das beherrscht Marelli wie kaum ein anderer, in den 3 ½ Stunden Spielzeit kommt niemals Langeweile auf und auch nach oftmaligem Besuch dieses Meisterwerks bin ich immer noch von diesem genialen Libretto fasziniert. Die absolute Krönung erfährt das alles im ungemein schwierig umzusetzenden Schlussbild, wenn man gebannt den Verirrungen und Verwirrungen der Komödie und der finalen Auflösung folgt.

Als kongenialer Partner Marellis erwies sich der junge Dirigent Dirk Kaftan, derzeit in Augsburg unter Vertrag, früher auch an der Grazer Oper tätig gewesen. Mit flottem Tempo hat er alle Schwierigkeiten der Partitur stets im Griff. Besonders die Ensembles, bei denen es auch in berühmteren Häusern schon hie und da etwas daneben geht, gelingen vorzüglich. In den großen Arien lässt er aber den Solisten genügend Raum und der Zuseher kann wieder etwas durchatmen, bevor es in den (deutsch) gesungenen Rezitativen munter weiter geht. Apropos deutsche Sprache: An die gewählte Übersetzung muss man sich natürlich erst gewöhnen, im Gegensatz zu so manchen Premierengästen störte mich persönlich das Abgehen vom italienischen Original aber nicht. Der Vorteil, dass man den Text wirklich Wort für Wort versteht und damit die Handlungen in all ihren Feinheiten voll mitbekommt, macht den Nachteil der schlechteren Singbarkeit des Deutschen mehr als wett. Aber an diesem Punkt scheiden sich ja meistens die Geister.

Kommen wir zur Sängerriege, die keine wirkliche Schwachstelle erkennen ließ. Sicherlich ließe sich bei der einen oder anderen Stimme etwas Kritisches anmerken, aber was meiner Meinung nach viel wichtiger ist: In der Volksoper hatte man diesmal wirklich das Gefühl ein echtes Mozart-Ensemble zu erleben, das perfekt zusammenpasst, auch was Alter und Stimmfärbung betrifft. Alle voran natürlich Rebecca Nelsen, die alle Nuancen des Kammermädchens Susanna zum Vorschein bringt. Quirlig und ihre erotische Anziehungskraft bewusst einsetzend, aber im Grunde doch nur schwer verliebt in ihren Figaro. Jacqueline Wagner, die eine Gräfin schwankend zwischen Frust und Lust zur Rache zeigt, manchmal kumpelhaft an der Seite Susannas, dann wieder als adelige „Madama“ gefangen in ihrem Status quo, in ihren Arien bot sie großes Theater. Die beiden Amerikanerinnen verfügen über wunderbare Stimmen, mit denen sie auch im Sextett die Akzente setzten.

Der wenig zurückhaltende Graf lag bei Konstantin Wolff (der ebenso wie Wagner an der Volksoper debütierte) in guten Händen. Ihm ist eine etwas raue Stimme eigen, die an manchen Stellen mit etwas zu viel Druck eingesetzt wurde. Die (offensichtliche) Anfangsnervosität von Yasushi Hirano als Figaro legte sich mit zunehmender Spieldauer. Der seit dem Jahr 2000 in Wien lebende Japaner verfügt über einen prachtvollen Bassbariton, der bei seiner ersten großen Premiere erst im Schlussbild voll zum Vorschein kam. Volksopern-Neuzugang Dorottya Láng wird in die Rolle des Cherubino sicherlich bald ganz hineinwachsen, auf ihre Entwicklung kann man gespannt sein. Ungewohnt die Verzierungen in ihrer Arie, die ich in dieser Form noch nie gehört hatte. Stefan Cerny mit seinem unverwechselbar dröhnenden Bass als Bartolo, Sulie Girardi, die erfreulicherweise als Marcellina nicht outrierte, ein witziger Paul Schweinester als Basilio, ein trotz Weinflasche erstaunlich wacher Martin Winkler als Antonio, die bezaubernde Mara Mastalir (die in der zweiten Premieren-Serie die Susanna singen wird) als Barbarina und der für den erkrankten Christian Drescher eingesprungene Wolfgang Gratschmaier als Don Curzio komplettierten das Ensemble.

Die akribische Probenarbeit wirkte sich auch auf die Chorszenen (Einstudierung Holger Kristen) positiv aus, keine 08/15-Posen, dafür Vollblut-Theater auch bei den Tanzszenen! Eine besondere Erwähnung verdient noch Eric Machanic am Hammerklavier. Es wäre zu wünschen, dass diesem Ausrufezeichen der Wiener Volksoper im Genre der klassischen Oper bald weitere folgen könnten. Das Premierenpublikum zeigte seine Begeisterung in einer Art und Weise, die an diesem Haus nicht so oft zu sehen ist: 12 Minuten Schlussbeifall konnten sich da wirklich sehen und hören lassen!

Ernst Kopica
Fotocopyrights: Barbara Palffy/Volksoper