Heldritt bringt im Zeichen von Corona die Neuinszenierung einer wunderschönen, kleinen unterhaltsamen Sommererfrischung. Das Publikum im fast ausverkauften Rund spart nicht mit langanhaltendem begeistertem Applaus.
Premiere am 12. August 2022
besuchte Vorstellung am 14. August 2022
Nachdem in Heldritt im letzten Jahr ein sensationeller „Salon Pitzelberger“ und eine hervorragende „Die schöne Galathée“ vor etwas enttäuschenden Zuschauerzahlen aufgeführt worden war, hat man sich auch in diesem Jahr für die etwas kleinere Variante entschieden, denn der Virus ist noch nicht vorbei. Für mich heute noch nicht nachvollziehbar, dass die letztjährigen Zuschauerzahlen so gering waren, dass man ein Defizit erreicht hat, was durch den Sonderfond des Bundes wenigstens soweit aufgefangen werden konnte, dass letztendlich die Bilanz ausgeglichen war. Verdient hätten sich die beiden kleinen Einakter und das wundervolle Ensemble auf jeden Fall ein ausverkauftes Haus.
Dies erwartete mich beim diesjährigen Besuch. In der besuchten Vorstellung war fast kein Platz mehr frei und es war ein einmaliges Erlebnis, vor allem zu erleben, wie die Künstler hier wieder einmal vor vollem Haus beweisen konnten, was eine kleine Bühne auf die Beine stellen kann. Leuchtende Augen beim Publikum, aber vor allem bei allen Beteiligten von Seiten der Sommeroperette Heldritt, die endlich den verdienten Lohn für ihre Arbeit, jedenfalls am heutigen Nachmittag, voll einfahren konnten.
Ich gebe gerne zu, dass ich im Vorfeld der Entscheidung für das diesjährige Stück einige Zweifel beim Intendant und Vorsitzenden der Coburger Operettenfreunde, Harald Wurmsdobler angebracht habe. Ich dachte, dass man aus dem alten Spielfilm von 1930 mit Lilian Harvey, Heinz Rühmann und Willi Fritsch keine mitreißende musikalische Aufführung machen kann, die das Publikum, welches momentan ja sowieso schon etwas zurückhaltend agiert, in Scharen zur Waldbühne lockt. Ich gebe gerne zu, dass ich mich getäuscht habe. Man hat ein mehr als unterhaltsames, abwechslungsreiches, schmissiges Spiel mit einer Vielzahl von bekannten Melodien auf die Bühne gezaubert und das Publikum hat das Wagnis voll honoriert. Die bekanntesten Weisen dürften sein: „Ein Freund, ein guter Freund“, „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“, „Irgendwo auf der Welt“, „Lieber guter Herr Gerichtsvollzieher (Lied vom Kuckuck)“, „Du bist das süßeste Mädel der Welt“, „Erst kommt ein großes Fragezeichen“, „Hallo, du süße Frau, fahr nicht allein“ und viele andere.
Wieder mit einer überschaubaren Sängerschar, einem gerade mal siebenköpfigen Orchester, die aber aufgetrumpft haben, als wenn sie die dreifache Anzahl im Orchester dabei hätten und wie immer in Heldritt mit einem Einsatz, der weit über das normale Maß hinausgeht, wo jeder jedem hilft, wo unzählige Arbeitsstunden eingesetzt werden, ohne nach dem Entgelt zu fragen, mit einer riesengroßen Begeisterung und Freude für die Sache.
Harald Wurmsdobler – Christian-Andreas Engelhardt – Tobias Engelhardt
Die Heldritter Vereine, wie z. B. der Gesangsverein, der Obst- und Gartenbauverein, die Feuerwehr usw. bieten vor der Vorstellung und in der Pause aus der Region kulinarische Köstlichkeiten aller Art an, diesmal zu meiner Freunde und zum Leidwesen meiner Figur auch wieder die schmackhaften Coburger Bratwürste. Wir haben kräftig zugelangt an Speisen und Getränken, alles angeboten von ehrenamtlichen Mitgliedern, die auch eine familiäre Atmosphäre entstehen lassen, die es sonst bei keiner vergleichbaren Aufführungsstätte in dieser Form gibt.
Friedhelm Wölfert hat die technische Leitung und ist verantwortlich für den Bühnenaufbau. Es ist einfach nur toll, was er – mit seinem Team – hier aufgebaut hat. Unzählige Arbeitsstunden und man merkt die Liebe zum Detail und man merkt das Herzblut, das in all diesen Arbeiten steckt. Teamarbeit, bei welcher jeder jedem hilft und zupackt, ja, das ist das Erfolgsgeheimnis von Heldritt, das jedes Jahr aus neue solche wunderschönen Aufführungen ermöglicht. Die Maske liegt in den Händen von Claudia Schleicher und sie hat aus geringsten Möglichkeiten optimalstes geschaffen. Für die Schneiderei und die Ankleidung, die stimmig, passend und schön anzusehen ausgefallen ist, zeichnet Tanja Morgenroth verantwortlich. Optimal werden Licht und Ton von Florian Hornung beigesteuert. Die Choreographie hat der in Heldritt wohlbekannte in Wetzlar geborene Jan Reimitz übernommen und bei ihm merkt man einfach den Könner, bei der Einstudierung der tänzerischen Abläufe und der kompletten künstlerischen Gestaltung.
Regie bei dem munteren Treiben führt Rita Lucia Schneider, die auch als Frau Dr. Kalmus und Edith von Turoff im Stück auftritt – und das macht sie ausgezeichnet, ohne Fehl und Tadel. Die Regie-Assistenz liegt bei ebenfalls erneut bei Dominique Dietel. Für die Ausstattung und das Kostümbild zeichnet Tobias Engelhardt verantwortlich, der auch als Willi eine Hauptrolle und noch dazu die des erfolgreichen Liebhabers im Stück hat.
Wer, als der Meister des Taktstocks, der in Nürnberg geborene Reinhard Schmidt, könnte die musikalische Leitung innehaben. Er ist in Heldritt eine Institution, er hat im kleinen Finger mehr Musikalität wie andere in der ganzen Hand und seine ungeheure Erfahrung kommt dem Dirigat mehr als zu Gute. Er ist der Ruhepol im musikalischen Geschehen, er leitet sein siebenköpfiges Orchester gefühlvoll, einfühlsam, energisch, aber auch gleichzeitig zurückhaltend. Dann, wenn er seine Mannschaft etwas zurücknimmt, um den Sängern etwas mehr Raum, etwas mehr Luft zu geben. Immer ist er Herr der Lage, immer voller Leidenschaft und Feuer, voll konzentriert und immer am Ball. Natürlich zeichnet er für die komplette musikalische Einrichtung und Instrumentation verantwortlich. Eine erneut mehr als bemerkenswerte Leistung von ihm, dem musikalischen Grand Seigneur, genau wie seine sieben Musiker, die oben über der Bühne alles geben und sich voll hineinhängen. Voller Freude, wieder einmal vor ausverkauftem Haus zu spielen und diese Spielfreude merkt man jedem einzelnen an. Die beeindruckenden Weisen werden von lediglich sieben Musikern wiedergegeben und sie haben es sich mehr als verdient, dass man sie in dieser Rezension einzeln würdigt. An der Violine Beatrix Seidlitz, die Flöte wird von Angelika Stirner-Ebert gespielt, Klarinette und Saxophon übernimmt Ina Siegelin, das Violoncello spielt Ulrike Marie Gossel und den Kontrabass übernimmt Ulrich Giebelhausen. Zu seinem Leidwesen ist er in diesem Jahr nicht mehr der Hahn im Korb, denn Daniel Ostermann am Schlagzeug, übernimmt den zweiten männlichen Part.
Julia Domke – Harald Wurmsdobler
Das Ganze wurde von der Regisseurin Rita Lucia Schneider total umgeschrieben, mit neuen Texten versehen, ein bisschen auf Öko getrimmt und stellt so im Prinzip eine „Welt-Uraufführung“ dar, die wir in Heldritt erleben dürfen. Die Energiekrise kommt ins Spiel, auf die Bühne fährt man mit Elektrorollern und einiges mehr. Alles ist zwar nicht unbedingt notwendig, jedenfalls aus meiner Sicht, schadet dem ganzen aber auch nicht und fügt sich recht gut ins Spielgeschehen ein. Rita Lucia Schneider hat demzufolge eine völlig neue Fassung von „Die Drei von der Tankstelle“ geschrieben.
Die Geschichte der kleinen musikalischen Filmrevue oder auch Filmoperette von Werner Richard Heymann ist schnell erzählt. Drei junge Burschen betreiben zu dritt eine Tankstelle. Einer der Freunde, Kurt, hat diese von seinem Onkel vererbt bekommen (so in der neuen Fassung). Sie sind richtig gute Freunde geworden und teilen die Arbeit unter sich auf, wobei der Arbeitseinsatz untereinander recht unterschiedlich ist, so wie die jeweiligen Eigenarten der Drei. Willi, ein Erfinder, der vieles – auch manches unnütze – entwickelt und immer versucht am Puls der Zeit zu sein, Hans, der Aufwiegler, der Revolutionär, der gerne auch einmal etwas selbstgedrehtes raucht, was er auch gleich selbst anpflanzt und Kurt, der vornehme Adelige, der glaubt über allen Dingen zu stehen und sich auch eigentlich für etwas Besseres hält. Durch Schlamperei und nicht bezahlte Rechnungen droht Ihnen die Pleite und der Konkurs der Tankstelle. In diesem Moment kommt eine reiche, etwas verwöhnte, aber entzückende junge Dame vorbei und freundet sich mit den dreien an, wobei keiner weiß, dass sie auch die anderen kennengelernt hat. Bei einem Fest ihres sehr reichen Vaters treffen alle aufeinander, es gibt eine zünftige Rauferei unter den Freunden, die Freundschaft droht zu zerbrechen. Aber das süße Mädel renkt alles wieder ein, einem der Dreien ist sie besonders zugetan und die Tankstelle wird vom Papa übernommen, besser entschuldet und von den dreien, die wieder Freunde geworden sind, weiter betrieben.
Christian-Andreas Engelhardt – Tobias Engelhardt – Harald Wurmsdobler – Julia Domke
Als Lilian Coßmann weiß sich die blutjunge Sopranistin Julia Domke gut in Szene zu setzen. Mit klarem, stimmschönem, weichem und ausdrucksstarkem Sopran kann sie das „süßeste Mädel der Welt“ adäquat verkörpern und nicht nur die Herzen der drei jungen Herren gewinnen. Ihren Papa wickelt sie sowieso um den Finger. Vor allem auch darstellerisch macht sie eine sehr gute Figur und bietet insgesamt eine mehr als rollendeckende ausgezeichnete Leistung. Ihr Papa, Herr Coßmann, wird von dem in Wilhelmshaven geborenen Bariton Michel Mrosek dargestellt (der auch gleichzeitig in die Rolle des Herrn Mondschein schlüpft). Sowohl darstellerisch, als auch vor allem stimmlich, mit einem wohlklingendem, voluminösem, kraftvollem und durchschlagendem Bariton versehen, weiß er mehr als zu punkten. Zum sogenannten Energie-Themenpark hält er eine große feurige Rede zur Energiewende und zum Klimaschutz, mit der Aufforderung am Schluss, seinen Fernseher doch mit einem Hometrainer zu betreiben, das heißt den Strom per Fußarbeit selbst zu überzeugen. Das Publikum spendete hier viel Beifall. Seine Bühnenpräsenz ist greifbar und alles in allem eine mehr als überzeugende Leistung. Als seine Lebensgefährtin Edith von Turoff (ebenso wie als mehr als energische Anwältin Frau Dr. Kalmus) weiß die in Wien geborene Rita Lucia Schneider Ausrufungszeichen zu setzen. Neben ihrer beeindruckenden Regiearbeit, zeigt sie mit ihrem sehr schönen, vollen, runden, aufblühenden und ausdrucksstarken Mezzosopran, dass sie mehr als beeindrucken kann. Als sie dann in der Rolle der Anwältin singend durch die Reihen geht und den Herren über die Wangen und Köpfe streicht, ist vor Begeisterung kein Halten mehr.
Harald Wurmsdobler-Michael Mrosek-Tobias Engelhardt-Julia Domke-Rita Lucia Schneider – Christian-Andreas Engelhardt
Als Kurt, dem blaublütigen der drei Freunde, tritt der Intendant der Sommeroperette Heldritt auf, der in Münzkirchen, in Oberösterreich geborene Tenor Harald Wurmsdobler. Mit warmem, ausdrucksvollem, beweglichem und stimmschönem Tenor haucht er der Rolle als blasiertem Adeligen Leben ein. Dass er daneben natürlich auch darstellerisch aus dem Vollen schöpft und seine Figur geradezu zelebriert, brauche ich wohl erst gar nicht zu erwähnen. Er ist die Seele der Sommeroperette und dies merkt man auch. Wie jedes Jahr freut man sich auf seinen Auftritt, Künstlerblut ist etwas, was in den Adern rollt und was man nicht kaufen oder erlernen kann. Der in Coburg geborene Tenor Christian-Andreas Engelhardt ist kurzfristig als Hans eingesprungen und kann mit seinem kraftvollem, durchschlagskräftigem Tenor überzeugen. Seine Rolle als haschbesessener Revolutionär, der mit Kampfplakaten auf die Straße geht, füllt er mehr als aus. Wieder einmal eine ganz tolle Leistung. Vor allem bemerkenswert ist auch, dass hier nun beide Brüder in einer Hauptrolle zusammen auftreten. Denn der ebenfalls geborene Coburger Tenor Tobias Engelhardt ist in der Rolle des Technikfreaks, des etwas vergeistigten Tüftlers und Bastlers Willi zu erleben. Und er, der sonst eigentlich mehr in kleineren, vor allem spaßigen humorvollen Rollen zu sehen ist, zeigt mit der Partie des Willi, der schließlich das süßeste Mädel der Welt gewinnen kann, eindrucksvoll seine Fähigkeiten. Gesanglich, wie immer, mit klarem schlankem weichem Tenor versehen, kann er, vor allem auch darstellerisch, noch eine große Schippe zulegen. Bei ihm merkt man immer wieder, dass ihn die Bretter, die die Welt bedeuten nicht loslassen – und das ist mehr als gut so. Als Radfahrer und als Chauffeur vervollständigt Andreas Truckenbrodt einwandfrei die Riege der Darsteller.
Wieder einmal ist Heldritt ein Erlebnis, ein Gesamtkunstwerk, ich wünsche weiterhin alles erdenklich Gute und eine tolle Entscheidung für die Operette 2023 – und da hoffe ich, dass sich die Waldbühne wieder füllt und möglichst viele den Weg nach Heldritt finden. Die Sommeroperette Heldritt hat es mehr als verdient.
Manfred Drescher 17.08.22
Bilder (c) Yvonne Bamberg/Alexander Grubert, Bild 2 und 3 Friedhelm Wölfert
Bild 4 Eigenaufnahme (c) Der Opernfreund