Wien: Lukacs/Lidberg/Duato

Wiener Staatsoper, 04.03.2020 Première

Unermüdliches Wirbeln

Die letzte Ballettpremière vor der Nurejew Gala 2020 in der Ära Legris stand im Zeichen der zeitgenössischen Choreographen Andras Lukacs, Pontus Lidberg und Nacho Duato.

Mit dem bereits 2017 an der Wiener Volksoper uraufgeführten Werk „Movements to Stravinsky“ von Halbsolist Andras Lukacs wurde die Première eröffnet.

Lukacs kann nicht nur tänzerisch, sondern vor allem choreographisch auf zahlreiche Erfolge in Wien zurückblicken, erstmals reüssierte er 2009 mit der Uraufführung von „Duo“, wo man ebenfalls auf die damals noch im Corps de Ballet tanzende Alice Firenze aufmerksam wurde. Was Lukacs als Choreographen unter anderem auszeichnet ist, dass er die ausgewählte Musik (in diesem Fall die neoklassische Phase von Stravinsky) gekonnt auf seine Tänzer und deren Stärken zuschneidert. Kongenial dazu sind die Kostüme von Monika Herwerth. Eine Handlungsgeschichte ist bei den „Movements“ nicht notwendig, hier steht die Ästhetik im Vordergrund, allen voran die elegante Alice Firenze mit ihrem ebenbürtigen Partner Masayu Kimoto, dann natürlich das besonders geschmeidige Paar Natascha Mair – James Stephens. Quirlig agieren Nikisha Fogo und Richard Szabo, Halbsolistin Iliana Chivarova ist nach längerer Zeit endlich wieder einmal solistisch zu erleben, ebenso sehenswert wie Erika Kovacova mit Zsolt Török (der ausdrucksstarke Tänzer ist nach einer Verletzungspause wieder wie eh und je in Form) und die federleichte Céline Janou Weder mit Gaetano Signorelli und Arne Vandervelde.

Mit grosser Spannung wurde die Uraufführung „Between Dogs and Wolves“ von Pontus Lidberg erwartet. Und wenn im Programm bereits „Das Rudel bei den Proben“ steht, kann man sich auch humoristische Elemente erwarten. Zum Streichquartett Nr. 10 von Dmitri Schostakowitsch hebt sich der Vorhang und neun reizende Mädchen in weissen Tutus (Kostüme: Rachel Quarmby-Soadaccini) tanzen idyllisch in der Abenddämmerung, die Videoprojektionswand (Jason Carpenter) im Hintergrund zeigt Baumstämme, man befindet sich wohl im Wald. Passend zur spannungsgeladenen Musik taucht auf einmal ein Wolfsschatten auf der Projektion auf, und hinter der Wand kommt ein Herr im Anzug hervor, ein steter Wechsel von Soli und Ensemble hält das Publikum in Bann, dazwischen ein gekonntes Spiel mit der Projektionswand, die einen zwischen zwei Welten gefangen hält, die charakterstarke Rebecca Horner mutiert nach kurzer Zeit zu einer verspielten, geschmeidigen Wölfin mit Wolfsmaske und Pfoten, Nikisha Fogo zeigt sich von ihrer lieblichen, aber dennoch sprungkräftigen Seite, Ioanna Avraam und Jakob Feyferlik zeigen ästhetische, fliessende Figuren im Pas de deux, Nina Polakova bezaubert ebenso wie die flinken Herren Davide Dato und Navrin Turnbull. Keck jagen die Herren die Damen, eine Dame geniesst es, von drei Herren umworben zu werden. Eine konkrete Inhaltsangabe gibt es nicht, die Zuschauer sind selbst aufgefordert, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen.

Das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Fayçal Karoui spielt sowohl den Stravinsky, als auch Schostakowitsch hervorragend, ein grosses Lob gilt auch Konstanze Brosch (Oboe), Peter Somodari (Violoncello) und Shino Takizawa (Klavier).

Spannungsgeladen ist der 3. Teil „White Darkness“ von Nacho Duato. Dieses Stück widmete der spanische Choreograph seiner viel zu früh verstorbenen Schwester.

Mit Madison Young und Jakob Feyferlik hat man zwar ein junges, aber keineswegs unreifes Hauptpaar, Feyferlik vermochte bereits in zahlreichen Hauptpartien zu überzeugen (gerne erinnert man sich an seine grossartige Interpretation als Nijinsky) und ist für jede noch so komplizierte Hebung ein sicherer Partner, Young weiss gekonnt, jugendliche Dramatik und den Wechsel zwischen Hektik und Ruhe zu vereinen, man darf sehr gespannt sein, welche Partien die junge Tänzerin in den nächsten Jahren verkörpern wird. Abwechselnd mit den Pas de deux, wo immer wieder weisser Sand von der einen Hand in die andere rieselt (passend zum Vorhang im Hintergrund, der wie ein Sandbild gerafft ist), wirbeln vier weitere Paare (ebenfalls in kleinen Pas de deux und Ensemble) über die Bühne, energiegeladen in raschen, teils auch hektischen und dann wieder fliessenden Bewegungen. Vor allem die unermüdlich hoch springende und präzise Nikisha Fogo, die selbst beim Schlussapplaus keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt, und in allen drei Stücken Höchstleistung bot, sei an erster Stelle lobend erwähnt, ebenso erfreuen Kiyoka Hashimoto, Fiona McGee und Sveva Gargiulo durch Geschmeidigkeit und Präzision.

Bei den Herren gibt es ein kleines Déjà-Vu mit „Skew Whiff“ von Lightfoot und Leon, abwechselnd im Scheinwerferlicht mit besonders schnellen, zackigen Bewegungen – deswegen Déjà-Vu, weil der brillante Masayu Kimoto (welcher vor ein paar Jahren eine der Hauptpartien in „Skew Whiff“ tanzte) den Reigen eröffnet. Sprunggewaltig überzeugen ebenfalls Davide Dato, Géraud Wielick und Arne Vandervelde (wie Nikisha Fogo ebenfalls in allen drei Stücken tanzend).

Einziges Manko an dem Stück ist, dass die Musik (Karl Jenkins) aus der Box kam und etwas laut aufgedreht war und dadurch diverse Schnauber und Schnappatmer von den Musikern (auf der Aufnahme) mitunter etwas störend wirkten.

Jubelnder Applaus für alle Beteiligten. Bedauerlich, dass die insgesamt 5 Vorstellungen bereits am 11. März, also genau 1 Woche nach der Première, abgespielt sind. Vielleicht gibt es ja kommende Saison unter dem neuen Ballettdirektor Martin Schläpfer eine Wiederaufnahme – dies ist aber alles noch Zukunftsmusik.

Katharina Gebauer, 7.3.2020

Bilder (c) Staatsballett

Folgevorstellungen: 6., 8., 10. und 11.3.2020