Wien: „Il trittico“, Giacomo Puccini

Die Wiener Staatsoper begann ihren Opern-Premierenreigen der Saison 2023-24 mit dem vorletzten Musiktheaterwerk von Giacomo Puccini, dem Dreiteiler „Il Trittico“, bestehend aus „Il tabarro“, „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“. Die Regie-Debutantin an der Wiener Staatsoper, Tatjana Gürbaca, erläutert in einem Gespräch mit Dramaturg Nikolaus Stenitzer, dass sie nach eingehendem Studium der drei Einakter eine inhaltliche Verbindung gefunden habe – was ja immer bei Inszenierungen des Trittico die große Frage an die Regie ist. Und zwar macht sie den Ausspruch von Giorgetta in „Il tabarro“: „Wie schwer es ist, glücklich zu sein!“ zur Grundlage ihres Regiekonzepts. Sie will damit zeigen, dass alle drei Werke auf je eigene Art und Weise von Gesellschaftsstrukturen, die dem Glück des einzelnen entgegenstehen, geprägt sind. Mit Glück und Freiheit, der Gürbaca im Wesentlichen die Erfahrung von Glück zuschreibt, sowie der Frage, was beidem entgegensteht, könnte man den gedanklichen Hintergrund zur Wiener Neuinszenierung des „Trittico“ zusammenfassen. Dabei ist Gürbacas Ansicht, dass sich Freiheit nur offenbart, wenn man sie mit jemandem teilen kann, durchaus nachvollziehbar. Damit hat sie einen theoretischen Rahmen für ihr Regie-Konzept geschaffen, der zumindest verständlich ist, was man bei heutigen Regietheater-Auswüchsen ja nicht immer sagen kann.

Il tabarro, © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wie so oft jedoch, gehen auch hier die Intentionen der Regie nicht mit dem Hand in Hand, was man auf der Bühne zu sehen bekommt. Die Vorstellung der Regisseurin um die Problematik des Glücklichseins reduziert sich auf drei rötlich glimmernde Neon-Schriftzüge „Glücklich sein schwer“ über einer für alle drei Stücke von Henrik Ahr im wenig variierenden Licht von Stefan Bolliger geschaffenen Bühne, in der öder Beton vorherrscht und das Geschehen einengt. Der Schriftzug verkleinert sich von Stück zu Stück und besteht in „Suor Angelica“ nur noch aus dem Rest „Sein“, während in „Gianni Schicchi“ im Hintergrund noch das Wort „Glück“ zu erkennen ist – alles dann schon recht zusammenhang- und bedeutungslos und somit wieder einmal die Lektüre des Programmhefts fordernd. Mit ansprechenden und stückebezogenen Bühnenbildern hat es Tatjana Gürbaca ja noch nie so recht gehabt, wie nicht zuletzt ihr auf drei Abende gestutzter „Ring“-Versuch im Theater an der Wien belegte. Dabei ist es im „Trittico“ überhaupt keine ausgemachte Sache, dass die drei Stücke in enger Verbindung zueinander stehen müssen. Allzu oft konnte man sich an völlig unterschiedlichen Interpretationen erfreuen, die aber meist eines widerspiegelten, nämlich dass der Dreiteiler dem Verismo angehört, insbesondere „Il tabarro“.

Statt gewisser veristischer, von Puccini für die Szene am Fluss klar vorgegebener Elemente sehen wir hier in einen Betonkasten mit zwei Spielflächen, in dessen Hintergrund ständig irgendwelche Figuren von links nach rechts ziehen, darunter auch ein Liebespaar. Es muss wieder einmal in weißem Feinripp auftreten, ein langsam zum Überdruss und immer sinnloser werdendes Stereotyp des postmodernen Regietheaters, offenbar besonders in Berlin. Natürlich ist es die Absicht der Regisseurin, sich voll und ganz auf die menschlichen Schicksale der drei Protagonisten zu konzentrieren. Das gelingt mit den Wagner-erfahrenen Michael Volle als Michele und Anja Kampa als Giorgetta vorzüglich, in etwas geringerem Masse mit Joshua Guerrero als Luigi, auch mit einer intensiven Personenregie im kahlen Raum. Aber das Ganze wirkt dennoch lähmend und langweilig, es fehlt der Bühne einfach das Leben des Eleonora Buratto, in dessen Rahmen sich ebenfalls die menschlichen Schicksale inszenieren lassen.

Suor Angelica, © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

In „Suor Angelica“ ist es allein schon wegen der Anzahl der Nonnen, die fast alle einen sängerischen Beitrag liefern, schon besser, obwohl auch hier der einengende Beton-Aufbau der Szene den veristischen Charakter des Stücks vernebelt. Allein die stimmlich starken und menschenverachtenden Auftritte der Fürstin mit der beeindruckend spielenden Michaela Schuster und die immer stärker werdende, in ihrer großen Arie berührende Eleonora Buratto als Suor Angelica vermögen eindrucksvolle theatralische und stimmliche Akzente zu setzen.

Ganz anders dagegen „Gianni Schicchi“. Das Stück strotzt schon von Haus aus vor Komik. Warum muss es nun auch noch in eine venezianische Karnevals-Ästhetik gepresst werden mit allerhand absurden – auch albernen – Kostümen von Silke Willreit. So muss beispielsweise Rinuccio ständig auf einem Stoff-Esel herumhüpfen, der ihn selbst zum Esel und damit zu einem wenig glaubwürdigen Bräutigam für die fesche Lauretta macht. Ambrogio Maestri ist ein herrlicher Schicchi. Er beherrscht die gesamte Tastatur der Rolle und lässt dazu noch seinen kraftvollen, für das italienische Fach ideal geeigneten Bariton erklingen. Maestri ist hier der authentische Komiker ad personam und wirkt deshalb auch am überzeugendsten. Serena Sáenz singt ein herzergreifendes „O mio babbino caro…“ und Bogdan Volkov mit einem nicht wirklich auffallenden Tenor den Rinuccio. Michaela Schuster gibt eine energische und stimmlich akzentuierte Zita. Den Chor der Wiener Staatsoper hatte Martin Schebesta gut einstudiert.

Gianni Schicchi, © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Philippe Jordan fügte mit dem Orchester der Wiener Staatsoper musikalisch das hinzu, was man an den für diese Stücke so typischen Verismo-Farben vermisste, und animierte die Musiker zu Recht engagiertem Spiel. Da kam das Drama um das verlorene Kind der Angelica ebenso stark heraus wie die feinen Absurditäten des hier erst noch verbleichenden Buoso Donati, der übrigens offenbar unbemerkt die ganze Zeit auf der Bühne liegen bleibt – wer weiß schon warum?! So hielt der Abend wenigstens musikalisch das, was man von einem „Trittico“ erwartet, auch wenn eine ganz speziell herausgefilterte Lesart als Regiekonzept auf dem Papier überzeugend klingen mag, aber letztlich thematisch wie dramaturgisch zu sehr einengt.

Klaus Billand, 14. Oktober 2023


Il trittico
Giacomo Puccini

Wiener Staatsoper

Besuchte Vorstellung: Premiere 4. Oktober 2023

Regie: Tatjana Gürbaca
Dirigat: Philippe Jordan
Orchester:
Orchester der Wiener Staatsoper