Wien: „Madama Butterfly“

7.September 2020 Premiere

Es war natürlich kein Abend wie alle anderen. Zwar hat der Auftakt einer neuen Direktionsära immer sein besonderes Flair – aber auf die Zugaben, die Corona zur Eröffnungspremiere der Ära Roscic lieferte, hätte man gut und gern verzichten mögen. Und dennoch muss man dankbar sein, dass die Wiener Staatsoper spielt, wenn auch mit halb besetztem Haus, wenn auch mit Mini-Stehplatz (dafür dürfen im Parterre diejenigen, die eine Karte erwischt haben, auf eigenes zwischen den Stangen aufgestellten Stühlen sitzen!), wenn auch mit „Maske“ vorher und in der Pause. (Dergleichen gilt für blonde Adabei-Diven natürlich nicht, die in der Pause ihre Umwelt ohne Maske und Abstand anfauchte, aber mit so einem MNS wird man ja womöglich nicht erkannt, und wozu geht man sonst in die Oper?) Dass sich der Billeteur für meinen Personalausweis, den ich willig und ungefragt zur Karte präsentierte, nicht im geringsten interessiert hat, will ich ihm nicht zum Vorwurf machen: Das alles spielt sich vermutlich bald ein – und von solchen Kleinigkeiten und einer Schnauze vorm Gesicht wird man sich seine Lieblingsbeschäftigung, in die Oper zu gehen, auch nicht vergällen lassen…

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Nun aber zur Premiere von Puccinis „Madama Butterfly“. Es ist absolut ein Signal, wenn ein Direktor gleich als seine erste Tat die älteste Aufführung, die es im Repertoire gibt, ablöst. Nun hatte die alte Gielen-„Butterfly“, die ja hauptsächlich aus ihrer konventionellen Ausstattung bestand, ihre ebenso konventionellen Qualitäten: „Vom Blatt“ herunter gespielt, wie es damals üblich war, konnten Sänger sich selbst und ihre Individualitäten voll entfalten, weil das Publikum von nichts abgelenkt wurde. Und an Ablenkungen bietet die neue Produktion (auch wenn sie so neu nicht ist) viel – vor allem im ersten und im letzten Akt kommt man aus dem Schauen nicht heraus.

Selbst wenn man die 15 Jahre alte Inszenierung zumindest aus der „Met im Kino“ schon ein paar Mal gesehen hat (am hinreißendsten mit dem Traumpaar Krstina Opolais und Roberto Alagna), fasziniert sie optisch immer wieder. Denn da ist Anthony Minghella, dem mittlerweile auch schon verstorbenen britischen Regisseur (Filmfreunde erinnern sich zumindest an seinen „Englischen Patienten“), etwas Besonderes geglückt. Modern und zeitlos zugleich.

Und dabei hat der Regisseur, dessen Arbeit von seiner Witwe, der aus Hongkong stammenden Regisseurin und Choreographin Carolyn Choa realisiert wurde, keinesfalls die Geschichte vernachlässigt oder das „Japanische“ eliminiert – im Gegenteil. Er benützte die klassischen Elemente dessen, was man mit Japan verbindet, seien es Fächer oder Lampions, Paravants oder Blütenblätter, nicht nur als Stimmung bildende Accessoires, sondern auch als dramaturgische Aussage. Dabei verstärkt das minimalistische, aber durch Deckenspiegel oft raffiniert gedoppelte Bühnenbild von Michael Levine die irisierenden Effekte, und die Kostüme (Han Feng) sind eine ebenso herausfordernde Pracht wie der Einsatz von Solotänzern, wobei etwa im dritten Akt eine Butterfly-Puppe das tragische Schicksal vorwegnimmt, das die originale Butterfly, starr in Erwartung des Geliebten, voraus ahnt…

Auch hat Minghella auf die Kunst des Bunraku zurück gegriffen, jenes choreographische japanische Puppentheater, wo die Puppen von „schwarzen“ Männern geführt werden. Mit einer Puppe als Butterflys Sohn erspart man sich die oft auftretende Peinlichkeit der Bühnenkinder, abgesehen davon, dass das Puppenkind oft echter und ergreifender wirkt, als es ein Echt-Menschlein könnte…

So wird die Geschichte der Butterfly, die in ihrem ersten Auftritt auch wie eine Puppe herbei geführt wird und deren Leiche am Ende von Tänzern mit roten Schleiern ausgestellt wird, in eine stilisierte Japan-Welt versetzt, die das Stück vom Realismus (wie ihn die vorige Inszenierung bot) befreit und in eine Welt des blutigen Gleichnisses stellt…

In diese Atmosphäre der Abgehobenheit passt Asmik Grigorian als eine Butterfly eindeutig der anderen, ungewohnten Art. Sie trippelt nicht und sie jammert nicht, sie ist nicht mädchenhaft naiv und nicht herzzerreißend lieb. Der Umriß ihres Schicksals ist von Anfang bis zum Ende pure Tragik, die schwer durch ihre Venen rinnt. Die durchaus eindrucksvolle Starre ihrer Darstellung – schon als Braut scheint sie zu wissen, dass das nicht gut gehen kann – dupliziert sich in ihrem Gesang. Mit einem Sopran, der in allen Lagen von Schärfe begleitet wird (nur nicht im Piano, aber das kommt kaum vor), bringt sie die Dramatik mit Durchschlagskraft, aber nichts an Wärme, nichts an spürbarem Gefühl, nichts an Belcanto, das ja auch im Verismo erlaubt sein muss. Am Ende steht man ihr mit mehr Bewunderung als Anteilnahme gegenüber, so sehr diese ungewöhnliche Leistung auch ihre Meriten hat.

Von Freddie De Tommaso liest man in „OPERNRING ZWEI“, dem monatlichen Magazin des Hauses, das den „Prolog“ der vorigen Ära ablöst, dass er ein Jungspund ist. Beim Vorsingen in Paris hat er so überzeugt, dass man ihn sofort ins Ensemble nahm und ihm gleich die erste italienische Tenor-Hauptrolle anvertraute. Die Stimme ist nicht edel und wird auch nicht edel geführt, aber sie hat die essentiellen Tenorqualitäten – in Geberlaune schmettert er jeden hohen Ton, der ihm des Weges kommt. Feinschliff wird noch gelernt werden, Wien hat glänzende Korrepetitoren.

Ohne besondere Kennzeichen gab Boris Pinkhasovich einen gewohnt noblen Konsul Sharpless, allerdings mit ziemlich schnarrendem und gelegentlich flackerndem Bariton. Virginie Verrez hat nicht jenen warmen Mezzo zu bieten, mit dem sie den harten Butterfly-Sopran unterfüttern könnte, außerdem wirkt sie wie eine schlecht gelaunte Gouvernante. Von den üblichen Nebenrollen ragte nur der Goro des Andrea Giovannini positiv (und auch darstellerisch sehr präsent) hervor. Fürst Yamadori (Stefan Astakhov) und mehr noch Onkel Bonze (Evgeny Solodovnikov) versanken schier unhörbar in den Klangwellen des Dirigenten. Zwei Mitglieder des neuen Opernstudios durften ihren ersten Einsatz melden: Die Kate Pinkteron (Patricia Nolz) ist bekanntlich gar keine Rolle, da ist nichts zu machen, während der Kaiserlicher Kommissär (Michael Rakotoarivony) das Paar Butterfly / Pinkerton wacker verheiratete…

Am Pult stand gleich zu Beginn Philippe Jordan, ein Musikdirektor, der etwas auf sich hält, betreut die erste Premiere. Besonders liebte er die dramatischen Aufschwünge, dort, wo die Musik aufjauchzt, aufstöhnt, auch aufbrüllt, was nicht heißt, dass von ihm neben solchen Entfesselungen nicht auch feinst ziselierte Stellen zu bekommen waren. Das Problem bei Puccini besteht bekanntlich in den steten, oft abrupten Stimmungsumbrüchen, und das ist eine Frage des Könnens – also fraglos gelungen.

Was ein halb besetztes Opernhaus an Applaus nur aufbieten kann, wurde dieser Premiere gespendet, und das Bravo-Rufen ließen sich die Opernfreunde auch nicht nehmen, Corona hin, Corona her. Da muss man schon tapfer Widerstand leisten – wie es der Wiener Staatsoper auch mit diesem Abend gelungen ist.

Renate Wagner, 10.9.2020

Credits

Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Anthony Minghella
Regie und Choreographie: Carolyn Choa
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Han Feng
Licht: Peter Mumford
Puppendesign und -Regie: Blind Summit Theatre Mark Down & Nick Barnes

Cio-Cio-San: Asmik Grigorian
Suzuki: Virginie Verrez
Pinkerton: Freddie De Tommaso
Sharpless: Boris Pinkhasovich
Goro: Andrea Giovannini
Solotänzerin: Hsin-Ping Chang
Solotänzer: Tom Yang
Kate Pinkerton: Patricia Nolz
Fürst Yamadori: Stefan Astakhov
Onkel Bonze: Evgeny Solodovnikov
Kaiserlicher Kommissär: Michael Rakotoarivony

Nach einer ursprünglichen Koproduktion der Metropolitan Opera, der English National Opera und des Litauischen Nationaltheaters für Oper und Ballett.