Wien: „Madama Butterfly“

Wiener Staatsoper, 26.2.2020

Nach etlichen Jahren besuchte ich wieder einmal eine Vorstellung dieser Puccini-Oper, die im Jahre 1904 ihre Uraufführung erlebte. Sie war zu jener Zeit eine zeitgenössische Oper, sowohl was den Inhalt, aber auch den Musikstil betrifft.

Es hat mich überrascht, wie zeitgemäß und noch immer gültig dieses Stück, das man ja fast – was die Handlung betrifft – als Kammerspiel bezeichnen kann, ist. Es ist hochpolitisch und anti-imperialistisch, zeigt die teils menschenverachtende Einstellung der Personen auf, die Großmächte repräsentieren, und den Versuch von Menschen, die nicht von der westlichen Kultur geprägt sind, sich den neuen Herrschern / der neuen Zeit anzupassen und dabei ihre eigenen Wurzeln verlieren beziehungsweise versuchen zu verleugnen. Ich gebe zu, dass ich durch den Hintergrund des japanischen Teils meiner Familie da sehr sensibilisiert bin – andererseits denke ich, dass ich dadurch etwas mehr Einblick in diese, für Europäer noch immer sehr fremdartige, Kultur besitze.

Das Stück spielt in der Meiji-Ära. 1853 wurde die, während der Zeit der Shogune der Edo-Ära ausgerufene Isolation gewaltsam durch amerikanische Schiffe durchbrochen, das Shogunat in Folge davon aufgelöst und schlussendlich die Meiji-Restauration begonnen. Tenno Mutsuhito erhielt etwas mehr politisches Gewicht als vorher (während der Shogun-Herrschaft hatten die Kaiser mehr repräsentative Aufgaben, wie auch heute sind sie ein wichtiger Teil der Shinto-Religion).

Die Samurais wurden entmachtet, der Satsuma-Aufstand, in dem feudalistische Kreise versuchten, das vorherige Machtgefüge wieder zu etablieren, scheiterte. Das Land erhielt eine neue Verfassung, Handelsverträge mit westlichen Mächten wurden abgeschlossen und Botschaften installiert. Viele Samurai-Familien verarmten und wurden im wahrsten Sinne des Wortes „herrenlos“.

Und hier setzt die Handlung dieser „Tragedia Giapponose“ mit dem Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica (die interessanter am Abendzettel nicht erwähnt werden) an. Cio Cio San wurde in einer wohlhabende Familie geboren, die danach verarmte (man kann davon ausgehen, dass es eine Samurai-Familie war), ihre Mutter musste sich dann als Geisha verdingen – es wird auch davon gesprochen, dass sie selbst als Geisha tätig war. Im Westen denken viele, dass – wenn man von Geishas spricht – es sich da um japanische Prostituierte handelt(e). Dem ist nicht so (obwohl die eine oder andere sehr wohl auch reiche Geliebte hatte), sie waren als Unterhalterinnen ausgebildet. Der Beruf wurde übrigens zu Beginn von Männern ausgeübt! Während der Meiji-Ära waren Geishas schon mehr „Bewahrerinnen der traditionellen Künste“. Zu jener Zeit begann die Ausbildung zu einer Geisha im Alter von ca. 6 Jahren, sechs Monaten und 6 Tagen (heutzutage erst ab dem 17.Lebenjahr!) und man lernt als sogenannte „Meiko“ (tanzendes Mädchen) Kalligraphie, Konversation, Tanz, mehrere Instrumente und die Teezeremonie. Auf Basis all dieser Tatsachen kann man den Zeitpunkt der Oper auf das Ende der 1880er-Jahre verorten.

Nach diesem etwas lang geratenen Exkurs zurück zur Aufführung. Seit über 60 Jahren hält sich die Inszenierung von Josef Gielen im Repertoire, die Ausstattung wurde von Tsugouharu Foujita erstellt. Sie ist praktikabel, erzählt das Stück und kann mit diversen Kleinigkeiten aufwarten, die auch auf die korrekte Zeit, in der das Stück spielt, hinweist. Was von der ursprünglichen Personenregie übriggeblieben ist – das kann ich nicht sagen (ich weiß nicht, ob es von früheren Aufführungen Filmdokumente gibt). Was mir auffiel war, dass zum Beispiel das Schuhwerk der Frauen im 1.Akt zwar für die Bühne sehr praktikabel, aber eher „japanisiert“ als dem Original entsprechend, ist. Ebenso würde absolut niemand (gut, den B.F. Pinkerton und seine Kate nehme ich einmal davon aus, weil dieser „Herr“ sowieso einer der für mich widerlichsten Gestalten der Operngeschichte ist) in ein japanisches Haus mit Straßenschuhen gehen – zumindest Konsul Sharpless hätte das wissen müssen.

So, jetzt einmal genug von diesen Kleinigkeiten, wenden wir uns dem musikalischen zu.

Einen wirklich guten Abend konnte Fabio Sartori für sich beanspruchen. Er war der bei weitem überzeugendste Protagonist, hatte Kraft, sichere Höhen. Darstellerisch war in dieser Produktion nicht wirklich was von ihm verlangt, er konnte sich komplett auf den Gesang konzentrieren, was für ihn hilfreich war.

Der Rest der Herrenriege war ziemlich durchwachsen. Gabriel Bermúdez konnte sich nach der Pause steigern, davor war er schwer hörbar. Er stellte einen soignierten Gentleman dar (fast mehr Brite als Amerikaner), insgesamt hatte ich in dieser Rolle schon beeindruckendere Sänger erlebt. Michael Laurenz als Goro (ein weiterer mieser Charakter) wirkte stellenweise überfordert, über den Rest der Herrenriege breite ich lieber den Mantel des Schweigens.

Valeriia Savinskaia, eine junge Russin, die aktuell als Stipendiatin von Novomatic im Ensemble mitwirkt, debütierte als Kate Pinkerton. Sie hat ein interessantes Timbre, es wäre interessant, sie einmal in einer Rolle zu hören, wo sie mehr als nur eine Stichwortgeberin ist. Figürlich entspricht sie vielen jungen Sängerinnen, die in der Meyer-Ära engagiert wurden.

Ich habe Bonigwe Nakani schon in etlichen Rollen erlebt, überzeugen konnte sie mich nur ein einziges Mal – und das war an der Volksoper als Annie in Porgy & Bess. Ob es am Dirigat von Graeme Jenkins lag, der wie schon zu oft viel zu laut spielen ließ und so die Sänger oft zum Forcieren bewogen hat, oder an der Tatsache, dass die Staatsoper einfach ein zu großes Haus für sie ist, kann ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Ihre Suzuki hinterließ keinen bleibenden Eindruck.

Zum Abschluss noch einige Worte über Sae Kyung Rim, die seit über 10 Jahren die Rolle der „kleinen Frau Schmetterling“ interpretiert. Sie ist besonders in den dramatischen Stellen sehr überzeugend, wenn es um lyrischere Teile geht, ging ein wenig der puccinische Schmelz ab. Sie war aber – neben Sartori – ein gesangliches Highlight des Abends.

Wieder einmal musste ich feststellen, dass neben wirklich guten Sängern der Hauptrollen immer wieder die Comprimarii derart stark abfallen, dass einem das Hörvergnügen auch bei sehr kurzen Rollen regelmäßig verdorben wird.

Das Publikum zeigtes sich nichtsdestotrotz applausfreudig, die beiden Hauptdarsteller wurden entsprechend akklamiert.

Kurt Vlach, 27.2.2020

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