Eine Produktion erst einen Monat nach der Premiere zu rezensieren, erfordert eine Bitte um Nachsicht. Daß die gesehene Vorstellung aber erst die dritte war, verweist entschuldigend auf die etwas ungünstig weit gestreuten Wiederholungstermine. Ist die späte Kritik über das Wuppertaler „Land des Lächelns“ überhaupt lohnend? Daß diese Operette fast nur aus vokalen Hits besteht, hat sie populär gemacht. Die sentimentale Story um die schnell zerbrechende Liebe zwischen einer Wienerin und einem Chinesen ist mit ihren emotionalen Klischees und ihrer rührseligen Machart mittlerweile freilich kaum noch goutierbar. Gravierende dramaturgische Überlegungen hierzu finden sich in dem nach wie vor gültigen „Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“ von Volker Klotz.
„Land des Lächelns“ auf der Bühne heute: das ist wie das Aufschlagen eines Gartenlauben-Buches aus längst vergangenen Zeiten. Dabei legt die Uraufführung des Werkes gar nicht einmal so sehr lange zurück (1929). Was nun hat die Wuppertaler Oper bewogen, diese Operetten-Schmonzette in den Spielplan aufzunehmen? Zu vermuten stehen vor allem pekuniär günstige Umstände. Die Inszenierung von Guy Montavon ist eine Koproduktion von Erfurt (dort wirkt er als Intendant) mit der Oper von Hongkong (jüngst war das Haus mit dem „Holländer“ in Shanghai zu Gast). Die wirklich schicke und opulente Ausstattung von Hsiu-Chin Tsai und Hank Irwin Kittel brauchte nur angekauft zu werden. Montavon überwachte in Wuppertal die letzten Proben, doch offenbar ohne Eingriffe in sein mediokres Konzept.
Das ganze Unternehmen war vom Wuppertaler Intendanten Berthold Schneider vermutlich auch als kulinarisches Häppchen für ein Publikum gedacht, welches von ihm sonst mitunter stark in die intellektuelle Pflicht genommen wird. Bei „Land des Lächelns“ darf man aber die Arme baumeln lassen, den Geist in Ruhestellung verabschieden und ganz der reißerischen Melodienseligkeit Lehárs vertrauen.
Darüber wäre also nicht à tout prix zu berichten. Aber Montavons höchst bescheidene Inszenierung wurde von einem einflußreichen Kritiker als „eine Form von rassistischem Klamauk (bezeichnet), den wir eigentlich überwunden haben.“ Der Intendant stellte sich den Vorwürfen in einem TV-Streitgespräch, ohne daß man sich einigte. Der hier zeichnende Rezensent kann die Anschuldigungen seinerseits nur als überzogen bezeichnen. Zu sehen ist in der Aufführung: ein chinesischer Diener muß im zweiten Akt viermal (wenn richtig gezählt wurde) kastratenhaft bellen, und einmal laufen Männer der Leibgarde dümmlich über die Bühne. Aber das ist schon alles. Dümmliche Regieeinfälle, nicht mehr. Die Wogen haben sich inzwischen vermutlich wieder geglättet. In der gesehenen Vorstellung zeigte sich das Publikum (welches das Auditorium bestenfalls zu zwei Dritteln füllte) angetan, doch ohne die von der Premiere berichteten Euphorien.
Montavons Regie gibt sich auf ziemlich einfallslose Weise konservativ, befiehlt den Darstellern vor allem Herumstehen, dekoratives Sitzen und dem Chor eine Habt-Acht-Choreografie. Mit der von Berthold Schneider hervorgehobenen Ironisierung der Wiener Hofgesellschaft ist es so weit auch nicht her. „Man traut sich „Land des Lächelns“ mit allen Klischees auf die Bühne zu bringen und trifft damit die richtige Entscheidung“, resümiert eine Rezension. Ganz so einfach ist es aber wohl doch nicht.
Auch wenn Lehárs Operette mit der „Entführung“ trotz geografischer Exotik letztlich nicht vergleichbar ist, sei doch auf die Mozart-Produktion an der Oper von Lyon hingewiesen, welche durch die Ausstrahlung auf 3sat am 8. September (weiterhin aufrufbar) vermutlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Dem operndebütierenden Regisseur Wajdi Mouawad gelang (jedenfalls in den Augen des Rezensenten) nämlich etwas Geniales. Er schrieb neue Dialoge und erfand ein Vorspiel hinzu: Belmontes Vater feiert die Rückkehr seines Sohnes. Das Fest artet zu einer vulgären, antitürkischen Veranstaltung aus. Konstanze und Blonde wissen jedoch auch von tiefer Menschlichkeit in den für Europa fremden Kulturen zu berichten. Belmonte und Pedrillo müssen ihre von Vorurteilen durchzogenen Gedanken neu ordnen. Nochmal: ein geniales Konzept. Daß Ähnliches bei „Land des Lächelns“ gelingen könnte, ist schwerlich vorstellbar, aber vielleicht harrt ja irgendwo ein Szenen-Messias. Guy Montavon ist es sicherlich nicht.
Das gute musikalische Niveau der Wuppertaler Aufführung sollte bei alledem nicht verkleinert werden. Ralitsa Ralinova (bereits mit ihrer Gilda nachhaltig aufgefallen) gibt die Lisa mit strahlender Sopran-Emphase (einmal sogar ein perfektes hohes D), eine Leuchtstimme erster Güte. Auch die Mi von Nina Koufochristou gefällt mit quickem Gesang und dem lebendigem Spiel (trotz der ihr aufoktroyierten Albernheiten). Der Gustl von Mark Bowman-Hester wirkt in seiner Leichtstimmigkeit etwas anonym. Hinreißend hingegen der Koreaner Sangmin Jeon. Sein zwar etwas schmaler, aber bei Bedarf steigerungsfähiger Tenor besitzt ein angenehmes Timbre und vermag elegant zu phrasieren. Unter Johannes Pell setzt das Sinfonieorchester Wuppertal Lehárs Musik wirkungsvoll und klangschön um.
Christoph Zimmermann (14.1.2018)