Wuppertal: „Hänsel und Gretel“

Premiere: 9.12.2017, besuchte Aufführung: 23.12.2017

Alle Jahre wieder

Die Konjunktur von „Hänsel und Gretel“ in der Weihnachtszeit ist nicht unbedingt logisch, hat aber nun einmal Tradition. Natürlich wäre es mutiger, etwa Menottis „Amahl“ zu spielen (wie jüngst in Graz) oder die „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens, vor kurzem als Musical in Oberhausen, wo vor langer Zeit auch eine Oper mit diesem Stoff aufgeführt wurde. Wie auch immer: im auslaufenden Jahr 2017 wird die Humperdinck-Oper u.a. an drei Bühnen gespielt, wo namentlich prominente Regisseure das Sagen hatten. Brigitte Fassbaender modernisierte in Braunschweig, Achim Freyer machte an der Berliner Staatsoper aus dem Werk einen „traumhaften Elfenzirkus“, wie in einer maßgeblichen Rezension zu lesen war. Auch die nur halbfertig gewordene Stuttgarter Arbeit von Kirill Serebrennikow machte Schlagzeilen.

Das dürfte im Falle der Wuppertaler Arbeit von Denis Krief wohl nicht passieren, ungeachtet bemerkenswerter Arbeiten von ihm, beginnend mit dem „Benvenuto Cellini“ von Berlioz 1993 an der Pariser Opéra Bastille. Doch fand die Aufführung auch noch am Tag vor Heilig Abend (Ausweichtermin für den durch Winterwetter torpedierten Premierenbesuch) beim Publikum großen Anklang. Es gab sogar Bravorufe, wie sie in einer Repertoireaufführung eher selten vorkommen. Der besuchte Abend besaß auch einen besonderen Erinnerungswert, denn exakt an diesem Tag wurde 1893 am Hoftheater Weimar unter der Leitung von Richard Strauss das Werk aus der Taufe gehoben.

In Wuppertal steht Julia Jones am Pult des städtischen Sinfonieorchesters, als neue Generalmusikdirektorin im Konzertbereich dem Vernehmen nach erfolgreich, beliebt und ideenreich. Ihr Umgang mit der Humperdinck-Partitur ist denkbar Wagner-fern. Gewisse pompöse Klangentladungen lässt auch sie zwar zu, aber immer gibt sie der Musik flüssige Kontur und entschlackt sie alleine durch vorwärts treibende Tempi. Beim Hexenritt und anderen diabolischen Stellen spart sie freilich nicht mit drastischen Effekten. Vor allem die Tuba schiebt sich oft dämonisch ins Klangbild hinein

Beim Hören dieser Aufführung beweist sich wieder einmal, dass die Musik von “Hänsel und Gretel“ von einer besonderen Herzenswärme geprägt ist. Abendsegen und Traumpantomime mit ihrem fast schon spirituellen Charakter können zu Tränen rühren. Dennoch sei ein besonderes Loblied auf die „Königskinder“ angestimmt, die vielleicht noch bessere oder anders gesagt: anspruchsvollere Oper. Erfreulicherweise wird sie inzwischen immer wieder mal gespielt. Eine „Kinder“oper ist sie freilich nicht. Also weiterhin Weihnachten mit „Hänsel und Gretel“.

Denis Krief ist Regisseur, Ausstatter und Lichtdesigner in einer Person. „Ich möchte, dass Kinder in die fantasievolle Welt des Märchens durch den Zauber des Theaters eintauchen.“ Ob ihm das wirklich gelungen ist, müsste man schon aus Kindermund erfahren. Aber auch als Erwachsener kann man sich mit der Inszenierung einverstanden erklären. Es herrscht unverkrampfte Munterkeit und Betriebsamkeit, der Handlung wird kein intellektuelles Konzept aufoktroyiert. Zu den besonders glücklichen Regieideen gehört das herzliche Verhältnis von Besenbinder Peter und seiner Frau Gertrud, bei dem sogar noch eine leichte Alterserotik festzustellen ist. Große „Neuigkeiten“ vermittelt die Inszenierung freilich nicht. Dass die 14 Engel von einer übermütigen Kinderschar dargestellt werden, ist allerdings neu – und nur bedingt überzeugend.

Einwände sind vor allem gegen die Ausstattung zu erheben. Die holzverschalte Besenbinderhütte ist reichlich groß für eine arme Familie, allerdings eignen sich die Wände so für die rauschhaften Projektionen bei Peters Schilderung der Hexe. Projektionen sind überhaupt integraler Bestandteil beim Dekor, vor allem mit unterschiedlichen Visualisierungen von Waldatmosphäre. Die in der Bühnenmitte platzierten nüchternen, gazebespannten Stellwände (auch für Projektionen tauglich) sind freilich eine optische Zumutung, sie entromantisieren die angestrebte Atmosphäre fast völlig. In der gesehenen Aufführung wertete das (von vielen Kindern) durchsetzte Publikum dies aber nicht als Sünde.

Die sängerische Besetzung ist in Wuppertal ganz und gar großartig. In der Rollenabfolge des Programmheftes … Simon Stricker gestaltet Peters Auftritt fast schon wie eine Verdi-Arie, mit warmem Timbre und ausgesprochen kantilenenschön. Dass der Figur dadurch ein wenig Rustikalität entzogen wird, nimmt man gerne hin. Bei der Gertrud wartet Belinda Williams (Gast aus London) zwar mit einem in der Höhe etwas scharfen Sopran auf, aber das passt zu der Figur, die auch darstellerisch sehr gerundet wirkt. Catriona Morison (Hänsel) war kürzlich Gewinnerin beim Wettbewerb „BBC Cardiff Singer oft he World“. Ihr Mezzo leuchtet und strahlt. Von dieser Octavian-flammenden Stimme dürfte man in Zukunft noch viel hören. Launiges Spiel wie bei ihr ist auch bei Ralitsa Ralinova zu finden. Die schon als Gilda so überzeugende Sopranistin macht aus der Gretel eine mädchenhaft charmante Figur und singt bilderbuchhaft und höhensicher. Die stimmlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten von Mark Bowman-Hester möchte man nach den Hexen-Bizarrerien nicht festlegen. Vokale Krassheiten sind als Rollenfarbe hier ja durchaus zu akzeptieren. Auf nette Weise präsentiert Nina Koufochristou das pierrothaft gekleidete Sand- und Taumännchen.

Christoph Zimmermann (24.12.2017)

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