Wuppertal: „Play Europeras 1 & 2“, John Cage

Premiere am 2.2.2019

Spannend, unterhaltsam, herausfordernd!

Play* Europeras 1&2 ist im eigentlichen Sinne keine Oper, sondern eine Anti-Oper, die John Cage als Auftragsarbeit für Heinz-Klaus Metzger und Reiner Riehn schrieb. Die Uraufführung war 1987 in der Frankfurter Oper unter Gary Bertini. Cage zeichnet sich durch einen typischen, experimentellen Stil aus und war entscheidend an der Entwicklung des Happenings als Kunstform beteiligt. Er war Mitbegründer der Fluxusbewegung und stand gewissermassen mit allen für diese Zeit bedeutenden Künstlern in Kontakt. Cage komponierte nicht eine einzige Note selbst und sagte: „200 Jahre haben uns die Europäer ihre Opern geschickt, nun schicke ich sie alle zurück.“

Es gibt keine Handlung, sondern nur eine Zusammenfassung im dadaistischen Stil, die aus diversen Opernlibretti zusammengestellt wurde. Daniel Wetzel, der Regisseur bildet unter dem Label Rimini-Protokoll seit 2000 ein Autoren-Regie-Team zusammen mit Helgard Haug und Stefan Kaegi. Zu der heutigen Inszenierung sagt er selbst sinngemäß: es ist eigentlich keine Aufführung für einen Opernfan, eher für diejenigen, die sich für den Sound begeistern können. Er zeigt Dinge und Menschen, die man sonst nicht sieht, Statisten, die für gewöhnlich nur zu Beleuchtungsproben etc eingesetzt werden. An diesem Abend sind sie aktiv ins Geschehen eingebunden, tragen Schilder, agieren mit Scheinwerfern, schieben Bühnenteile… Nachfolgend „Lichtstatisten“

Alles an diesem Werk ist zufällig und wird basierend auf dem I-Ging ausgelost, bzw gewürfelt. Fest steht nur die Bühne, die aus einem 64 Felder zählenden Schachbrett besteht in dem die unterschiedlichen Aktionen stattfinden. Ob nun Bizet, Wagner, Mozart oder oder zu erkennen ist liegt auch daran, worauf sich der Besucher konzentriert, denn es ist unmöglich den Gesamteindruck in sich aufzunehmen. Die Orchestermusiker spielen ebenfalls nur Bruchstücke, die wiederum auch nichts mit dem auf der Bühne dargestellten zu tun haben. Wer wo, was, wie lange tut, welches Requisit dazu eingesetzt wird, wer welches Kostüm trägt und welche Aktion dazu ausgeführt wird, nichts, wirklich nichts passt zusammen. Auch welche Arie, oder auch nur Sequenz einer Arie, gesungen wird, ist dem Prinzip des Auswürfelns überlassen. Der Dirigent wird durch eine Uhr ersetzt, die alles vorgibt und so dauert auch Teil 1 exakt 90 Minuten und Teil 2 dann 45 Minuten. Was daraus entstand, ist gewöhnungsbedürftig und wer vollkommen unvorbereitet diesen Abend besucht, der dürfte auch gänzlich überfordert sein.

Der erste Eindruck hat etwas von Anarchie, jeder macht, was er will, keiner was er soll, aber alle machen mit. Tatsächlich trügt dieser Eindruck, denn so ein gigantisches Machwerk funktioniert nur durch ein perfektes Ineinandergreifen aller beteiligten Rädchen einer Maschinerie. Bei einem so unkonventionellen Gesamtwerk ist es dann auch kein Wunder, dass einige Musiker im Zuschauerraum verteilt waren, dass das Publikum zur Interaktion aufgefordert wurde mittels Karten, die unter den Sitzen lagen damit man „seine“ zugeordnete Aktion zum richtigen Zeitpunkt ausführt. Noch skurriler wurde es dadurch, das Teil 2 vor Teil 1 gespielt wurde. Zum Ende von Teil 2 wurde dann auch auf von den Lichtstatisten getragenen Schildern eine Erklärung zum Abend und eine Einleitung zu Teil 1 projiziert. Teil 2 lebte nur durch Videos auf Leinwänden und bis auf die instrumentale Begleitung kam lediglich Gesang aus der Konserve. An darstellenden Personen gab es in diesem Teil lediglich einen Violinisten auf der Bühne und Lucia Lucas, die in verschiedenen Kostümen auf der Bühne agierte, dies jedoch lediglich optisch und ohne Ton. Die Videos wurden in verschiedenen europäischen Städten aufgenommen und unterschiedliche Künstler sangen dort mitten im ganz normalen Alltagsleben.

Der rote Faden des Abends waren auf Schildern projizierte, auf Wände geschriebene, auf Leinwänden gemalte Gedanken zur Zukunft Europas, die von den oben erwähnten „Lichtstatisten“ vorher stellvertretend für Europas Bevölkerung, ausgedrückt, wie alles ausgewürfelt und dann in die Inszenierung eingebunden wurden. Es spiegelte die Sorgen, Ängste und Wünsche der Menschen wieder. Will man den Abend beschreiben, so kann lässt sich das wohl am besten so tun: Ein wirklich monumentales, technisches Meisterwerk, aber ein gefühlskaltes Konstrukt, was der heutigen Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Jeder für sich in seinem Hamsterrad. Der Abend hatte in diesem Sinne mehr therapeutischen Wert, als sich als Kunstgenuss darzustellen.

Die künstlerische Leistung, die wirklich alle, die auf der Bühne und im Orchestergraben agierten geleistet haben, kann man hingegen nicht deutlich genug herausheben. Es erfordert eine ungeheure Disziplin und enormes Können, so etwas fragmentarisches ausdrucksstark und qualitativ so hochkarätig zu leisten. Chapeau auch für das gesamte technische Personal, was so ein komplexer Abend an Logistik für Bühnenarbeit, Beleuchtung, Requisite und Kostüm erfordert kann man wohl nur nachempfinden, wenn man selbst die Seite hinter dem Vorhang kennt.

Fazit: es war spannend, unterhaltsam, anstrengend und das nicht wenige den Saal schon ab der 14. Minute verlassen haben und dies fortlaufend bis zur Pause, war einerseits ein wenig nachvollziehbar, andererseits jedoch sehr schade. Denn es war eine Erfahrung, die einen über den Tellerrand schauen ließ und das kann nur den Horizont erweitern. Diejenigen, die bis zum Ende der Vorstellung blieben, sparten denn auch nicht mit Applaus und Bravorufen. Man muss sich einlassen können, dann ist diese Inszenierung eine Bereicherung für jeden Einzelnen, denn wohl jeder kann daraus etwas mitnehmen, egal, was, auch das ist eine Sache dessen, auf was man sich selbst an diesem Abend fokussiert.

Fotos @ Jens_Grossmann

Rene Isaak Laube 5.2.2019

Übernahme von unseren Freunden DAS OPERNMAGAZIN

„Play* Europeras 1&2“ im Theater Wuppertal – spannend, unterhaltsam, herausfordernd!