Magdeburg: „Richard Löwenherz“, Riccardo Primo

Besuchte Aufführung am 16.03.18 (Premiere am 10.03.18)

Vertane Chance

Alle zwei Jahre wird in Magdeburg der große Tonsetzer-Sohn der Stadt, Georg Philipp Telemann, mit den Telemann Festtagen mit zahlreichen Konzerten und einer Preisverleihung gefeiert, naturlich beteiligt sich auch das Theater Magdeburg dabei und hat schon viele interessante Ausgrabungen um das immer noch verkannte Musiktheaterwerk des oft als "Vielschreiber" abgetanen Komponisten gehoben, und dabei gezeigt das die Quantität von Telemanns Schaffen der Qualität keinen Abbruch macht. Dieses Jahr hat man sich einer besonderen Rarität aus dem Wirken des Theaterpraktikers als Leiter der Hamburgischen Gänsemarktoper angenommen: "Der misslungene Brautwechsel oder Richard I. König von England". Dahinter steckt eine zeitübliche Bearbeitung des "Riccardo Primo" von Telemanns Studienfreund Georg Friedrich Händel, dessen Werke damals eine große Beliebtheit in Hamburg besaßen.

Die Bürgeroper hatte gegenüber der Adelsoper in London ihre eigenen Spielarten entwickelt; die italienischen Arien Händels wurden übernommen, doch Christoph Gottlieb Wend ( der Dichter des wunderbaren Librettos für Telemanns "Emma und Eginhard") schuf neue Rezitativtexte, in für unsere Ohren herrlich verschwurbeltem, norddeutschen Barockton, auch fanden zwei komische Personen mit deutschen Texten Aufnahme in das Werk. Telemann schuf die Rezitative und neuen Arien dazu. Eine Aufführung in Originallänge wäre für ein heutiges Stadttheater schwer zu handhaben, so hatte man den Abend auf immerhin stattliche dreieinviertel Stunden eingedampft. So weit , so gut, klingt alles sehr spannend und aufführenswert, doch leider geriet die Ausführung zu einer sehr zähen Angelegenheit.

Michael McCarthy hat als Regisseur durchaus Erfahrung mit Musiktheater und hatte in Magdeburg wohl erfolgreich Philipp Glass`"Der Prozess" inszeniert, zeigt sich bei Telemann jedoch als nicht barocktauglich. Nach einem durchaus eindrucksvollen Anfangsbild, versiegten die Ideen des Regisseurs schlagartig und außer emotionalem Herumgerenne mit Schwertgeplänkel tat sich nichts. Die Personnage der Oper blieb schlichte Figurine, statt lebendigem Charakter. Bühnenarbeiter reichten Requisiten an und ab, mit denen auch nicht allzu kreativ umgegangen wurde. Der Höhepunkt von der Bühnentechnik aufgeschüttete Erdhaufen, die dann wieder von der Bühne gefegt wurden; warum? Fragen Sie mich nicht! Die Ausstattung von Simon Banham sieht auf der leeren Bühne lediglich barocke Wolken als Soffittenhänger vor, die verschoben werden; hübsch anzusehen , doch das kennt man nach fünf Minuten. Banhams Kostüme bieten solide historisierende Couture. Szenisch ist das alles für so einen Abend deutlich zu wenig.

Auch die musikalische Seite macht nicht glücklich, denn die gemischte Besetzung; aus Sängern des Hauses wie Gastsängern, bewährt sich nur teilweise. Am genreaffinsten ist Filippo Mineccia, der als Countertenor schon vom Stimmfach weiß wie es geht, hier blitzen die Koloraturrouladen im Affektzustand, wie es sich gehört. Die Haussänger sind zwar keine genuinen Solisten für dies Fach, doch als "Allround-Talente" ,von Alter Musik bis Moderne wird alles in Magdeburg gefordert, zeigen sie eine gute Ensembleleistung. Johannes Wollrab in der Titelpartie singt die Senesino-Partie des Riccardo, der Händel-Kastrat war ein Star seiner Zeit, Wollrab ist Bariton, denn auch Telemann hat die Partie für Hamburg schon für einen Bariton oktaviert. Der Sänger schmeißt sich voller Verve in die anspruchsvolle Koloratur-Achterbahn und leistet Erstaunliches, seine Rezitative geraten sehr charismatisch, wie bei Raffaela Lintl, einer ausgezeichneten Rusalka in dieser Spielzeit. Die Sopranistin gestaltet die Figur der Formosa eindrucksvoll mit stattlichem Klang aus. Auch Florentina Soare als Philippus gefällt mit anmutigem Mezzosopran und leider nur einer Arie.

Das Problem sind die Sänger des Opernstudios (!) der Opera Fuoco in zwei Hauptrollen. Erst noch einmal eine Feststellung: Händel hat für die besten Sänger seiner Zeit geschrieben, die Partien sind also sehr anspruchsvoll, kann man diese Partien mit Sängern eines Opernstudios besetzen. Der Abend sagt uns deutlich: nein! Juliette Allen sieht als Berengera wirklich bezaubernd aus, stimmlich ist sie schlichtweg überfordert, was ihr deutlich anzusehen ist. Ständig wird nach der rechten Intonation gesucht, einige Töne sind einfach falsch und eine Ohrenpein. Die Mittellage klingt passabel, die Höhe wird schmal, spitz und flach, zumal ein uncharmantes Flackern keinen Spaß macht. Louis Roullier als ihr Vater Isacius bringt von der Stimmfarbe immerhin einen schönen Bassbariton mit, doch wie singt er ? Die Stimme hat oft keinen richtigen Fokus, man sieht, daß er singt, dann kommt irgendwann der Ton an, dazu von unten hochgezogen und unschön behaucht. Da fehlt, meines Erachtens, noch ganz viel Arbeit an der Gesangstechnik, es tut mir ja auch leid, das einmal so deutlich schreiben zu müssen. Beiden haftet eine gruselige Aussprache der deutschen Rezitativtexte an.

Wäre noch das komische Paar, das als zeitgenössische Opernbesucher aus dem Publikum kommen. Zum einen die Murmilla von Marco Angioloni, hier findet sich echtes Bühnentalent, ein interessanter Tenor, gesanglich, sprachlich prima, eine "alte Schachtel", die sich richtig derb mit dem Philosophen Gelasius streitet Ebenfalls eine Travestierolle. Alexia Macbeth ist Mezzosopran, lässt sich aber rein gesanglich schlecht beurteilen , denn in ihrer Albert-Einstein-Maske nutzt sie sehr außersangliche Mittel um komisch zu wirken, ein bißchen stimmliche Geisterbahn, die ich persönlich nicht goutiere, auch eine sprachliche Souveränität, wäre für diese Partie wichtig.

Die Magdeburgische Philharmonie spielt einen sauberen barocken Telemann, doch irgendwie wirkt David Stern am Pult nicht inspirierend. Der Klang wirkt sehr trocken, die Musik will nicht schwingen, ja Barock "swingt". Vielleicht ist dieser Ton auch einfach der Bewältigung der Sänger mit der Musik geschuldet, denn gerade bei den "Problemfällen" tritt dieser Fall gravierender auf. So blieb der Abend ziemlich unbefriedigend, ja zäh und eigentlich langweilig.

Interessanter dagegen eine Veranstaltung der Fedora-Stiftung am 11.03.18 am Magdeburger Theater, die sich mit dem Thema der Finanzierbarkeit von Oper und Ballett bei immer einschränkenderem öffentlichen Geldbeutel befasste. Die Fedora-Stiftung handelt europaweit und arbeitet schon mit diversen Theatern in verschiedenen Ländern zusammen, es gibt hier sogar für einzelne Projekt Fördergelder zu erlangen. Das Theater Magdeburg sitzt bereits im Zug; so gibt es für die nächste Spielzeit eine Unterstützung einer Uraufführung: "The true story of King Kong" wird eine Koproduktion der Magdeburger Opernsparte mit den ansässigen Puppenspielen, es bleibt also doch spannend an der Elbe!

Martin Freitag 21.3.2018

Bilder (c) Theater Magdeburg