Berlin: „La Sylphide“

Vorstellung am 1.3. 2019

Romantisches Erbe beim Staatsballett Berlin

Das romantische Ballett La Sylphide mit der Musik von Herman Severin Løvenskjold und der Choreografie von August Bournonville wurde in Berlin schon mehrfach gezeigt – 1982 vom Ballett der Deutschen Oper und 2008 beim Staatsballett Berlin. Dort gab es nun eine Neuproduktion, die vom langjährigen Künstlerischen Leiter des Königlich Dänischen Balletts, Frank Andersen, und seinen Assistentinnen Eva Kloburg und Anne Marie Vessel Schlüter, beide gleichfalls Spezialistinnen für den Bournonville-Stil, einstudiert wurde. Damit war eine authentische Wiedergabe des Geschehens um den jungen James garantiert, der zwischen seiner Verlobten Effie und einer seltsamen Sylphide hin- und hergerissen ist und das fremde Wesen am Ende durch das tückische Werk der Hexe Madge verliert. Marie í Dali verantwortete die romantische Ausstattung von märchenhaftem Zauber – im 1. Akt ist es ein rustikaler Raum mit hölzernem Gebälk, der später mit weißen Blütengirlanden geschmückt wird, denn die Vorbereitungen für die Hochzeit von James mit Effie sind in vollem Gange. Doch zunächst ist er in einem Lehnsessel am Kamin eingeschlafen, zu seinen Füßen sitzt die Sylphide, die ihn liebt und küsst, nach seinem Erwachen aber durch den Kamin entschwindet. James ist gefangen von ihrem Liebreiz und folgt ihr in den Wald, während Effie untröstlich zurückbleibt. Die zauberische Waldlandschaft im 2. Akt mit einem schottischen Hochgebirge im Hintergrund ist ein Juwel atmosphärischer Bühnengestaltung. In giftig grünes Licht (Ellen Ruge) ist der Kessel getaucht, in welchem Madge ihren Zaubertrank braut und einen rosa Schleier webt, welcher der Sylphide zum Verhängnis wird. Denn auf Geheiß der Hexe hüllt James sie in den Schleier ein – ihrer Freiheit beraubt, muss sie sterben. Bald darauf sieht man sie, von ihren Schwestern getragen, durch die Luft schweben – ein besonders wirkungsvoller Effekt der Bühnentechnik.

Für die Titelrolle wurde die russische Tänzerin Maria Kochetkova als Gast verpflichtet. Sie ist ein zartes Geschöpf, reizend und petite, kokett und verspielt, leichtfüßig und gewandt. Das ätherisch-überirdische Wesen freilich entdeckte ich bei ihr nicht, sie blieb mir insgesamt zu heiter und auch tänzerisch nur im soliden Bereich. Von den erkrankten Daniil Simkin hatte Marian Walther die Rolle des James übernommen, die er souverän ausfüllte und vor allem in seiner Variation im 2. Akt mit exakter Fußarbeit, schnellen Schritten und hohen Sprüngen brillierte. Seine Effie war in Gestalt von Alicia Ruben ein beinahe noch kindliches Mädchen, Ulian Topor als ihr Begleiter und späterer Bräutigam Gurn nahm durch seine sympathische Erscheinung für sich ein. Die Hexe Madge war hier nicht en travestiebesetzt, sie ist auch nicht festgelegt auf ein bestimmtes Geschlecht, aber mir scheint sie dennoch in der Interpretation durch einen männlichen Tänzer (wie Michael Banzhaf 2008) reizvoller. Hier war es Aurora Dickie, die sich jede Übertreibung versagte, aber dennoch eine Gestalt von plastischer Kontur auf die Bühne brachte. Überraschend scheint sie in dieser Version am Ende mit ihrer dämonischen Aura sogar James zu Tode zu bringen. Perfekt studiert präsentierte sich das Corps de ballet – ob als schottische Landsleute oder als luftige Sylphiden.

Henrik Vagn Christensen brachte mit dem glänzend aufgelegten Orchester der Deutschen Oper Berlin die Musik des norwegischen Komponisten zu effektvoller Wirkung. Schwung, Brillanz, Schmiss und sublime instrumentale Details vereinten sich zu einer attraktiven Klangpalette. Ganz zu Recht wurden Dirigent und Orchester am Ende vom Premierenpublikum wie die Tänzer herzlich gefeiert. Dennoch verließ man die Premiere mit nur einer Stunde Tanz etwas unbefriedigt. Der ursprünglich vorgesehene Anhang, nämlich der 3. Akt aus Bournonvilles Napoli, der dann leider gestrichen wurde, hätte dem Abend ganz sicher noch einen virtuosen Höhepunkt verliehen.

Bernd Hoppe 8.3.2019