Krefeld: „Sunset Boulevard“

Premiere: 12.03.2022, besuchte Vorstellung: 25.03.2022

Träume aus Licht

Lange mussten sich die Zuschauer am Niederrhein gedulden. Ursprünglich war bereits für die Spielzeit 2019/2020 das Musical „Sunset Boulevard“ mit der ganz wunderbaren Musik von Andrew Lloyd Webber angekündigt worden. Die Premiere sollte am 02. Mai 2020 im Theater Mönchengladbach stattfinden. Und dann kam bekanntlich alles ganz anders. Doch schon damals versprach Michael Grosse, Generalintendant am Gemeinschaftstheater Krefeld-Mönchengladbach, dass möglichst kein Stück „verloren gehen“ würde. Und so konnte das Musical in diesem Monat endlich seine Premiere feiern. Diese fand nun allerdings nicht in Mönchengladbach, sondern in Krefeld statt, in Mönchengladbach wird das Stück wohl in der kommenden Spielzeit zu sehen sein.

Basierend auf dem im Jahr 1950 gedrehten Spielfilm-Klassiker von Billy Wilder schuf Andrew Lloyd Webber viele Jahre später ein Meisterwerk des Musicals, welches 1993 in London uraufgeführt wurde. Zum Inhalt nur ein paar kurze Worte, da dieser sicherlich vielen Lesern bekannt ist. Der Stummfilm ist tot, es lebe der Tonfilm. Mit dieser Entwicklung endeten in Hollywood Ende der 20iger Jahre so manche Karrieren. Auch Norma Desmond will einfach nicht wahrhaben, dass ihre Glanzzeit längst erloschen ist. Inzwischen lebt sie zurückgezogen in einer luxuriösen Villa am Sunset Boulevard in ihrer eigenen Traumwelt. Unterstützung findet sie nur noch in ihrem Butler Max. Als sich die Wege von Norma Desmond mit denen des chronisch bankrotten Drehbuchautors Joe Gillis kreuzen, beginnt eine Tragödie größten Ausmaßes. Gleich zu Beginn des Stückes stellt sich für jeden Regisseur hier die Frage, wieviel man von dieser Tragödie in der Inszenierung vorwegnehmen möchte. Beginnt man lediglich mit einem Polizeieinsatz am Sunset Boulevard oder zeigt man gleich die Leiche im Swimmingpool und lässt analog zum Film lediglich die Umstände des Todes im Unklaren? Mir persönlich gefällt die erste Variante deutlich besser, in diesem Fall hat sich Regisseur Francois De Carpentries allerdings für die zweite Version entschieden. So ist es auch verzeihlich oder sogar konsequent, dass das Programmheft auf der Titelseite ausgerechnet diese Eröffnungsszene abbildet und in der Handlung entsprechend auf den Tod von Joe Gillis eingegangen wird. Nichtsdestotrotz hat De Carpentries hier zusammen mit seinem Team (Bühne: Siegfried E. Mayer, Video: Aurélie Remy, Kostüme: Karine Van Hercke) eine ganz wunderbare und stimmige Inszenierung geschaffen, die dem Gemeinschaftstheater auch bei der Anzahl der mitwirkenden Personen auf und hinter der Bühne einiges abverlangt. Immer wieder streut er geschickt Bezüge zu den großen Filmen der 50er-Jahre ein.

Übermäßiger Bombast ist hierbei auch gar nicht notwendig. Getragen wird das Stück auch durch die hervorragende Komposition Andrew Lloyd Webbers, die in Krefeld in der gelungenen deutschen Übersetzung von Michael Kunze gespielt wird. „Nur ein Blick“ oder „Sunset Boulevard“ kennen sicherlich viele Leser, aber auch „Kein Star wird jemals größer sein“, das Ensemble-Stück „Die Rechnung zahlt die Dame“ (hier mit einer netten Hommage an Karl Lagerfeld) oder „Träume aus Licht“ begleiten den Besucher auch noch auf dem Heimweg. Unter der musikalischen Leitung von

Yorgos Ziavras spielen die Niederrheinischen Sinfoniker schwungvoll und präzise. Das hierbei die sogenannte „Symphonic Version“ für große Orchester zum Einsatz kommt, die erstmals 2016 an der ENO in London aufgeführt wurde, macht den Besuch noch empfehlenswerter.

Auch die Besetzung in Krefeld kann sich wieder einmal hören lassen. Für die Rolle des Joe Gillis konnte kein geringerer als Oliver Arno gewonnen werden. Der österreichische Musicaldarsteller hat diese Rolle bereits in verschiedenen Inszenierungen übernommen, so dass er eine gewisse Souveränität an den Tag legt, was in diesem Fall durchaus positiv gemeint ist. Stimmlich wie immer brillant. Ihm zur Seite stand in der besuchten Vorstellung Gabriela Kuhn in der Rolle der Norma Desmond. Ganz wunderbar verkörpert sie die exzentrische Filmdiva mit großen Gesten und passendem Gesang. Am Anfang noch durchaus selbstbewusst („Nur ein Blick“), im Verlauf des Abends immer mehr dem Wahnsinn verfallen. Erwähnenswert auch Markus Heinrich als Butler Max von Mayerling, der egal in welcher Rolle, den Theaterbesuch in Krefeld oder Mönchengladbach stets lohnend macht. In den weiteren Rollen sind u. a. Susanne Seefing als Betty Schaefer, Thomas Peter als Cecil B. de Mille und Robin Grunwald als Joes Freund Artie Green zu sehen. Für den verhinderten Hayk Deinyan sprang am vergangenen Wochenende kurzfristig Daniel Berger ein, der die Rolle des Sheldrake bereits in Dortmund vor einigen Jahren verkörperte. Schön auch den Opernchor mal wieder in einer großen Inszenierung erleben zu dürfen.

Alles in allem bietet „Sunset Boulevard“ allen Theaterfreunden am Niederrhein allerbeste Unterhaltung und einen rund dreistündigen Theaterbesuch, den man so schnell nicht vergessen wird.

Markus Lamers, 28.03.2022
Bilder: © Matthias Stutte