Leipzig: „Don Carlo“

Besuchte Aufführung am 15.12.17 ( Premiere am 30.09.17)

TRAILER

Strenger Faltenwurf

Dunkel, düster, pessimistisch, so wirkt Verdis "Don Carlo" in seiner Neuinszenierung an der Leipziger Oper; aber machen wir uns nichts vor, genau so ist dieses Große Stück mit seiner Unmenge an herrlicher Musik auch geschrieben. Muss das denn so sein, höre ich fragen, nicht unbedingt, doch es zeigt den Nerv des Stückes. Regisseur Jakob Peters-Messer ist hier eine ganz unspektakulär spektakuläre Inszenierung gelungen, die ganz aus Verdis Musik gearbeitet, das Ohr auf die Musik hinlenkt. Das trägt natürlich auch in der "kurzen", doch sehr geschlossenen Mailänder Fassung, was heißt ohne Fontainbleau-Akt. Dazu braucht es natürlich auch so ein starkes Bühnenbild, wie vom Markus Meyer, das seinen gewaltigen Anteil am Abend trägt: auf der großen Drehbühne finden sich große historisierende Architekturteile in finsterem Anthrazit, durch die Drehung werden immer neue Räume geschaffen, woran Guido Petzolds Lichtdesign seinen Anteil hat. Immer neue Räume öffnen sich , schliessen sich, Treppen laufen ins Nichts, Durchblicke suggerieren Grösse und Ferne, um klaustrophoben Kammern zu weichen. Die Welt des spanischen Hofes ist ein Labyrinth, aus dem sich nicht entkommen lässt. Sven Bindseils Kostüme zeigen in ihrem historisierendem Prunk keine wirklich konkrete, auch hier fast nur dunkle Töne, einzig der Infant Carlos ist in Weiß und wirkt dabei fast wie ein Pantalone, doch auch Posa versucht, in der rechten Beleuchtung, mit seinem gedeckten Blau auszubrechen.

In diesem Set lässt Peters -Messer die Handlung ganz nach Libretto abschnurren, durch sich öffnende Simultanräume gelingt es ihm , die gar nicht so einfache Handlung, sehr deutlich zu machen, so sieht man, nur als Beispiel, wie Eboli die Kassette der Königin stiehlt. Das grosse, szenische Gemälde der Ketzerverbrennung geschieht ohne szenische Mätzchen in verblüffender Schlichtheit, die jedoch Sinn stiftet, eine Wohltat nach den so oft misslungenen Aktualisierungen gerade dieser Szene. Die Inszenierung lebt und besteht in ihrer Strenge. Natürlich wird jeder ein Haar in der Suppe finden; mein Haar ist das sehr zurückgenommene Auftreten des Klerus, der doch eigentlich eine sehr bestimmende Bedeutung in dieser Oper trägt. Andererseits werden die privaten Tragödien in diesem Historiendrama um so deutlicher geschärft.

Auch im Musikalischen findet sich genau dieser Ansatz wieder: Anthony Bramall hält klanglich "die Bälle sehr flach", was meint: Mut zum Piano ! Selten darf das Gewandhausorchester mal "klotzen", Verdis dunkle "Tinta" wird so noch verstärkt, die Sänger zum Leisesingen angehalten. Das bekommt der Aufführung deutlich und konzentriert hier sehr auf den Gestaltungswillen des Komponisten, man spürt fast gedanklich nachzuvollziehen, was Verdi mit welchen Mitteln erreichen wollte. Die Chöre halten da mit. Vielleicht als ganz kleine Anmerkung noch etwas mehr "italienisches Brio" in den langsamen Passagen.

Bei den Sängern brechen da zwei aus dem Konzept etwas heraus: zum einen Gaston Rivero in der Titelpartie, ja ich weiß, es ist mäkeln auf hohem Niveau, denn der Carlo ist mit seiner Länge und vokalen Exponiertheit oft unterschätzt und Rivero macht es eigentlich sehr gut, Man muss nie fürchten, das ihm mit seinem wirklich schön timbrierten Tenor etwas nicht gelingt, doch vieles klingt sehr robust auf Linie gesungen, ich traue ihm da noch mehr Farben in der Interpretation zu, als er an diesem Abend zeigt. Der andere Sänger ist Runi Brattaberg als Großinquisitor in sehr monochromen Dauermezzoforte und sehr nöhligen Vokalverfärbungen nach "O" und "Ö", die recht deutlichen Bravos beim Schlussapplaus waren absolut nicht angemessen. Riccardo Zanellato als Philipp zeigt da kultivierten Gesang, schlichtes Legato, immer auf Ausdruck, nie auf bloßen Effekt, so voller Trauer hört man die Partie selten. Ebenfalls ein Labsal an Bassgesang Randall Jakobsh in der kleinen, aber prononcierten Partie des Mönch/ Karl V.. Karal Karagedik von der Hamburger Staatsoper ist als Rodrigo, Marquis von Posa zwar "nur" ein Einspringer, doch mit einer farbenreichen Ausdeutung, intensivem Spiel und schönem Bariton fügt er sich trefflich in die Aufführung ein.

Auch die Damen wissen zu gefallen: Gal James als Elisabetta bewegt mit schmerzerfülltem Ausdruck, da fällt die nicht perfekte Höhe nicht ins Zeug, wenn man so schön musikalisch gestaltet, den Schlussakt mit der Vanitas-Arie macht sie ganz zu ihrem. Kathrin Göring, am Vorabend noch eine fulminante Fremde Fürstin in Dvoraks "Rusalka", legt eine tolle Eboli hin, locker im Schleierlied, eruptiv in der Verzweiflung der Belta-Arie. Stefania weiß als Tebaldo mit lieblichem Sopran die nötigen Akzente zu setzen, wie Danae Kontora positiv die "Stimme vom Himmel" singt. Sven Hjörleifsson gibt effektvoll Stichworte als Lerma/Herold.

Insgesamt ein sehr kostbarer Abend in seiner künstlerischen Geschlossenheit, der in seiner stillen Unaufgeregtheit überzeugt und länger im Gedächtnis bleiben wird, als manche gewollte Interpretation von Verdis "Don Carlos", die ich in den vergangenen Jahren erlebt habe.

Martin Freitag 20.12.2017

Fotos: Kirsten Nijhof