Premiere am 19. Januar 2019
Spannendeds Psychodrama mit toller Musik
Samuel Barbers „Vanessa“ war nach der Uraufführung 1958 und der bearbeiteten Fassung 1964 – jeweils an der Metropolitain Opera New York – zwar häufiger in den USA zu erleben, aber in Europa ist die amerikanischen Oper mit dem Libretto von Barbers Partner Gian Carlo Menotti, der sich von der Atmosphäre einer der „Seven Gothic Tales“ von Tania Blixen hat inspirieren lassen, nie so richtig angekommen. Dabei enthält die Vertonung des etwas trivialen Psychodramas mit ihrer neoromantisch-veristischen Tonsprache viele typische Facetten des Musiktheaters: Hochromantische Arien, zwei gefühlvolle Liebesduette, Volkslieder und Tänze sowie attraktive Ensembles wie das kanonisch geführte Abschiedsquintett.
Zum Inhalt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hoch oben im kalten Norden wartet Vanessa seit 20 Jahren zurückgezogen auf die Rückkehr ihres Geliebten Anatol. Alle Spiegel und Gemälde sind verhüllt. Für Vanessa, ihre Mutter – die meist schweigende alte Baronin – und ihre Nichte Erika erscheint die Zeit wie eingefroren. Als Anatol endlich erscheint, muss Vanessa erkennen, dass es sich um den gleichnamigen Sohn ihres inzwischen verstorbenen Liebhabers handelt. Sie und Erika verstricken sich in Gefühlen für den jungen Mann. Nachdem die von Anatol schwangere Erika ihr Kind verloren hat, zieht sie sich zurück: Sie bittet ihn, Vanessa glücklich zu machen. Als ihre Tante und Anatol abgereist sind, lässt Erika Spiegel und Gemälde wieder verhüllen und übernimmt die vormalige Rolle der Tante: „Nun ist es an mir, zu warten.“, sind die letzten Worte der ungemein traurig endenden Oper.
Roland Fenes/Noa Danon/Richard Furman
In Magdeburg hatte man die dreiaktige Fassung der Oper von 1964 gewählt, die Generalintendantin Karen Stone und der Ausstatter Ulrich Schulz in einer großzügigen Eingangshalle in hochherrschaftlichem Haus mit reichlich kühler Atmosphäre mit Blick auf ein zerklüftetes Bergmassiv spielen ließen. Es ist sehr erfreulich, dass das Regie-Team, zu dem auch der Choreograph David Williams gehörte, die doch etwas unglaubwürdige Geschichte ohne überflüssige Verfremdungen so auf die Bühne brachte, wie sie von Librettist und Komponist gedacht war. Zu dem insgesamt sehr positiven Eindruck trugen auch die eleganten, jeweils typisierenden, bestens zum glanzvollen Bühnenbild passenden Kostüme bei. Dazu kam eine gut nachvollziehbare Personenführung, die die problematischen Beziehungen der handelnden Personen so glaubhaft wie möglich offenlegte und für durchweg spannendes Musiktheater sorgte. Das gelang natürlich auch deshalb insgesamt so überzeugend, weil alle Partien glänzend besetzt waren. Da ist zunächst Noa Danon in der Titelrolle zu nennen, die die Frau inzwischen mittleren Alters, die sich zu dem deutlich jüngeren Mann mehr als nur hingezogen fühlt, ausgezeichnet darzustellen wusste. Ihr stark diffenzierend geführter Sopran erwies sich erneut in allen Lagen bis zu sicheren Höhen als sehr ausdrucksstark. Ihr stand der forsch mit jugendlichem Schwung, geradezu als „Sonnyboy“ auftretende Richard Furman als Anatol gestalterisch und stimmlich in nichts nach, indem er tenoralen Glanz verbreitete, aber auch die lyrischen Passagen schön auskostete.
Emilie Renard/Undine Dreißig
Als die sich schnell in Anatol verliebende, aber doch rechtzeitig dessen unbekümmerte Leichtlebigkeit erkennende Erika erlebte man die junge anglo-französische Sängerin Emilie Renard, die mit hellem, ebenfalls höhensicherem Mezzo und bereits farbenreicher Stimmführung für sich einnahm. In den weiteren kleineren Partien traten jahrzehntelange Stützen des Magdeburger Ensembles auf: Mit nach wie vor kraftvollem Bariton und bester Bühnenpräsenz lieferte Roland Fenes eine gelungene Charakterstudie des liebenswerten alten Doktors. Undine Dreißig gab die geheimnisumwitterte alte Baronin, die die Haltung von Tochter und Enkelin mit Schweigen quittiert und sie auf diese Weise missbilligt. Mit bewährtem Bass und einem gehörigen Schuss Vornehmheit war Paul Sketris der Haushofmeister Nicholas; Frank Heinrich ergänzte als Diener.
Emilie Renard/Roland Fenes/Richard Furman/Noa Danon
Magdeburgs 1.Kapellmeister Svetoslav Borisov hatte den großen Apparat gestenreich gut im Griff und ließ die Magdeburgische Philharmonie ordentlich schwelgen, ohne dies zu Ungunsten der Sänger zu übertreiben. Aber auch für die vielen feineren, intimeren Szenen hatte der Dirigent ein gutes Gespür. Auffällig war im Übrigen die hohe Qualität der vielen, technisch anspruchsvollen Soli in allen Instrumentengruppen, die immer wieder aus dem Graben herauf klangen. Seine wenigen Aufgaben im festlichen 2.Akt erfüllte der Chor in der Einstudierung von Chordirektor Martin Wagner klangprächtig.
Das zu Recht begeisterte Premierenpublikum bedankte sich mit starkem, sich zu Ovationen steigerndem Beifall bei allen Mitwirkenden.
Fazit: Die Reise nach Magdeburg lohnt sich wirklich, um diese gelungene, nachhaltigen Eindruck hinterlassende Produktion einer viel zu selten aufgeführten Oper zu hören und zu sehen.
Weitere Vorstellungen: 26.1.+9.2.+31.3.+8.5.2019
Fotos: ©Andreas Lander
Gerhard Eckels 20.1.2019
Redaktions-PS: Der Opernfreund-Stern ist schon in die Schmiede