Premiere: 30.01.2022
Märchenoper als eindringliches Familiendrama
Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, da wurden in Deutschland sämtliche Theater auf Grund des Covid-19-Virus geschlossen. Just für diese Zeit, genauer gesagt für den 15. März 2020, war im Theater Krefeld die Premiere der lyrischen Oper „Rusalka“ von Antonin Dvořák angesetzt, die man seinerzeit kurzerhand als Live-Streaming über den theatereigenen YouTube-Kanal dem Zuschauer zugänglich machte. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch davon aus, dass die Schließung des Hauses vorerst nur bis Ende März angedacht war. Und so endete auch der Bericht beim Opernfreund damals mit der Hoffnung, dass „die geplanten Aufführungen dieser sehens- und hörenswerten Inszenierung ab dem 21. April 2020 dann wieder mit einem hoffentlich sehr gut gefüllten Zuschauersaal stattfinden können“. Dies stellte sich im Nachhinein bekanntlich als deutlich zu optimistisch heraus, denn es sollte fast zwei Jahre dauern, bis man diese Inszenierung nun seit gestern Abend live auf der Theaterbühne erleben darf. In Mönchengladbach feierte die Inszenierung von Ansgar Weigner nun endlich auch vor einem Publikum im Theatersaal ihre umjubelte Premiere. Und dieser Jubel fiel wahrlich lautstark aus.
Vorab aber noch ein paar kurze Worte zum (etwas abgewandelten) Inhalt der Oper, die in Mönchengladbach als ein eindringliches Familiendrama auf die Bühne kommt. Die auf Grund einer Gehbehinderung zumindest zum Teil an den Rollstuhl gefesselte Rusalka vertraut ihrem Vater (Wassermann) an, dass sie von einem Leben unter den Menschen träumt, um dort ihre große Liebe zu finden. Außerdem sei es an der Zeit, sich von der Familie zu lösen und fortan ihr eigenes Leben zu leben. Der alte Mann warnt seine Tochter vor diesem Schritt, denn die menschliche Welt ist eine durchaus grausame. Auch die Mutter (Jezibaba) will ihre Tochter nicht gehen lassen, gibt aber schließlich nach. Allerdings weist sie nochmals eindrücklich darauf hin, dass sie damit für immer ihr zu Hause verliert. In der Menschenwelt begegnet Rusalka einem Prinzen, der ganz ihren Träumen entspricht. Die beiden wollen heiraten, obwohl Rusalka von vielen als Außenseiterin abgelehnt wird. Bevor es allerdings zur Hochzeit kommt, taucht eine fremde Fürstin auf, in der Rusalka fast alptraumhaft ihre Mutter erkennt. Rusalka leidet sehr unter den Versuchen der Fürstin, ihr den Prinzen abspenstig zu machen. Nur in ihrem Vater sieht Rusalka noch einen Retter, der sie aus dieser feindlichen Gesellschaft befreien kann. Doch leider hat auch der Vater seine eigenen Probleme in dieser zerrütteten Familie. Dennoch darf Rusalka heimkehren, wird von ihrer Mutter aber bestraft und vom Familienleben nahezu ausgeschlossen. Darüber hinaus verlangt sie von der Tochter, sich am Prinzen zu rächen, indem sie ihn tötet. Als dieser wieder im Haus erscheint, kommt es zu einer tödlichen Begegnung.
Auch wenn es bei der Übertragung einer märchenhaft gezeichneten Oper auf ein reales Familienbild nahezu zwangsläufig einige Stellen gibt, die einfach nicht rund wirken, gelingt Ansgar Weigner mit dieser Rusalka eine starke Regiearbeit. Hierbei konzentriert er sich auf die Frage, wie stark die Eltern die Individuation ihrer Kinder beeinflussen und welche zum Teil schwerwiegenden Folgen negative Einflüsse der Eltern bei gestörten familiären Verhältnissen haben können. Dies ist stellenweise schwere Kost, sorgt aber dennoch für einen gelungenen Theaterabend. Das hierbei vor allem die drei Elfen, in diesem Fall drei Schwestern, nicht so ganz überzeugend sind, ist verzeihlich. Gelungen ist das Bühnenbild von Tatjana Ivschina, die zudem auch die Kostüme für diese Produktion entworfen hat. Der erste und dritte Akt spielt in einer klammen Kellerwohnung, in der auf der rechten Seite Rusalkas Zimmer angebracht ist. Ein brennender Eimer scheint offenbar die einzige Wärmequelle in diesem Heim zu sein. Die Wände schimmern etwas vermodert und ganz allgemein sieht die Unterkunft eher bedrohlich als gemütlich aus. Im Gegensatz dazu ist der Palast des Prinzen im zweiten Akt deutlich wohnlicher, samt angedeuteter Gartenanlage. Mehrmals an diesem Abend fällt positiv auf, wie die Inszenierung die Musik im Bühnenbild regelrecht aufnimmt, so dass sich an passender Stelle plötzlich eine Türe öffnet oder die Darsteller im passenden Takt der Musik die Bühne betreten. Die Niederrheinischen Sinfoniker entwickeln unter der musikalischen Leitung von Erina Yashima, zukünftige 1. Kapellmeisterin an der Komischen Oper Berlin, einen ganz hervorragenden Klang, den man in einer solchen Intensität und Präzision pandemiebedingt lange vermissen musste. Auch der Chor des Theaters Krefeld und Mönchengladbach ist bei dieser Produktion erstmals seit vielen Monaten wieder beteiligt.
Langanhaltende „Bravo-Rufe“ des Premierenpublikums galten am Ende aber vor allem den Darstellern, die an diesem Abend einmal mehr zeigten, wie stark das eigene Ensemble am Niederrhein aufgestellt ist. Sophie Witte überzeugt in der Titelrolle der Rusalka mit ihrem klaren Sopran. Beachtlich hierbei, wie sie die ersten rund 45 Minuten fast pausenlos den Theatersaal mit ihrer Stimme füllt. Bereits in der bespielten Ouvertüre wird klar, dass die Mutter eine mehr als nur strenge Frau ist, die in dieser Familie das Sagen hat. Eva Maria Günschmann verkörpert diese Rolle der Übermutter bravourös, zu Beginn vor allem durch ihr Schauspiel, im Verlaufe des Abends auch durch ihre gesanglichen Darbietungen. Matthias Wippich gibt mit seinem starken Bass die Rolle des Vaters, der in diesem Familienkonstrukt wirklich keinen leichten Stand hat. Auch die Besetzung des Prinzen ist mit David Esteban treffend gelungen. Erwähnt seien an dieser Stelle noch die kleineren Rollen, die ebenfalls durchweg stark besetzt sind. Umso beachtlicher sind die Leistungen, wenn man sich klar macht, wie schwierig die Einstudierung der tschechischen Texte ist, da hier die Konsonanten deutlich überwiegen und die Vokale nicht immer entsprechend ausgesungen werden können. Am Ende steht ein großartiger Opernabend, dem man jedem Opernfreund wärmstens empfehlen kann.
Markus Lamers, 31.01.2022
Bilder: © Matthias Stutte