Besuchte Aufführung: 24.2.2015, (Premiere der UA: 22.2.2015)
Die Nachfolgerin steht schon bereit
Er war bei seinem Erscheinen im Jahr 1782 ein ausgemachter Skandal: Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos’ skandalöser Briefroman „Les Liaisons dangereuses“, zu Deutsch: „Gefährliche Liebschaften“. Man hatte es damals gar nicht gerne, dass der französische Adel darin so schlecht wegkam. Indes wurde er schon damals von vielen Lesern begierig verschlungen. Auch Marie-Antoinette gehörte dazu. Inzwischen ist das Sujet längst salonfähig geworden. Mehrere Filme – die bekanntesten Verfilmungen dürften die von 1959 mit Jeanne Moreau und Gérard Philippe und die von 1988 mit Glenn Close und John Malkowitsch sein – und eine von Conrad Susa für das Theater Ulm geschriebene Oper zeugen von der großen Beliebtheit, die der Stoff heute genießt.
Nun haben die „Gefährlichen Liebschaften“ auch den Weg auf die Musical-Bühne gefunden. Von Josef E. Köpplinger, dem Intendanten des Staatstheaters am Gärtnerplatz, bei Komponist Marc Schubring und Librettist Wolfgang Adenberg in Auftrag gegeben, erlebten sie in der Ausweichspielstätte des Gärtnerplatztheaters im Cuvilliéstheater jetzt eine fulminante Uraufführung. Diesen gleichermaßen brisanten, obszönen und tragischen Stoff gerade in die Form eines Musicals – sonst eher ein Vehikel für leichte Stoffe – zu kleiden, zeugt von großem Mut der Autoren und Köpplingers, der auch die Regie übernahm. Und die Rechnung ging voll auf. Der Abend geriet zu einem wahren Triumph für alle Beteiligten.
Das Werk weist einen stringenten, kontinuierlich durchgezogenen Spannungsbogen auf, der gesungene und gesprochene Passagen hervorragend zu einem einheitlichen Ganzen von großer Prägnanz vereinigt. Mit exzellentem Gespür für große dramatische Zusammenhänge hat Wolfgang Adenberg das Buch zu dem Musical geschrieben, in dem sich die Spannung immer mehr verdichtet und letztendlich in die Katastrophe mündet. Diese dramatische Steigerung findet auch in Schubrings Musik statt, die von Frank Hollmann superb instrumentiert wurde. Insgesamt recht psychologisch ausgerichtet, bewegt sie sich zu Beginn noch in recht graziös-behaglich, konsonant anmutenden Klängen, wird dann aber zunehmend dissonanter und nimmt immer mehr hitzige und rabiate Töne an. Hier tun sich insbesondere die tiefen Blechbläser hervor. Andererseits sind durchaus auch gefühlvolle Passagen zu bemerken, die von den Streichern oder sogar mit der Stimme der Harfe dargeboten werden. Pathos ist nicht verpönt. Auch gibt es Anklänge an eine Leitmotivtechnik. Die verschiedenen musikalischen Themen werden zunehmend miteinander kombiniert und durcheinander geworfen. Diese Verschlingung der Motive und ihre Weiterführung sind recht reizvoll. Und in der Kunst des Übergangs – um mal ein Zitat von Wagner zu verwenden – erweist sich Schubring als echter Meister. Seine Musik wirkt durchweg wie aus einem Guss.
Hier haben wir es mit einem dicht gewobenen musikalischen Geflecht von stetig zunehmender Eindringlichkeit zu tun, das von Andreas Kowalewitz und dem bestens disponierten Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz rasant und mit großer Verve vor den Ohren des Auditoriums ausgebreitet wurde. Psychologisch einfühlsam setzte der Dirigent verstärkt auf Zwischentöne und erzeugte zusammen mit den Musikern einen beeindruckenden instrumentalen Kontrapunkt zu dem dramatischen Geschehen auf der Bühne. Das Seelenleben der Beteiligten, Intrigen, Heuchelei und Liebe werden im Orchester trefflich reflektiert, was Kowalewitz mit einer überzeugenden Gegenüberstellung von dramatischen und emotional vorgeführten Phrasen noch verstärkte.
Josef. E. Köpplinger hat das Ganze keinem neuen Kontext zugeordnet, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern das Geschehen in der dem Cuvilliéstheater hervorragend entsprechenden Rokoko-Zeit belassen, was Alfred Mayerhofer die Gelegenheit gab, die Augen der Zuschauer mit opulenten, bunten Kostüme aus dieser Ära zu erfreuen. Der von Rainer Sinell eingerichtete Bühnenraum wird von einem über der Szene schwebenden Spiegel beherrscht, der sich manchmal auch herabsenken darf. Köpplinger hält dem Publikum so den sprichwörtlichen Spiegel vor, mahnt es eindringlich, mit der Liebe nicht in gleichem Maße gefährlich zu spielen wie es das intrigante Duo Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont tut. Es ist ein abgrundtief böses Spiel, das sie hier mit ihren Opfern Madame de Tourvel und Cécile de Volanges vollführen. Die durchweg dunkle Ausleuchtung des nahezu leeren, von einer Balustrade mit Treppen beherrschten Raumes versinnbildlicht diesen Fakt bestens. In dem düsteren Ambiente setzen Köpplinger und sein Ko-Regisseur und Choreograph Adam Cooper das Geschehen sehr rasant und abwechslungsreich in Szene. Immer stärker nimmt die Inszenierung Fahrt auf, wobei die einzelnen Abschnitte behände ineinander fließen und manchmal auch mehrere Zeitebenen kombiniert werden. So kommt es vor, dass eine Person einen Brief schreibt, während die andere ihn bereits liest. Großes Gewicht misst der Regisseur auch den mannigfaltigen Sexszenen bei, in denen es indes sehr dezent zugeht. Völlig ausziehen muss sich hier niemand. Und wenn beispielsweise Madame de Tourvel oder ihre Zofe mal ihren Busen entblößen, wirkt das sehr gediegen. Das Ende deutet Köpplinger sehr pessimistisch: Cécile steht gleichsam schon bereit, um in wohl nicht allzu ferner Zeit in die Fußstapfen der entlarvten Marquise de Merteuil zu treten. Die Tatsache, dass aus Opfern später oft Täter werden, wird radikal aufgezeigt und gleichzeitig auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auch die Marquise einmal ein Opfer war. Das ist der Lauf der Welt, der durch das ständige Rotieren der Drehbühne symbolisiert wird.
Das ein Höchstmaß an darstellerischer Energie in die Aufführung einbringende Musical-Ensemble zeigte sich hoch motiviert und hat die Intentionen Köpplingers perfekt umgesetzt. Anna Montanaro gab eine nicht gerade sympathische, reichlich widerwärtige Marquise de Merteuil, die gesanglich insbesondere mit „Liebe macht uns schwach“ einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Armin Kahl spielte den Beauvivant Valmont zuerst sehr antipathisch, gewann seiner Rolle gegen Ende aber auch etwas sympathischere Züge ab. Wunderbar in der Darstellung und berührend im Gesang präsentierte sich Julia Klotz als Madame de Tourvel. Anja Haeseli gab eine noch recht unbedarfte, ausgesprochen naiv anmutende Cécile, die die Anhänglichkeit des von Florian Peters verkörperten, feschen und akkurat spielenden Chevalier de Danceny glaubhaft machte. Opernhafter als ihre Kollegen sang Gisela Ehrensperger die Madame de Rosemonde. In der Rolle des Comte de Gercourt hinterließ Jörn Linnenbröker einen trefflichen Eindruck. Anna Thorén überzeugte als Joséfine de Fontillac, Madame Gérard und arme Dorfbewohnerin. Nazide Aylin bewährte sich als Prostituierte Emile und als Nonne. Gut gefiel auch Zourvels Zofe Julie von Evita Komp. Als Céciles Zofe Christine und Opernsängerin war Eva Aasgaard zu erleben. Erwin Windegger war seinem Herrn Valmont ein getreuer Diener Azolan. Carin Filipcic schlüpfte in die Partie von Céciles Mutter Madame de Volanges. In kleinen Rollen rundeten Johanna Zett, Carl van Wegberg, Peter Neustifter und Florian Hackspiel das homogene Ensemble ab.
Fazit: Ein grandioser Musical-Abend, dessen Besuch lohnt.
Ludwig Steinbach, 26.2.2015
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber