Nach einer 6 1/2-monatigen Zwangspause kehrt das Wiener Staatsballett endlich wieder zurück auf die Bühne – vor ausverkauftem Haus. Ausverkauft bedeutet in Zeiten wie diesen, alle möglichen Plätze verkauft, einige Plätze müssen wegen den Sicherheitsabständen leer gelassen werden. Die Sehnsucht nach Live-Vorstellungen ist gross, und am Ende des Abends hätte man gerne den Künstlern noch deutlich längeren Applaus gegönnt, aber offensichtlich ist auch die Anzahl Vorhänge vorgeschrieben. 45 Minuten frenetischen Applaus, wie es z.B. 2005 bei der „Elisir“-Vorstellung mit Netrebko und Villazon gab, gehören aus bekannten Gründen der Vergangenheit an. Aber man ist dankbar, dass überhaupt etwas stattfinden darf, zu gross wirkt noch der Schock der Ereignisse der letzten 15 Monate, wie schnell Kunst und Kultur abgedreht werden kann…
Mit „Glass Pieces“, Choreographie Jerome Robbins, wird der Abend eröffnet, zu vollem Orchester in g-moll überqueren die Tänzer in zügigem Tempo die Bühne, elegant lösen sich die Solopaare des 1. Satzes (Ioanna Avraam, Calogero Failla, Alice Firenze, Arne Vandervelde, Fiona McGee und Lourenço Ferreira) aus der Gruppe heraus – ein besonderer Lichtblick ist hier Solotänzerin Avraam, die sowohl exakt, als auch fliessend einen grossen Bogen über ihre Schritte zu spannen vermag, wie ein Sänger mit geradezu endlosem Atem und berührender Phrasengestaltung. Nina Polakova und Roman Lazik zeigen im 2. Satz plastische Figuren, oftmals waren die beiden in den vergangenen Jahren als überaus harmonisches Paar zu erleben und einmal mehr sei erwähnt, dass Lazik wohl der beste Partner ist, den sich eine Ballerina wünschen kann, jede Hebung glückt in einer Gelassenheit, die nur ein erfahrener Tänzer hat. Ballettdirektor Martin Schläpfer hat auf jeden Fall gut daran getan, den Titel „Senior Artist“ für Lazik (und eine weitere Charaktertänzerin, die heuer neu zum Staatsballett dazugestossen ist) einzuführen, um eben solche Tänzer länger in der Company zu behalten, von deren Erfahrung dann die jungen Kollegen profitieren können. Im 3. Satz steht das Herren-Ensemble energiegeladen im Vordergrund, beschwingt geht man danach in die Pause.
Nach der Pause folgte George Balanchines „Duo concertant“ – wie auch Robbins‘ „a suite of dances“ heuer erstmals an der Wiener Staatsoper zu erleben – sowohl spritzig, als auch melancholisch musizieren Fedor Rudin (Violine) und Cécile Restier (Klavier) die äusserst diffizile Musik von Igor Strawinski, Rudin hat nicht nur die Doppelgriffe in einem flotten Tempo intonationssicher, sondern zaubert auch in der Apotheose weiche Klänge in höchsten Tönen. Zu Beginn des Stücks stehen Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto andächtig lauschend hinter dem Klavier. Und wenn sie zu tanzen beginnen, realisiert man wieder (gerade wenn man dieses Werk vor einigen Jahren in Zürich gesehen hat), dass bei Werken von Balanchine nicht nur eine brillante Technik, sondern auch Musikalität gefordert ist. Auch wenn Konovalova und Kimoto bisher noch nicht so oft gemeinsam getanzt haben (wie z.B. Polakova und Lazik), so harmonieren sie sehr gut miteinander, Konovalova hat sich spätestens seit ihrem Eintritt ins Wiener Staatsballett mit ihrer makellosen Technik einen Namen in der Ballettszene gemacht und Kimoto ist viel mehr als nur ein sicherer Partner, seine lebhaften Sprünge in der Gigue sind erstklassig, und ebenso schmerzerfüllt sucht er in der Apotheose seine Partnerin im Dunkeln. Ein grossartiger danseur noble, der auch in früheren Balanchine-Werken sehr positiv in Erinnerung geblieben ist und es auch hier bleiben wird.
Ein kongeniales Duo bilden im Anschluss auch die Cellistin Ditta Rohmann und Erster Solotänzer Davide Dato in Jerome Robbins‘ „A suite of dances“, ursprünglich für Baryshnikov choreographiert. Während Ditta Rohmann in einer unbeschwerten Leichtigkeit die Musik von J. S. Bach zum Besten gibt, und den Raum mit Musik erfüllt, so strahlt Davide Dato dasselbe tänzerisch aus, sei es in mühelosen Manegen, oder Purzelbäumen, einmal schlägt er sogar ein Rad. Den Schalk hat Dato schon immer gehabt, ebenso weiss er, wie seriöse Partien authentisch zu gestalten – nicht umsonst war er für seine Interpretation als Abderachman für den Prix Benois de la Danse nominiert – so ist er auch in „a suite of dances“ ungemein facettenreich, und ein Garant für das international hohe Niveau des Wiener Staatsballetts.
Nach einer weiteren Pause gab es das herrlich-komische „The Concert“, ebenfalls von Jerome Robbins. 2011 erstmals an der Wiener Staatsoper zu sehen und heuer teils mit neuer, teils mit Premièrenbesetzung – gleich vorweg unschlagbar: Eno Peçi als Ehemann. Elena Bottaro schwebt als entzückende Ballerina herein und überzeugt sowohl mit einer erfrischenden Mimik, als auch mit Finesse. Ketevan Papava ist eine Ehefrau, mit der man sich besser nicht anlegt – da genügt ein deutlicher Blick, um den schüchternen Jüngling (Daniel Vizcayo) ordentlich zu verschrecken. Immerhin traut er sich später, der Ballerina beim etwas gar stürmischen Pas de deux einen Schlag auf den Kopf zu verpassen. Für zahlreiche Lacher im Publikum sorgte auch der „Mistake Waltz“, allen voran Fiona McGee mit Brille. Die Szene, für die allein es sich schon lohnt, den Abend zu besuchen, ist allerdings unmittelbar danach, wenn Eno Peçi zähnefletschend mit einem grossen Gummi-Messer versucht, die andächtig lauschende Ketevan Papava zu erstechen, während Igor Zapravdin (nicht nur virtuos am Klavier, sondern auch schauspielerisch in seinem Element) Chopins Melodien erklingen lässt. Nachdem der Ehemann mit einem schwungvollen Husarentanz die Ballerina erobert, flattern schliesslich alle Tänzer als Schmetterlinge über die Bühne, bis es Zapravdin zu bunt wird und er alle mit einem grossen Netz zu fangen versucht. Begeisterter Applaus für alle Beteiligten, vor allem auch für Benjamin Pope und das Orchester der Wiener Staatsoper, leider viel zu kurz aus bekannten Gründen. Der Vorhang senkt sich, 2 mal treten noch Bottaro, Papava, Peçi, Zapravdin und Pope gemeinsam vor den Vorhang und man freut sich auf weitere Vorstellungen.
Folgevorstellungen: 4., 5., 7. und 11. Juni 2021
Katharina Gebauer, 2.6.2021