Premiere am 25.03.2017
Alpendrama als Bildergeschichte
Lieber Opernfreund-Freund,
nach den österreichischen Produktionen in Klagenfurt und Innsbruck war gesterm in Wien erstmals Catalanis erfolgreichste Oper „La Wally“ zu erleben, die seit einigen Jahre nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf wiederentdeckt scheint und von Zeit zu Zeit auf den Bühnen Europes zu sehen ist. An der 1898 eröffneten Volksoper wird traditionell auf deutsch gesungen, allerdings ist in der aktuellen Produktion nicht die von der Autorin der Romanvorlage „Die Geierwally“, Wilhelmine von Hillern, in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten entstandene Übersetzung zu hören, sondern eine Version von Claus H. Henneberg in einer Einrichtung von Helene Sommer. Und das hört man dem Text auch an – allzuoft will die Silbenanzahl von Catalanis Musik nicht mit dem deutschen Text einhergehen. Dann wird gedehnt oder nachgesungen, damit das, was nicht passt, passend gemacht wird, ein unschöner Wermutstropfen in einer ansonsten weitestgehend gelungenen Produktion.
Regisseur Aron Stiehl installiert in seiner Umsetzung die eigentliche Randfigur des Infanteristen als omnipräsente Personifizierung des Schicksals, der die Geschichte um enttäuschte Liebe, Rache samt (anders als im Roman) tragischem Ende erzählt, dem Orchester den Einsatz gibt und die Handlung steuert, ja sogar als Tod denselbigen bringt. Damit ist die Rolle, die eigentlich als komisches Moment vom Librettisten in die Opernhandlung geschrieben wurde, eben dieser Komik beraubt und gibt der Handlung etwas viel mehr Schicksalhaftes, so dass Wally und ihr Hagenbach gezwungenermaßen auf den Lawinenabsturz des Geliebten, dem sich die Titelheldin in den Abgrung hinterher wirft, zuzusteuern scheinen. Frank Philipp Schlößmann hat dazu auf der permanenten Veränderungen unterworfenen Drehbühne eine schroffe Kulisse gebaut, die an die schraffierten Hintergründe aus Tuschezeichnungen erinnert. Auch die gelungenen Kostüme von Franziska Jacobsen, frei von jeglichem Lokalkolorit, sind sämtlich in Schwarz, Weiß und Grautöne gehalten und komplettieren so den Eindruck eines illustrierten Buches, von dem der Infanterist Seite für Seite umzuschlagen scheint.
Die raffinierte Beleuchtung erzeugt mitunter eine Art Scherenschnitte und visualisiert die Lawine samt anschließendem Freitod von Wally als Gang ins Licht. Überhaupt scheint sich die schöne Titelheldin die Zusammenkunft mit Giuseppe, der im letzten Akt zu ihr in die eisigen Höhen gekraxelt kommt, um sie um Verzeihung zu bitten und ihr seine Liebe zu gestehen, nur einzubilden. Das geht gut einher mit der an der Volksoper gezeigten musikalischen Schlußversion der Urfassung des Werkes, die vergleichsweise undramatisch daher kommt und eher einem Ausklingen ähnelt als einem Paukenschlag, wie in der heute üblicherweise gezeigten überarbeiteten Fassung. Dem aus Wiesbaden stammenden Regisseur gelingt also zusammen mit seinem Produktionsteam eine überzeugende, kitschfreie Lesart des Alpenromans und damit gut zwei Stunden spannendes Musiktheater.
Die musikalische Seite des Abends ist da durchwachsener. Im Vorfeld kam es aufgrund von Erkrankungen zu zwei Umbesetzungen, die sich am gestrigen Abend aber als Glücksgriff erwiesen. Bernd Valentin sprang als Gellner ein und gab überzeugend und mit beeindruckender Tiefe den verschmähten Gutsverwalter, der Wally liebt und für sie sogar vor der Ausführung eines Auftragsmordes nicht zurück schreckt. Von der Regie zum frustrierten Säufer gemacht, leuchtet er, der die Figur schon in der Innsbrucker Produktion verkörpert hatte, die verschiedenen Facetten seiner Figur gekonnt aus und überzeugt auch darstellerisch als verzweifelt Verliebter.
Ensemblemitglied Vincent Schirrmacher ist relativ kurzfristig für den erkrankten Endrik Wottrich eingesprungen und läßt keine Sekunde hören, dass er gestern zum ersten Mal als Hagenbach zu erleben war, so sicher beherrscht er diese anstrengende und fordernde Partie. Er verfügt über einen schlanken Tenor mit metallischem Klang, der an Francisco Araiza erinnert, und glänzt mit Gefühl, Kraft und scheinbar müheloser Höhe gleichermaßen. Größere Unsicherheit war da Kari Postma in der Titelrolle anzumerken, die gestern ihr Hausdebüt und ebenfalls ihr Rollendebüt gab. Darstellerisch eine veritable Wally, stimmte der eine oder andere Einsatz nicht, was sicher der Premierennervosität zuzuschreiben war. Die Norwegerin verfügt an sich über einen Sopran mit kräftiger Höhe, enthält aber dem Publikum das hohe C in der Schlußszene vor, und bliebt in der Mittellage in Bezug auf Volumen hinter ihren männlichen Kollegen zurück. Elisabeth Schwarz ist ein hinreißender Walter und läßt schon im ersten Akt ihren hellen, geläufigen Sopran im Jodler um das Edelweiß bravourös erklingen, Daniel Ohlenschläger gibt den Infanteristen passend mit gespenstisch anmutenden Bassbariton und Annely Peebo ist als Afra eine fordernde Wirtin. Bühnenurgestein Kurt Rydl legt den alten Stomminger mit großem Ausdruck und überzeugendem Spiel als despotischen Vater an.
Orchester und Chor (Einstudierung: Thomas Böttcher) sind bestens disponiert. Marc Piollet am Pult hat hörbar Spaß an der farbenreichen Partitur, übertüncht aber da und dort nicht ganz so stimmgewaltige Sänger. Zu hören ist dennoch ein Catalani at his best, Ländler und Jodler untermalt der Franzose genauso gekonnt wie ihm die Farbzeichnung in den ausgedehnten Vorspielen nach der Pause gelingt.
Das Publikum im ausverkauften Haus zeigt sich mehr als erfreut, applaudiert begeistert. Ob man dabei wirklich jeden Sänger und jede Sängerin mit so lautstarken wie penetranten „Bravo“- und „Bravissima“-Rufen feiern muss, wie der dadurch beinahe an einen Claqueur erinnernde Herr im dritten Parkett, lasse ich einmal dahin gestellt. Ein lohnender Abend war’s allemal – und ein Erlebnis, dieses wunderbare Werk einmal auf Deutsch zu hören.
Ihr Jochen Rüth / 26.03.2017
Die Fotos stammen von Barbara Pálffy.