28.12. 2019 (3.Vorstellung nach der Premiere vom 19. 12. 2019)
Erfolgversprechende junge Stimmen – kluge Regie
Für eine kleine Bühne hat Tschaikowski nach eigener Aussage Eugen Onegin konzipiert, für die bescheidenen Mittel eines Konservatoriums, so wie es bei der Uraufführung 1879 mit Studenten des Moskauer Konservatoriums am Maly-Theater auch geschah. Denn sonst – so der Komponist – laufe man Gefahr, dass sein Werk, das er ausdrücklich Lyrische Szenen und nicht Oper nennt, in Größe, Wucht und Pathos dargestellt und damit missverstanden werde. Daran musste ich denken, als ich die aktuelle Neuproduktion des rund 700 Plätze fassenden Stadttheaters Klagenfurt besuchte, für die eine sparsam-kluge szenische Lösung gewählt und ein sehr gutes Sängerteam engagiert worden war, das wohl der Situation bei der Uraufführung entsprach: Tatjana ist 25, Olga ist 26, Lenski ist 29 und Onegin 33 Jahre alt. Das Erstaunliche an diesem jungen Team ist, dass drei von ihnen trotz ihrer Jugend bereits ihre Rollen an anderen Bühnen gesungen hatten. Aber der Reihe nach:
Der Weißrusse Pavel Petrov ist ein ausgezeichneter Lenski. Er hat diese Partie seit 2015 bereits in Kiel, in Bukarest und vor zwei Jahren auch in Graz gestaltet. Als derzeit fixes
Ensemblemitglied in Graz (da folgen in dieser Saison noch der Don Ottavio und der Nadir) ist er zweifellos bereits auf dem besten Wege zu einer internationalen Karriere: er war im September als Nemorino Gast in der Wiener Staatsoper, stand im November mit Asmik Grigorian in Moskau auf dem Konzertpodium und wird im Sommer der Rigoletto-Duca bei den Bregenzer Festspielen sein. An diesem Abend bot er für mich die reifste stimmliche Leistung, weil er speziell in seiner großen Szene im 2.Akt nicht nur viele Klangfarben bot, sondern auch technisch in der Lage war, sehr saubere dynamische Abstufungen zu gestalten.
Eugen Onegin wird von dem moldavischen Bariton Adrian Tîmpău überzeugend gestaltet. Er hatte den Onegin gleich zu Beginn seiner Karriere in Moldawien gesungen und ist inzwischen international von Zürich bis zur Met gefragt – siehe dazu seine Homepage. Hier lernte man eine viril-dunkel timbrierte Stimme kennen, die alle dramatischen Ausbrüche prächtig meistert – einschließlich des strahlenden G in der Schlussphrase. In den lyrischen Phrasen wünschte man sich noch mehr dynamische Flexibilität. Aus Aserbaidschan stammt Aytaj Shikhalizada – auch sie trotz ihrer Jugend schon international erfahren und als Olga schon mehrfach erprobt. Mit ihrem markanten, leicht gutturalen Mezzo war sie eine sehr gute und rollenadäquate Besetzung. Die vierte und jüngste im Bunde der Hauptfiguren war die aus Georgien stammende Tamuna Gochashvili. Sie stand als Tatjana das allererste Mal auf einer Opernbühne! Allerdings hatte sie diese Partie schon zuhause in Georgien gründlich studiert und auch auf dem Konzertpodium gesungen. Es lohnt sich, ihre 1½ Jahre alte youtube-Aufnahme der Tatjana-Briefszene (mit Klavierbegleitung) anzusehen und anzuhören. Da erlebt man die erstaunlich reiche stimmliche und mimische Ausdruckskraft der jungen Sängerin und merkt sofort ihr Bühnentalent. Das Klagenfurter Publikum hat sie mit Beifallsstürmen aufgenommen. Gochashvili hat eine warm timbrierte sehr schöne Stimme. An diesem Abend war die Briefszene überzeugend gestaltet, allerdings fand ich, dass die junge Sängerin ihre Stimme an so mancher Stelle nicht zentriert genug führte, woduch es auch zu Intonationstrübungen kam. Aber im letzten Akt war sie dann nicht nur als Figur, sondern auch stimmlich absolut überzeugend. Man muss kein Prophet sein, um der attraktiven jungen Dame eine internationale Karriere zu prophezeien. Und die beginnt ja bereits: nach Klagenfurt wird sie in Helsinki die Donna Elvira singen und ein Engagement an die Wiener Staatsoper ist auch schon angekündigt.
Aber auch die übrigen Rollen waren allesamt sehr gut besetzt: Christa Ratzenböck war eine elegante Larina und Vera Egorova eine stimmlich prächtige, allerdings sehr junge Amme Filipjewna – und wie immer in Klagenfurt sind kleine Rollen sehr qualitätsvoll, prägnant und rollendeckend aus dem Chor besetzt: diesmal waren es Taras Kuzmych als Hauptmann und Saretzki sowie Thomas Tischler als Triquet. Und weil wir schon beim Chor sind: auch diesmal hat er seine große Aufgabe sehr gut gemeistert (Einstudierung: Günter Wallner) – und das nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch und sogar tänzerisch. Der Choreograph Lukas Zuschlag hat die Tanzszenen sehr geschickt arrangiert und den ambitionierten Choristen übertragen. Natürlich soll auch die letzte noch nicht erwähnte Hauptfigur gebührend gewürdigt werden: der – bei Puschkin 45-jährige, meist aber recht alte dargestellte – Fürst Gremin. Auch er war in Klagenfurt sehr jung besetzt. Der 34-jährige Ukrainer Taras Berezhansky sang seine große Szene im letzten Akt souverän. Auch er ist schon international erfolgreich tätig – mit der Gremin-Arie hatte er 2017 den angesehenen finnischen Klaudia-Taev-Wettbewerb gewonnen – das kann hier nachgehört werden.
Der Kontrast, oder besser gesagt: die weise Ergänzung zu diesem ganz jungen Solistenensemble ist der Regisseur! Klagenfurt ist es gelungen, den bedeutenden deutschen Theaterregisseur, den heute 84-jährigen Dieter Giesing für seine erste Opernregie zu gewinnen. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Markus Hänsel und einem ihm vertrauten Ausstattungsteam schuf der erfahrene Theatermann eine großartig-sachliche Inszenierung ohne Schnörkel. Da wurde der Musik ihr Raum gelassen, da gab es keine heute so übliche Bebilderung der Orchestereinleitungen. Die Personenführung von Solisten und Chor war klar und überzeugend. Auch wenn das Stück durch die Kostüme in die Gegenwart verlegt schien, wurden doch die Puschkin-Erzählung und die Einsamkeit der Hauptfiguren wunderbar gegenwärtig. Man war in das Geschehen hineingezogen und berührt. Eine einzige einschränkende Anmerkung sei nicht verschwiegen: die betrunkene Gesellschaft im Hause Gremins war überflüssig und lenkte von der finalen Auseinandersetzung zwischen Tatjana und Onegin unnötig ab.
Die Neuinszenierung war in allen Medien einheitlich sehr positiv besprochen – auch die musikalische Leitung durch den italienischen Dirigenten Jader Bignamini . Diesem Punkt kann ich mich allerdings nicht anschließen. Bignamini, den ich als sehr routinierten und umsichtigen Orchesterleiter bei einem Arienabend mit Anna Netrebko erlebt hatte, interpretierte an diesem Abend die wunderbare Tschaikowsky-Musik allzu straff und vordergründig. Schon das einleitende Andante con moto mit den seufzenden Generalpausen litt für mich darunter, dass die jeweils letzte Achtel in den ersten Geigen allzu stark akzentuiert wurden. Dadurch entstand von Anfang an eine unruhige und so gar nicht melancholisch-resignierende Grundstimmung, die meiner Meinung nach Tschaikowsky und Puschkin angemessen ist. Der Klang war mir oft zu grell, und es erschien mir überhaupt an diesem Abend das Orchester nicht bestens disponiert – etwa in den Bläsern. Die dramatischen Stellen und die tänzerischen Passagen waren kraftvoll zupackend, aber in den lyrischen Passagen fehlte der weiche, melancholische Orchesterklang. Man hörte eher das, was Tschaikowsky – wie anfangs zitiert – nicht wollte: Größe, Wucht und Pathos
Trotz dieser einschränkenden Anmerkungen: es war stimmlich und in der szenischen Umsetzung zweifellos ein großer Abend des Klagenfurter Stadttheaters. So wünscht man sich heutiges Musiktheater!
Hermann Becke, 29. 12. 2019
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Karlheinz Fessl
Hinweise:
– Trailer (2 Min.35)
– Neun weitere Vorstellungen bis 25. Jänner 2020 – unbedingt zu empfehlen!