Das seit 10 Jahren unter der Leitung von Alberto Triola stehende Festival (siehe auch Interview) bot auch heuer wieder ein hochinteressantes Raritätenprogramm, das unter dem Motto Napoli e l’Europa stand. Bei meinem Besuch folgten die Titel in der Reihe ihrer Entstehungszeit aufeinander, wodurch die Entwicklung der musikalischen Ausdrucksweise gut zu beobachten war.
Am 1.8. gab es zunächst in der Masseria San Michele, einem großen Gutshof, zwei Intermezzi zu sehen. Das waren kurze, lustige Stücke, die im 18. Jahrhundert in den Pausen einer opera seria gegeben wurden. Das bekannteste Intermezzo ist Pergolesis „La serva padrona“, das ein immer wieder erfolgreiches Thema hat, nämlich wie sich eine schlaue Frau aus den unteren Ständen durch Heirat mit einem reichen Dummkopf eine bessere soziale Stellung erobert.
So auch in „IL MALATO IMMAGINARIO“ von Leonardo Vinci (Strongoli 1696 – Neapel 1730). Der aus Kalabrien gebürtige Komponist studierte Musik in Neapel und wurde trotz seiner kurzen Lebensspanne einer der führenden Vertreter der neapolitanischen Schule. Sein dreiteiliges, 1726 uraufgeführtes, Intermezzo holte sich die Züge des eingebildeten Kranken aus Molières Komödie. Hier ist es die junge Witwe Erighetta, die den Hypochonder Don Chilone glauben macht, durch eine Eheschließung würde er von seinen Leiden geheilt. Als sich nach der Heirat sein Zustand nicht bessert, überlässt er, um seine Ruhe zu haben, seiner Angetrauten das Recht, im Haus nach ihrem Geschmack zu schalten und zu walten und sich auch außer Haus zu amüsieren.
„LA VEDOVA INGEGNOSA“ von Giuseppe Sellitti (Neapel 1700 – ebendort 1777) zeigt in dem zweiteiligen Intermezzo von 1735, wie sich die junge Witwe Drusilla den reichen, aber tumben Strabone krallt. Dieser gibt sich gern als Arzt aus, weshalb Drusilla vorgibt, krank zu sein. Als er trotz aller Verführungsversuche keine Neigung zeigt, zu heiraten, verkleidet sie sich als ihr eigener Bruder, der Strabone zum Duell wegen verletzter Ehre seiner Schwester fordert und schließlich das erwünschte Ergebnis bringt.
Maria Paola Di Francesco hatte für den Regisseur Davide Gasparro ein Schlafzimmer aus duftigem Tüll entworfen, das bestens in den Hof der Masseria passte und von Manuel Frenda eine gelungene Beleuchtung erfuhr. Beide Werke wurden von den selben zwei Interpreten gegeben, nämlich Lavinia Bini (Sopran) in den Frauen- und Bruno Taddia (Bariton) in den Männerrollen. Allerdings war Bini so indisponiert, dass sie nur mimen konnte, was sie allerdings so unglaublich überzeugend tat, dass man annehmen konnte, sie singe selbst, hätte man nicht im Hintergrund am Notenpult Maria Silecchio gesehen, die ihren rein klingenden Sopran der Kollegin lieh. Taddia ist in diesem Genre unbezahlbar, denn seine nicht unangenehme, aber anonyme und nicht sehr große Stimme reicht für ein Repertoire, in dem er seine schauspielerischen Stärken ausspielen kann. Ohne je zu outrieren, rief er in beiden Rollen Lachstürme hervor, zum Beispiel in einer grotesken Szene, in der der falsche Arzt nicht weiß, wie er mit einem Stethoskop umgehen soll – Raffinesse auf dem Niveau von Charlot!
Unter der Leitung von Sabino Manzo am Cembalo spielte die Cappella Musicale Santa Teresa dei Maschi auf Originalinstrumenten die hübsche Musik. Viel Applaus auch für die jeweiligen stummen Begleiter der Protagonisten Sebastiano Geronimo und Francesco Argese und starke Zustimmung für die Protagonisten und die tapfere Einspringerin.
Am 2.8. folgte im Hof des Palazzo Ducale ein sogenanntes Pasticcio, bei dem im 18. Jahrhundert ein federführender Komponist verschiedene Kollegen aufforderte, sein Werk um von ihnen geschriebene Stücke zu bereichern. Für seinen „ORFEO“ war es Nicola Porpora (Neapel 1686 – ebendort 1768), der mehr oder minder gleichaltrige Komponisten einlud, nämlich Johann Adolf Hasse, Francesco Araia, Francesco Maria Veracini, Geminiano Giacomelli und Leonardo Vinci. Der Älteste unter ihnen war mit Geburtsjahr 1690 Veracini, der jüngste Araia (1709). Porpora war ein sehr gesuchter Gesangslehrer und hatte zwei der berühmtesten Kastraten ausgebildet: Farinelli und Caffarelli. 1733 war er nach London berufen worden, wo er von Händels Gegnern als Rivale des deutschen Komponisten aufgebaut wurde. Nach ersten Erfolgen brachte er 1736 „Orfeo“ heraus, dessen Libretto von Paolo Rolli sich stark von der bekannten Sage abhebt. Die Handlung beginnt im Hades unter Göttern, wo es Proserpina gelingt, ihrem Gatten Plutone, der sie geraubt hatte, die Erlaubnis abzutrotzen, zeitweise auch auf der Erde leben zu dürfen. Wir lernen dann die Nymphe Euridice und Autonoe, Prinzessin von Theben, kennen, die über die Unbeständigkeit der Männer in Sachen Liebe diskutieren. Aristeo, König und Halbgott in Arkadien, und Orfeo lieben beide Euridice, allerdings hatte Aristeo deshalb Autonoe verlassen. Euridice will beiden Verehrern eine Chance geben, wird aber von Orfeos Gesang überzeugt, dass er der wahrliche Liebende ist. Im 2. Akt kommt es wiederholt zu Wortgeplänkeln Aristeo-Autonoe und verschiedenen Auseinandersetzungen über den Wert von Liebe und Beständigkeit. Als Aristeo Euridice verfolgt, um sie zu rauben, stirbt sie an dem berühmten Schlangenbiss. Der 3. Akt spielt zunächst wieder im Hades, wohin sich nicht nur Orfeo begeben hat, um Euridice zurückzuholen, sondern auch Aristeo mit dem selben Vorsatz, gefolgt von der ihn immer noch liebenden Autonoe. Plutone reagiert verwundert auf Orfeos Ansinnen, während Proserpina gerührt ist. Auch Orfeos Flehen vermag Euridice nicht von den Toten zu erwecken. Erst Plutone ist es, der sie nach Orfeos bestrickendem Lamento freigibt. Die zwei Paare (denn auch Aristeo und Autonoe haben sich wieder gefunden) kehren jubelnd auf die Erde zurück.
Es handelt sich bei einem relativ gemäßigten Einsatz von Rezitativen um eine Abfolge äußerst kunstvoller Arien, die teils bereits vorhanden waren bzw. von den erwähnten Komponisten „parodiert“ wurden (was im damaligen musikalischen Sprachgebrauch einer Bearbeitung entsprach). Die erste Aufführung in moderner Zeit hätte mit ihrer Reihe fast ohne Unterbrechung aufeinanderfolgender, koloraturgespickter Stücke leicht langweilig werden können, hätte es nicht ein geschicktes Arrangement von Massimo Gasparon gegeben, der für das Bühnenbild, die prachtvollen Kostüme (mit Ausnahme von Orfeo, der eher wie ein Verschnitt von Robin Hood und Wagners Wolfram von Eschenbach wirkte) und die Beleuchtung zeichnete. Was das Bühnenbild anbelangt, handelte s sich um eine weiße Trägerkonstruktion, die Pier Luigi Pizzi (Gasparon ist seit Jahren sein Mitarbeiter) für alle in diesem Jahr im Hof des Palazzo Ducale gegebenen Werke erdacht hatte (ich komme noch darauf zurück). Ein ganz großer Pluspunkt war die orchestrale Umsetzung durch George Petrou, der mit seiner Armonia Atenea den Prunk barocker Opernmusik aufs Feinste erglänzen und ihren Zauber damit greifbar machen ließ.
Es ist nun wahrlich nicht leicht, Sänger zu finden, die den großen Anforderungen an stimmliche Virtuosität zu entsprechen vermögen, was in besonderem Maße für die beiden Kastratenrollen gilt, die heute von Countertenören verkörpert werden müssen. Die Titelrolle sang Raffaele Pe, der sich in letzter Zeit einen gewissen Namen gemacht hat und auch schon im Theater an der Wien aufgetreten ist. Pe verfügt über schönes, weiches Material, das besonders in lyrischen Klagegesängen und deren langen Bögen zur Geltung kommt. Um hinsichtlich der Virtuosität ein Niveau zu erreichen, wie es seine berühmteren Kollegen haben, muss er allerdings noch viel arbeiten, denn da gab es Mängel. Mit weniger schön timbriertem, aber kräftigerem Material wartete sein italo-venezolanischer Fachkollege Rodrigo Sosa Dal Pozzo aus Brasilien als Aristeo auf. Er erwies sich auch als temperamentvoller Darsteller, ermüdete stimmlich aber gegen Schluss. Der angenehm timbrierte, aber eher unauffällig klingende Sopran von Anna Maria Sarra (Euridice) verlor gegen die dunklere, kraftvollere Stimme von Federica Carnevale (Autonoe), die auch, vor allem in ihrer letzten Arie, beträchtliche Virtuosität vorweisen konnte. Diese besaß in besonders hohem Maß Giuseppina Bridelli, deren Proserpina auch hinsichtlich der Stimmqualität stark punkten konnte. In der Bassrolle des Plutone ließ Davide Giangregorio, hörbar ein Bassbariton, nicht unbedingt überzeugende Töne hören.
Gleichfalls im Palazzo Ducale wurde am 3.8. Domenico Cimarosas „IL MATRIMONIO SEGRETO“ gezeigt, neben Mozarts Da Ponte-Opern die einzige abendfüllende Buffa des 18. Jahrhunderts, die sich bis zu einem gewissen Grad auf heutigen Spielplänen halten konnte. Cimarosa (Aversa bei Neapel 1749 – Venedig 1801) war in seinem bewegten Leben u.a. auch Hofkapellmeister in Wien als Nachfolger Salieris, und hier brachte er auch sein Werk 1792 im Burgtheater zur Uraufführung. Die Legende will wissen, dass das Werk Kaiser Leopold II. so gefiel, dass er nach dem abendlichen Festbankett eine Wiederholung der Aufführung anordnen ließ, wofür es aber keine ernstlichen Belege gibt.
Das Libretto von Giovanni Bertati ist vielleicht nicht so poetisch und auch mit weniger sprachlichen Zweideutigkeiten versehen als etwa jenes Da Pontes für „Le nozze di Figaro“, doch ist die Geschichte von dem reichen Händler Geronimo, der seine Tochter Elisetta mit dem verarmten Conte Robinson verheiraten will, um sich in adeligen Kreisen zu bewegen, sehr unterhaltsam, verliebt sich der Graf bei seinem Vorstellungsgespräch doch flugs in Elisettas jüngere Schwester Carolina. Diese ist aber seit kurzem heimlich mit Paolino, Geronimos jungem Mitarbeiter, verheiratet. Da die ältere Tochter zuerst an den Mann gebracht werden muss und Geronimos Schwester, die verwitwete Fidalma, ein Auge auf Paolino geworfen hat, komplizieren sich die Dinge, und die arme Carolina hat alle gegen sich. Natürlich gibt es ein Happyend, denn der Graf heiratet schließlich doch die für ihn vorgesehene Elisetta, und das junge Paar kann endlich bekennen, dass es verheiratet ist.
Die vielen unterhaltsamen Szenen des Librettos werden von Cimarosas Musik kongenial getragen. Mehr als einmal erreicht sie die Qualität des sieben Jahre jüngeren Salzburger Genies; die Terzette, Quartette und Ensembles haben spritzige Leichtigkeit, Carolinas große Klage, als sie die ganze Familie gegen sich sieht, klingt so tiefgehend wie duftig. Einen grundlegenden Beitrag dazu leistete das Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari, das seinem erst 26-jährigen Dirigenten Michele Spotti jeden Wunsch von den Augen ablas. Mit Spotti war mit Sicherheit eines der stärksten Talente im Dirigentennachwuchs zu entdecken, und der junge Mann wurde denn auch entsprechend gefeiert.
Pier Luigi Pizzi hatte die von ihm erdachte Konstruktion (siehe oben) so ergänzt, dass ein hübsches Wohnzimmer mit diversen Türen und einem daneben gelegenen kleinen Büroraum entstand. In modernen, lebhaften Kostümen führte der 89-jährige Grandseigneur eine Regie, die mit Hilfe der erwähnten Türen an Stücke von Feydeau denken ließ. Mit den Sängern muss er unglaublich viel gearbeitet haben, denn jede kleinste schauspielerische Nuance, jeder Gag saßen wie bei Schauspielern des Sprechtheaters. Selten so gelacht in einer Oper, wobei es aber nie zu platten Albernheiten kam.
Um das Negative schnell hinter uns zu bringen: Der australische Tenor Alasdair Kent (Paolino) ist stimmlich weit entfernt von Bühnenreife, denn sein derzeit nicht über einen Charaktertenor hinausgehendes Material war nicht in der Lage, die nicht allzu häufig für die Rolle vorgesehenen Höhen zu meistern. Allerdings sah er nicht nur blendend aus, sondern spielte mit einem beneidenswerten timing, sodass man schließlich doch geneigt war, seine gesanglichen Defizite zu überhören. Am Rest der Besetzung gibt es wenig bis nichts auszusetzen: Marco Filippo Romano (Geronimo) ist endlich wieder einmal ein Bassbuffo mit schöner, breiter Stimme, der dazu keine Blödeleien braucht, um jederzeit aus der Entwicklung der Figur heraus komisch zu wirken. Ausgezeichnet waren die beiden Soprane Maria Laura Iacobellis (Elisetta) und Benedetta Torre (Carolina), jede schauspielerisch ihrem Charakter entsprechend: Iacobellis eher verbiestert, Torre sanft und verliebt. Auch stimmlich waren die beiden jungen Damen gleichwertig und erfreuten mit reinen, gut geschulten Stimmen. Ein wahres Naturereignis war die Brasilianerin Ana Victoria Pitts als hier jung gesehene Tante Fidalma, unwiderstehlich in der Szene, in der sie Paolino verführen will. Dazu ein dunkler, robust klingender Mezzo – eine wahre Freude! Als Conte Robinson hatte Vittorio Prato vielleicht keine Stimme, die den Hörer vom Sitz reißt, aber sie war technisch gut geführt, und das Spiel des Sängers war so erheiternd und natürlich wie das seiner Kollegen. Ein Abend, der auf eine DVD hoffen lässt!
Zum Abschluss des Festivals gab es am 4.8. im Hof des Palazzo Ducale die zweite Aufführung von „ECUBA“, einem Werk, das mit gespannter Neugier erwartet wurde. Komponiert wurde es von dem 1791 im kalabrischen Palmi geborenen und in Neapel ausgebildeten Nicola Manfroce. Er hatte diese seine zweite Oper gerade beendet, als er 1813 im 23. Lebensjahr einer schweren Krankheit erlag. Ein tragisches Schicksal, aber warum wurde das Werk mit besonderer Spannung erwartet? Der Grund liegt darin, dass in der Arbeit des frühvollendeten Komponisten ein veritables Bindeglied zwischen barocker Klassik und dem Geschmack des anbrechenden 19. Jahrhunderts zu sehen ist.
Als Manfroce sein Werk schrieb, regierten in Neapel mit Joachim Murat noch die Franzosen, die gerne eine Oper im Stil der tragédie lyrique gesehen und gehört hätten. Manfroces Librettist Giovanni Schmidt (1775-1839) verwendete als Grundlage denn auch ein französisches Libretto von Jean-Baptiste-Gabriel-Marie de Milcent, das von Georges Granges de Fontenelle erfolgreich vertont worden war. Es ist faszinierend, zu beobachten, wie der 1. Akt von Manfroce ganz im französischen Stil mit viel declamato geschrieben wurde, während sich im 2. und besonders im 3. Akt die musikalische Ader Italiens durchsetzt, es mehr zu geschlossenen Nummern kommt und die Dramatik zunimmt. Besonders beeindruckend sind die Ensembles, die stark an den Rossini der opera seria erinnern, ja sie vorwegnehmen, hatte der ein Jahr jüngere Komponist aus Pesaro 1813 doch überwiegend noch komische Opern geschrieben, während die erwähnten Ensembles eher an „Mosè in Egitto“ aus 1818 denken lassen. Jedenfalls ein großer Wurf, der nach den ersten gefeierten Aufführungen bald in Vergessenheit geriet und in Martina Franca eine grandiose Auferstehung erlebte.
Die Handlung berichtet von Achilles (Tenor), der Hektor bei der Belagerung von Troja im Kampf getötet hat. Wie es halt in der Oper so geht, verliebt er sich in Polissena (Sopran), Tochter von Priamus (Tenor) und Hekuba (Sopran), somit eine Schwester Hektors. Seine Liebe wird erwidert, außerdem möchte Priamus die beiden durch Heirat verbinden, um dem Blutvergießen um Troja ein Ende zu machen. Alles wäre also bestens, wäre da nicht Hekuba, die um jeden Preis Rache für den Tod Hektors wünscht. Sie will Polissena zwingen, Achilles vor dem Altar zu ermorden. Das unglückliche Mädchen weicht schließlich dem Druck seiner Mutter. Während des Hochzeitsrituals kommt es allerdings gar nicht so weit, denn ein Bote meldet, dass die Griechen mordend und brennend in Troja eingedrungen sind. Auf ein Zeichen Hekubas töten die Wachen Achilles, und Polissena wird von den Griechen fortgeschleppt, um ermordet zu werden. Erst jetzt erkennt Hekuba, was sie mit ihrem Hass angerichtet hat.
Die bereits zweimal erwähnte Konstruktion von Pier Luigi Pizzi wurde von dem Regisseur nun links und rechts um treppenförmige Podeste für den Chor bereichert, sowie in der Mitte um einen Katafalk, auf dem zunächst der tote Hektor aufgebahrt war, und der dann als Altar für die Eheschließung diente. Mehr brauchte es nicht, um einen auch szenisch aufregenden, pausenlosen Abend zu garantieren, wobei die Damen und Priamus fließende Gewänder in Violett und Weiß trugen, Achilles hingegen in seiner Rüstung erschien.
Ausgezeichnet war die Leistung des Dirigenten Sesto Quatrini, der ursprünglich nur „Coscoletto“, eine Hommage an Offenbach, die ich leider nicht sehen konnte, leiten sollte, dann aber für den erkrankten Fabio Luisi einspringen musste. Bedenkt man, dass der junge Dirigent monatelang von einer japanischen Stalkerin verfolgt wurde, die in Martina Franca endlich dingfest gemacht und in den Kerker von Tarent gebracht wurde, so muss seine psychologische Widerstandskraft besonders gepriesen werden. Doch abgesehen davon erbrachte er mit dem Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari eine großartige Leistung, die der Bedeutung des Werks absolut gerecht wurde. Uneingeschränkt zu loben ist auch wieder der von Corrado Casati einstudierte Coro del Teatro Municipale di Piacenza.
Gesanglich hatten eindeutig die Damen das Sagen. Hatte Carmela Remigio die erste Aufführung wegen Erkrankung noch absagen müssen, so präsentierte sie sich nun in hervorragender Form und sang die Titelrolle mit größter szenischer und vokaler Intensität. In jeder Hinsicht krönendes Finale war Hekubas Schlussgesang auf der Höhe einer griechischen Tragödie, dem Manfroce ein wunderbares orchestrales Nachspiel folgen ließ, ganz im Gegensatz zu einem Rondo der Protagonistin, wie es dem Zeitgeschmack entsprochen hätte. Auch hier ist Manfroces Genie deutlich zu erkennen, und wenn man träumen will, kann man sich, wäre er nicht so jung gestorben, ein musikalisches Duell zwischen ihm und Rossini vorstellen. Es hat halt nicht sollen sein… Roberta Mantegna war Remigio eine vokal, wenn auch nicht als Persönlichkeit ebenbürtige Partnerin. Ihre schöne Stimme passte wunderbar zum zwischen Glück und Verzweiflung schwankenden Charakter der Polissena. Norman Reinhardt war ein guter Achilles, dem ein paar Stimmfarben mehr gutgetan hätten. Als Priamus, einer in besonders hoher Lage geschriebenen Rolle, die den frühen Rossini-Vätern entspricht, war Mert Süngü absolut überfordert. Als Hörer litt man mit dem Sänger und seinen Bemühungen mit. Martina Gresia als Teona, Vertraute der Polissena, machte zunächst einen guten Eindruck, doch schien ihr heller Sopran im zweiten Teil nicht mehr ansprechen zu wollen. Den toten Hektor verkörperte Giovanni Fumarola, Lorenzo Izzo war der Bote Antilochus und Nile Senatore von der Accademia del Belcanto der Polissena hinwegschleppende griechische Anführer.
Der Abend wurde gefeiert wie auch alle anderen Vorstellungen, aber wenn wir das „Applausometer“ befragen, dann gab es die allerlängste Zustimmung für „Il matrimonio segreto“. In jedem Fall ein absolut gelungenes Festivaljahr.
Eva Pleus 15.8.2019
Bilder: Clarissa Lapolla