Valle d’Itria: „Giulietta e Romeo“

Beginn der Romantik in der Oper

Oft schon hatte die schon vor Shakespeare in Italien durch die Erzählung von Matteo Bandello bekannte Liebestragödie als Opernstoff herhalten müssen, und meist wurden nur die Librettisten und Komponisten inspirierenden Handlungselemente übernommen. So auch bei diesem vom bedeutenden Felice Romani für Nicola Vaccaj (1790-1848) verfassten Textbuch (das, neuerlich adaptiert, auch von Vincenzo Bellini für sein „I Capuleti e i Montecchi“ verwendet wurde).

Hier treten mit dem titelgebenden Liebespaar noch Giuliettas Eltern Adele (Sopran) und Capellio (Tenor) sowie Tebaldo (Bariton) und Lorenzo (Bass) auf. Giulietta ist Sopran, Romeo – wie zu jener Zeit üblich – eine Hosenrolle für Mezzosopran. Vaccaj (von dem eine heute noch maßgebliche Abhandlung über Stimmtechnik stammt) schrieb als ausgewiesener Kenner sängerischer Möglichkeiten für die Kehlen seiner Sänger ideale Rollen. 1825 am Mailänder Teatro della Cannobbiana sehr erfolgreich uraufgeführt, stand das Werk später im Schatten von Bellinis 1830 herausgebrachter Oper. Vaccaj erlebte allerdings die Befriedigung, dass Maria Malibran, die den Romeo in beiden Fassungen verkörperte, den Schlussteil mit Romeos Tod in Bellinis Werk zu interpolieren pflegte, weil er für sie mehr „hergab“.

Hört man das Werk heute, ist nicht nur Malibrans Entscheidung verständlich, sondern auch die – wenn auch nur kurz währende – Popularität von Vaccajs Oper, die von mitreißenden Ensembles und Chören nur so strotzt und immer wieder an (den damals 28-jährigen) Donizetti denken lässt. Jedenfalls liegt die musikalische Qualität wenig unter jener der konkurrierenden Oper, und man würde sich wünschen, dass sie eine Rückkehr ins Repertoire fände.

Dies auch, weil die Rollen zwar schwierig, aber, wie schon erwähnt, sängerfreundlich geschrieben sind. Mit Raffaella Lupinacci war ein Romeo zu hören, der seinen Liebesschmerz, aber auch sein Aufbegehren mit schönem Mezzomaterial zum Ausdruck brachte, daneben auch das zutreffende burschikose Benehmen an den Tag legte. In Leonor Bonilla hatte dieser Romeo eine glaubhaft verliebte, aber auch eingeschüchterte Giulietta, die die vom Komponisten vorgesehenen Kantilenen wunderbar interpretierte und aus ihrer Schlussszene (Giulietta ersticht sich hier mit der Waffe ihres Vaters) sehr viel machte. Capellio ist in Rossinis Tradition der bösen Väter mit einem Tenor besetzt, der sich, wenn er in Rage kommt, in die höchsten Höhen hinaufwinden muss. Das gelang Leonardo Cortellazzi ganz ausgezeichnet. Lorenzo, hier kein Pater, sondern Berater des Hauses Capellio, wurde von Christian Senn vokal und szenisch überzeugend bewältigt. Eine besondere Freude war es, Paoletta Maroccu in der relativ kleinen Rolle der Adele (nur eine Arie) wiederzuhören. Neben ihrer gesanglichen Leistung beeindruckte vor allem die von archaischer Wucht getragene schauspielerische. Als Tebaldo zog sich Vasa Stajkic passabel aus der Affäre. Großes Lob muss auch dem so sanges- wie spielfreudigen Coro del Teatro Municpale di Piacenza unter der Leitung von Corrado Casati gezollt werden. Am Pult zeigte der im Vorjahr hier eigentlich entdeckte Sesto Quatrini, was man aus dem Orchestra Accademia Teatro alla Scala (erstmals hier im Einsatz!) herausholen kann. Sozusagen von jung zu jung warf man sich gewissermaßen die Bälle zu, was zu erstrangigem musikalischem Vergnügen führte.

Für die Regie war Cecilia Ligorio der richtige Griff, denn ihre Inszenierung besaß genau das richtige Flair für diese unsterbliche Geschichte. Schon die Kostüme von Giuseppe Palella schufen die richtige Atmosphäre, mit den wegen der Ermordung von Giuliettas Bruder durch Romeo Trauer tragenden Capulets (hier Capellio) und den hellen, an Uniformen gemahnenden Gewändern der Montagues. Für ihr Bühnenbild hatte Alessia Colosso ausgezeichnete Lösungen gefunden, die endlich wieder einmal die Mauer des Palazzo Ducale einbanden und das Publikum mit Hilfe von Zinnen nach Verona versetzte. Die für Giuliettas erzwungene Hochzeit mit Tebaldo aufgehängten Blumengirlanden verwandelten sich in traurige Zeugen des Todes der Liebenden. Sänger und Chor waren bestens geführt, und den immer wieder ausbrechenden und am Schluss besonders starken Jubel hatten sich Besetzung wie Team wirklich verdient.

Von den zahlreichen zusätzlichen musikalischen Darbietungen des Festivals seien zumindest noch ein Konzert in memoriam Sergio Segalini, des vorherigen Leiters dieser Festspiele, erwähnt, das am 30.7. von seinen Schülerinnen (u.a. Patrizia Ciofi und Iano Tamar) im stimmungsvollen Chiostro di San Domenico ausgerichtet wurde. Segalini galt auch eine am selben Tag im Dom des Städtchens stattfindende Aufführung von „Tre pezzi sacri“ des zeitgenössischen Komponisten Giampaolo Testoni, der eine Messe des 17-jährigen Gioachino Rossini folgte, die erst vor kurzem aufgefundene sogenannte „Messa di Milano“. Interpreten waren Ferdinando Sulla am Pult sowie der Counter Raffaele Pe, die Tenöre Francesco Castoro und David Ferri Durà und der Bass Peter Kellner. Der intensive Tag wurde von einem brillanten Klavierabend beschlossen, bei welchem Orazio Sciortino der Nacht geweihte Stücke von Schumann, Rossini, Liszt und ihm selbst spielte.

Eva Pleus 17.8.18

Bilder folgen.