Krefeld: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Kein Gloria auf der Andrea Doria

Spoilerwarnung vorweg! Sollten Sie sich die Inszenierung noch anschauen wollen, was ich dringend anrate, denn da lohnt sich auch die weiteste Anreise ins schöne Krefeld, dann lesen Sie bitte nicht weiter,

denn ich verrate hier natürlich das Ende der tollen Geschichte und dann haben Sie keinen Spaß mehr, außer vielleicht am Gesang und an der Musik. Verlassen Sie sich mal auf den Kritiker! Mein Hinweis auf den unisono enthusiastischen Beifall des niederrheinischen Premieren-Publikums mag genügen. Also los:

Ein Geschäftsmann in Kapitänskleidung, nennen wir ihn mal Daland, ist kein netter Kerl, eher ein Unsympath. Er ist wohl tatsächlich Kapitän und kommt gerade von einer Reise zurück, wandert aber gleich weiter zu seiner Geliebten (ja so sind sie, die Männer!) – nicht bevor er seine kleine Tochter Senta noch geschurigelt hat. Daland ist ein „fieser Möpp“, wie wir im Rheinland sagen würden. Er nimmt seiner Kleinen sofort ihr geliebtes Piratenkostüm inklusive Säbel weg, zerreißt ihre gemalten Bilder und steckt sie in ein Kinderbrautkleid. So gehört sich das für ein Mädel! Das soll ihre Zukunft sein. Die klassische Rolle der Frau in der norwegischen Gesellschaft – doch oh oh, wenn er sich da nicht täuscht… Die Vorgeschichte geht quasi im Zeitraffer weiter. Seine nette Frau stirbt und die ungeliebte Tochter Senta – Maya Roosen spielt das prima – flieht angesichts der neuen bösen Stiefmutter.

(c) Matthias Stutte

Das alles sehen wir durch einen Gazevorhang, auf den riesige Meereswogen in Super-Cinescope-Format projiziert werden, denn die riesige, über 25 Meter breite Bühne des Krefelder Theaters genügt auch den Anforderungen an ein I-Max-Kino. Sollten Sie, liebe Opernfreunde, schnell seekrank werden, ist es ratsam vor dem Besuch ein paar Tabletten einzuwerfen, damit sie diese Schwankungen überleben, denn das Meer wabert fast dreidimensional. Das ist schon kräftig und beeindruckend. Gut, daß Wagners Ouvertüre so lang ist, da kann man viel unterbringen.

Ouvertüre Ende, die Oper beginnt, wie Wagner es vorgesehen hatte. Wir befinden uns auf einem rostigen „Seelenverkäufer“ – nein nicht das Holländerschiff, denn von diesem sehen wir später nur einen riesigen goldenen Bugsporn mit Drachenkopf, der sich bedrohlich auf das Schiffsdeck senkt. Wir befinden uns in der Neuzeit, und die Besatzung torkelt im teuren Partyanzug, aber schon mit roter Rettungswese ausgestattet, passend zur Musik auf dem Schiff herum. Katastrophenfall ist angesagt, und da verlassen bekanntlich Mannschaft und Kapitän als erste (!) das Schiff. Kinder und Frauen sind ja erstmal nicht vorhanden. Rette sich wer kann! Von der restlichen Besatzung des wohl kräftig in die Jahre gekommenen Kreuzfahrtschiffes sieht man nichts. Die Kreuzfahrtreisenden, wenn überhaupt vorhanden, sind wahrscheinlich schon über Bord gespült worden.

(c) Matthias Stutte

Die Geschichte nimmt nun sehr Wagner-werktreu ihren Lauf. Plötzlich ist der Holländer da – eine wirkliche Spukgestalt mit wildem Bart, furchteinflößend zerzaustem Haar und verlottertem Ölzeug. Er singt seinen klassischen Monolog – auf den natürlich alle schon gewartet haben – bravourös und ohne Mätzchen. Überhaupt gibt es in diesem tollen Regie-Konzept von Roman Hovenbitzer keine überflüssigen oder unpassenden Sperenzien, trotz moderner Auslegung. Alles paßt. Auch, daß man Wagner übertitelt. Ein ausgebildeter Opernregisseur, der seinen Beruf gelernt hat – und wie. Ein Profi, der das Werk liebt, die Partitur lesen kann und so charmant wie fantasievoll alles in eine tolle Story kleidet. So muß Musiktheater heutzutage inszeniert werden. Da vergeben wir auch noch unseren Opernfreund Stern, denn so eine Inszenierung ist grandios und mit Kenntnis und Liebe zur Musik erfüllt – also heutzutage selten geworden…

(c) Matthias Stutte

Doch kommen wir zurück zum Holländer-Monolog. Diesen singt Johannes Schwärsky ganz wunderbar, und wenn später die erwachsenen Senta, die grandios singende Agnes Thorsteins (ein Name, von dem man noch viel hören wird!) dazu kommt, dann spreche ich von einem „Dreamteam“. Überhaupt bietet das Krefelder Theater alle Rollen in guter Besetzung, ob es der stimmsichere Daland von Matthias Wippich ist oder Ralf Ertel (endlich mal ein Erik, der aus dieser oft wenig beachteten und unterschätzten Nebenrolle eine Hauptpartie macht) oder die Mary der wie immer großartigen Eva Maria Günschmann oder der Steuermann von Arthur Meunier. Das Krefelder Haus bietet auf, was es an großartigen Solisten zu bieten hat; schon fast eine königliche Besetzung ohne geringsten Ausfall oder Einschränkung – 5 von 5 möglichen Sternen. Der zweite Grund für unseren Opernfreund-Stern.

Der dritte ist die Leistung der Niederrheinischen Sinfoniker unter GMD Mikhel Kütson, und der vierte geht an den vorzüglich aufgestellten Chor und Extrachor (Maria Benumova, Michael Preiser). Da auch noch die Kostüme (Mechthild Seipel) stimmen und das Bühnenbild von Roy Spahn* so gelungen ist, schließt sich der Reigen der Sterne. E lucevan le stelle!

(c) Matthias Stutte

Erwähnenswert ist dann noch der beständige Schwachpunkt dieses frühen Wagner-Werkes: die Spinnstuben-Szene, meist als ein Grauen auf Puppenstuben-Niveau inszeniert. Heuer im Zeitalter der computergesteuerten Nähmaschinen drehen sich keine Spinnrädchen mehr, versteht sich. Und wenn auf der Bühne ein Kinderwagen steht, dann dient er den trinkfesten Damen, die zwar immer noch Brautkleider nähen (eine augenzwinkernde Reminiszenz an Wagners Urgeschichte ;-), als Minibar für hochdrehende flüssige Nahrung. Alles dreht sich…

Bis zum Ende verläuft die Geschichte aber nun völlig wie bekannt. Die oft albern verlaufend peinliche Teilung des normalen Chores („nanu, der Chor wird immer kleiner – wo sind sie hin, Herbert?“), wenn der Geisterchor real auftreten soll, umschifft Hovenbitzer mit tollen Projektionen und akustischen Einblendungen aus dem Off des digitalen Speichers. Das funktioniert und klingt gut, denn offenbar hat man endlich die alten Dampfradio-Lautsprecher des Theaters durch modernes Highend Gerät getauscht.

(c) Matthias Stutte

Am tradierten Schluß springt Senta nicht nur aus ihrem Brautkleid zurück ins Räuber-Outfit und auch real raus dem Szenen-Bild, sondern sie hat auch endlich ihr Bild von der Fantasie-Figur ihres Geister-Traum-Mannes, an der sie die ganze Oper über quasi in einer Parallelmontage zusammen mit ihrem kindlichen Alter-Ego gearbeitet hat, fertiggestellt. Die beiden Frauen verscheuchen die olle Geistergeschichte im Moment der Apotheose mit einer Handbewegung, worauf alle Protagonisten auf der Bühne umfallen und sich die Szene verdunkelt, gehen fröhlich Hand in Hand in eine für Frauen bessere und hoffentlich aufgeklärtere Zukunft. Wow! Was für ein Theatercoup! Was für ein begnadet schönes Ende! Bravo!

Peter Bilsing, 23. Januar 2024

* gewidmet sei diese Kritik dem im Oktober 2023 überraschend verstobenen, großartigen Bühnen/Kostümbildner Roy Spahn. Ruhe in Frieden, Roy!


Der fliegende Holländer
Richard Wagner

Theater Krefeld

Besuchte Premiere am 21. Januar 2024

Regie: Roman Hovenbitzer
Dirigat: Mikhel Kütson
Niederrheinische Sinfoniker