Krefeld: „Margarethe (Faust)“, Charles Gounod

Ob nun unter dem Titel Faust (wie im Original) oder dem Titel Margarethe (wie in Deutschland oft verwendet), zählt Charles Gounods Oper zu einer der erfolgreichsten französischen Opern aller Zeiten. In Krefeld hat man sich beim Titel einfach für eine Kombination der beiden Varianten entschieden, auch wenn man der Produktion hier sehr treffend mit Mephisto einen ganz neuen Titel hätte geben können. Doch dazu später mehr. Auch wenn ein kleiner Teil aus Goethes Faust hier die Grundlage der Handlung bildet, so erzählt Gounod doch vor allem die Geschichte von Margarethe. Es beginnt damit, wie diese von der großen Liebe träumend an Faust gerät, der hier lediglich seinen Gelüsten folgend, ein junges Mädchen in ihr sieht. Nachdem er sie dann schwanger zurücklässt, landet sie auf der Straße und leidet unter dem Spott der Gesellschaft. Selbst ihr Bruder Valentin ist enttäuscht über die Schande, die sie über die Familie brachte, während er im Krieg kämpfte. Noch nachdem Valentin im Duell mit Faust im Sterben liegt, verflucht er seine Schwester für dies alles verantwortlich zu sein. Nur Siébel, der Margarethe von ganzem Herzen liebt, steht ihr auch in dieser Zeit zur Seite. Doch dies hilft Margarethe nicht mehr, nachdem diese ihr Kind durch teuflische Magie verliert und dem Wahnsinn verfällt.

© Matthias Stutte

Strippenzieher hinter all dem ist natürlich Mephisto, der in der Inszenierung von Anthony Pilavachi zur zentralen Figur wird. Ein Teufel der Faust und die gesammte Gesellschaft nach belieben lenkt und hierbei Unterstützung von seinen Gehilfen erhält. In diese Rollen dürfen acht Statisten schlüpfen, die Mephisto mit seinem wallenden grauen Haar sehr ähnlich sehen. Selbst das Kostüm und die optische Darstellung von Faust sind in dieser Produktion an Mephisto angelehnt. Ein kleiner Kniff, der im Verlaufe des Abends eine recht große Wirkung entfacht. Allgemein sind die Kostüme und das Bühnenbild von Tatjana Ivschina sehr gelungen und bereiten die Grundlage für einen großen Opernabend. Sehr spannend dabei, dass die vier Akte (die ersten beiden Bilder werden hierbei als ein Akt gezählt), an die vier Jahreszeiten angelehnt sind. Es beginnt im Frühling mit der aufblühenden Liebe, die im Sommer ihren Höhepunkt findet. Im tristen Herbst sorgt fallendes Laub für eine Art Vergänglichkeit, bevor Margarethe im Winter den Tod findet. Und doch gibt es auch im trübsten Winter bei schönem Schneefall noch immer einen Funken Hoffnung, denn der nächste Frühling kommt gewiss.

© Matthias Stutte

Mit diesen Ansätzen gelingt Pilavachi, der an diesem Haus mit seiner Interpretation der Salome vor einigen Jahren bereits nachhaltigen Eindruck hinterlies, erneut eine absolut überzeugende Regiearbeit. Hierbei setzt er auch auf starke und abschreckende Bilder, für die an dieser Stelle durchaus eine Trigger-Warung ausgesprochen werden darf. Wenn Faust Margarethe zum Ende des zweiten Aktes vor den Augen von Mephisto vergewaltigt, ist dies ein schwer zu ertragender Anblick, der durch den Vorhang nur langsam verdeckt wird. Ebenso schwer zu ertragen ist es, wie die verrückt gewordene Margarethe nach dem Tode des Kindes mit einer blutverschmierten Fötus-Puppe samt Nabelschnurr umgeht. Diese Bilder sind schrecklich, allerdings jederzeit passend und ohne große Effekthascherei inszeniert. Vielmehr bringen sie das Grauen, welches Margarethe hier erleiden muss, passend auf die Bühne. Passend ist es auch, wie die Soldaten im Gegensatz zu der an sich eher heroischen Musik im dritten Akt aus dem Krieg heimkehren, hierbei aber deutlich vom Kriegsgeschehen gezeichnet sind. Neben Verletzungen und blutverschmierter Kleidung, bringen sie auch ihre geköpften Gegner mit in die Heimat, ein sehr passendes Bild für die Grausamkeiten des Krieges. Gelungen ist auch der Tausch zweier Bilder, so dass Margarethes Gebet in der Kirche erst etwas später als ursprünglich im Libretto vorgesehen stattfindet. Dies ist in der gewählten Inszenierung sehr stimmig und macht Margarethes langen Leidensweg im zweiten Teil der Oper nochmal eine Stufe intensiver. Dass man in Krefeld in diesem Zusammenhang zudem auf die Walpurgisnacht verzichtet, macht durchaus Sinn. Pilavachis Inszenierung ist in sich sehr stimmig und handwerklich gut gemacht.

© Matthias Stutte

Auch Musikalisch kann das Theater Krefeld einmal mehr überzeugen. Woongyi Lee weiß in der Rolle des Faust sehr zu gefallen. Mit seinem eher lyrisch angelegten Tenor singt er auch die höheren Partien sauber und mit großer Strahlkraft. Als Margarethe kann Sofia Poulopoulou mit schönen Sporan und starken Schauspiel überzeugen. Omnipräsent ist der Bariton Johannes Schwärsky als Mephisto, der gesanglich auf höchstem Niveau aggiert. Gleichzeitig ist seine Mimik herrlich anzuschauen, selbst wenn er immer wieder mal nur abseits des eigentlichen Geschehens aggiert. Dies verleiht der Rolle des Mephisto nochmal eine ganz eigene Tiefe. Rafael Bruck hat als Valentin zwar recht wenige Auftritte, steuert dafür aber mit Avant de quitter ces lieux ein Highlight des Abends bei. In der Hosenrolle des Siébel setzt Kejti Karaj aus dem Opernstudio Niederrhein nachhaltige Akzente, die diese Rolle mit sehr viel Herz ganz zauberhaft auslegt und mit der Blumenarie auch ihr musikalisches Talent auf die Bühne bringen kann. Abgerundet wird die Besetzung durch Gereon Grundmann als Wagner und Janet Bartolova als Marte Schwertlein in den beiden kleinen Rollen des Abends. Auch der um einige Personen erweiterte Opernchor weiß in dieser großen Choroper sehr zu gefallen. Er zeigt sich von Michael Preiser hervorragend einstudiert und kann durch einen kraftvollen und homogenen Klang überzeugen. Insbesondere der Soldantenchor wirkt stark nach. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson dirigiert die Niederrheinischen Sinfoniker einmal mehr sehr präzise und zeigt eindrucksvoll, warum dieses Orchester einen so guten Ruf hat. Die kirchenmusikalischen Ansätze im vierten Akt meistern die Musiker ganz wunderbar unter seinem Dirigat.

© Matthias Stutte

Trotz der Länge der Oper mit einer Aufführungsdauer von fast 200 Minuten (inklusive einer Pause nach rund 100 Minuten), will das anwesende Publikum den Saal nicht verlassen und fordert unter lautem Jubel und unzähligen Bravo-Rufen für die Darsteller einen Vorhang nach dem anderen. Ein schöner Abschluss für einen rundum gelungenen Opernabend.

Markus Lamers, 22. Oktober 2023


Margarethe (Faust)
Oper von Charles Gounod

Theater Krefeld

Premiere: 10. September 2023
Besuchte Vorstellung: 20. Oktober 2023

Inszenierung: Anthony Pilavachi
Musikalische Leitung: Mihkel Kütson

Weitere Aufführungen: 5. November / 14. November / 22. November / 27. Dezember

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