Poesie, aber auch Banalität
Nach zwei erfolglosen Versuchen, Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ am Theater Basel aufzuführen, ist es nun dem Intendanten Benedikt von Peter in Co-Regie mit Caterina Cianfarini in den Bühnenbildern von Natascha von Steiger sowie den Kostümen von Katrin Lea Tag im Lichtdesign von Roland Edrich gelungen, einen neuen „Ring“ auf die Bühne des Hauses zu stellen. Mit der Premiere der „Götterdämmerung“ am 6. Oktober wurde der Zyklus, der in der vergangenen Saison begann, abgeschlossen.
Regisseur Peter von Benedikt will zeigen, dass die Kinder und Enkelkinder Wotans unter dem Gewaltanspruch und der damit verbundenen Auseinandersetzung zwischen dem Lichtalben Wotan und dem Schwarzalben Alberich stehen und eigentlich nur noch ihre Instrumente zu Machtgewinn und -erhalt sind. Das zu zeigen gelingt in dieser Inszenierung recht gut, auch wenn hier nur über „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ berichtet wird.
Alberich und Wotan sind fast immer – auch als stumme Rollen – auf der Bühne, für Wotan recht ungewöhnlich, der ja in der „Götterdämmerung“ gar nicht mehr auftreten sollte. Allerdings wird es mit der Dauerpräsenz von nicht „planmäßig“ auf der Bühne präsenten Figuren bisweilen zu weit getrieben. So kommt eine zweite Interpretationsebene hinzu: Sowohl „Siegfried“ wie „Götterdämmerung“ werden aus der Sicht und Erinnerung Brünnhildes gesehen. Das ist durchaus nichts Neues, haben es doch schon Kasper Becht Holten in seinem Kopenhagener „Ring“ 2003-06 und weniger überzeugend Tatjana Gürbaca am Theater an der Wien 2017 gezeigt. Bei Benedikt von Peter führt dieser Ansatz aber dazu, dass Brünnhilde sich ständig und meist unentdeckt am Rande der Bühne herumdrückt und so das gesamte Geschehen miterlebt. Zudem gibt es aus dem Lautsprecher immer wieder Ansagen zum Geschehen von ihr, was den musikalischen Duktus empfindlich stört. Für einen „Ring“-Neuling muss es dann höchst unverständlich wirken, wenn Brünnhilde im 2. Aufzug der „Götterdämmerung“ langsam, aber sicher einen Verrat aufdeckt, dessen detailliertes Entstehen sie im ersten selbst miterlebt hat. Diese und ähnliche Situationen sorgen für einige dramaturgische Konfusion, die das Regieteam offenbar leichtfertig in Kauf nimmt.
Eine dritte Ebene ist die der in dieser Inszenierung ständig auf der Bühne befindlichen Puppen, klein und groß bis riesig. Nun ist ja bekannt, dass Wagner ein Liebhaber des Kasperltheaters war. Weniger, bis gar nicht bekannt ist aber auch, dass er seine Figuren zumindest teilweise als Puppen gezeigt hätte. Das wird hier in großem Stile betrieben, sodass man angesichts der immer wieder auf die Bühne kommenden Tierversammlung aus einem Fuchspärchen (Siegmund und Sieglinde), drei überdimensionierten, mit Stäben wie Riesenlibellen geführten Rheintöchtern, einer Riesenkröte (man müsste Loge revidieren „…dass die größte Spalte dich fasst…“), einem großen Stoffdrachen, der fröhlich weitermachen darf, auch wenn er im 2. Aufzug von Siegfried in zwei Teile geschlagen wurde, und einer bühnenhohen Puppe des erschlagenen Riesen Fasolt. Sie alle sollen hier für Opfer von Wotans unbändigem Machtgebaren stehen, was durchaus Sinn macht, aber in diesen Dimensionen und Dichte zeitweise übertrieben wirkt und eher an eine Mischung aus „Das schlaue Füchslein“ und „Die Zauberflöte“ denn an Wotans Fehlverhalten erinnert.
Immerhin geben die Tiere einen poetischen Einblick in Siegfrieds Menschwerdungsprozess in den Tiefen des Waldes, zumindest als Nebeneffekt. Wenn dann aber Wotan mit einer kleinen Brünnhilde-Puppe statt mit der ohnehin ständig anwesenden Tochter selbst agiert, wird das Ganze doch fragwürdig und der Handlungsinhalt zumindest optisch banalisiert, auch wenn damit wohl gesagt sein soll: Brünnhilde wird von Wotan voll manipuliert. Auf dieser dritten Ebene wäre eine Stricknadel anstelle des berühmten Zaunpfahls besser gewesen. Natürlich kommt das Regieteam mit den Tieren und auch in anderen Situationen der sicher richtigen Erkenntnis entgegen, dass im „Ring“ auch immer wieder eine gehörige Prise Humor zu orten ist.
Auf der Habenseite des Baseler „Siegfried“ steht jedenfalls eine gute Personenregie und das differenzierte Herausarbeiten der emotionalen Beziehungen zwischen den Hauptfiguren, also Siegfried und Mime einerseits, sowie im Finale, wenn sie dann auch offiziell auf der Bühne ist, zwischen Brünnhilde und Siegfried andererseits. Die Weltesche, ebenso wie das beide Abende beherrschende zweistöckige Haus, welches handlungsbezogen ständig wechselnde Funktionen erhält, ist ständig präsent und hat sich sogar vervielfacht.
Nach einem sehr guten Prolog der „Götterdämmerung“ läuft dem Regieteam dann aber der 1. Aufzug, insbesondere die Gibichungenszene, voll aus dem Ruder. Hier feiert Valentin Schwarz aus Bayreuth fröhliche Urständ, ja, man könnte meinen, seine fragwürdige Bayreuther Inszenierung hätte hier Modell gestanden. Die Tatsache, dass nun Menschen in den „Ring“ kommen, überstrapaziert das Regieteam mit einem brachial anmutenden Einbruch einer Möbelfirma mit entsprechendem Transporter, die Sitzmöbel und allerhand anderes Umzugsgut auf die Bühne und in eben dieses Haus anliefert. Der ohnehin ähnlich wie in Bayreuth als leicht unzurechenbar gezeichnete Gunther bindet sich die Schürze um und wird Barkeeper. Wenn sich Siegfried nähert, nimmt Hagen das Rohr des mitgelieferten Staubsaugers als Mast für Gunthers Schürze, um Siegfried auf dem Rhein zu signalisieren, dass er an Gibichs Hof kommen solle! Mit dem Fallen des Vorhangs wird zum Abholzen der letzten Weltesche lautstark die Kettensäge angeworfen. Im 2. Aufzug schießen die Mannen – alle in Weiß – Luftschlangen aus ihren Gewehren, während im Haus eine poppig-kitschige Party abläuft. Dies und manches mehr zieht weite Teile der „Götterdämmerung“ ins allzu Banale, auch wenn nachvollziehbar ist, dass das Regieteam Siegfried jegliches Heldentum abspricht und ihn so auch durch die „Götterdämmerung“ führt, durchaus passend zu diesem Regiekonzept.
Spannend und recht eindrucksvoll wird es aber nochmal am Ende, wenn es zu keinem Weltenbrand kommt – nur eine Miniaturausgabe des Hauses wird mit Streichholz entzündet – und Brünhilde stattdessen Siegfrieds Leichentuch Wotan vorwurfsvoll vor die Füße wirft und den Ring auf den Boden. Selbst da reißen sich Alberich und Wotan nochmal um das Gold, welches Wotan schließlich behält. Er stellt aber fest, dass sich niemand mehr dafür interessiert – der Ring ist durch Brünnhildes Erlösungstat wertlos geworden. Das gesamte Personal auf der Bühne mit ihr voran schreitet durch das Publikum langsam an ihm vorbei vondannen. Ein äußerst unkonventioneller Schluss, der aber einiges für sich hat. So hinterlassen diese beiden Abende des Baseler „Ring“ einen uneinheitlichen Eindruck, zumal das auf der Bühne zu Sehende recht oft nicht zu Wagners Musik passte.
Trine Moeller sang an beiden Abenden die Brünnhilde mit einer für die Größe dieses Hauses vollkommen ausreichenden Stimme bei hoher Strahlkraft und guten Spitzentönen sowie einer äußerst intensiven Darstellung. An einem großen Haus könnte sie eine sehr gute Sieglinde sein. Ralf Romei war ihr Partner als Siegfried auf Augenhöhe mit einem nicht allzu großen Tenor, der bisweilen etwas ins Charakterfach neigt, aber über gute tenorale Klangfarbe verfügt. Die Spitzentöne bereiteten manchmal leichte Schwierigkeiten. Auch Romei ging voll in seiner Rolleninterpretation auf. Karl-Heinz Brandt verkörperte einen sehr akzentuierten Mime und war vokal ein guter Gegenpol zu Romei. Der Alberich von Andrew Murphy wartete mit einem klangvollen warmen Timbre auf. Patrick Zielke war ein sehr engagierter Hagen und konnte auch vokal mit einem etwas hellen Bass überzeugen.
Stimmlich hervorragend meisterte Nathan Berg den Wanderer mit einem bestens geführten ausdrucksstarken Bassbariton und einem ebenso intensiven, aber auch ungewohnten Spiel an beiden Abenden, bei sehr guter Diktion und Phrasierung. Günter Papendell war ein spielintensiver Gunther mit einem Bariton, dem es noch etwas an Volumen mangelt. Heather Engebretson gab die Gutrune als leichtes Flittchen, überraschte aber stimmlich mit ihrem gut geführten Sopran. Jasmin Etezadzadeh war eine ausgezeichnete Waltraute und Zweite Norn mit einem wohlklingenden resonanzreichen Mezzo. Hanna Schwarz war als Erda nur noch ein Schatten ihrer selbst, verkörperte aber die Urmutter darstellerisch nachvollziehbar. Runi Brattaberg lag der Fafner im „Siegfried“ gut, und Álfheiour Erla Gudmundsdóttier sang einen sehr schönen mannshohen Waldvogel, der eindrucksvoll in Rot mit großem Schnabel Siegfried beriet. Alle weitere Nebenrollen war gut besetzt.
Jonathan Nott dirigierte das Sinfonieorchester Basel mit seiner großen Wagnererfahrung und sorgte mit den engagierten Musikern dafür, dass diese beiden Abende vor allem musikalisch stark beeindruckten. Und dabei ist das Orchester gar nicht zu sehen. Man glaubt es kaum, es ist unter der Bühne, die somit bis vor die erste Reihe der Zuschauer reicht. Der Klang ist durch Bodenöffnungen zu hören. Und damit kommt man in der Tat Wagners Idee vom unsichtbaren Orchester noch näher als in Bayreuth selbst, wo immerhin noch das Licht im Graben zu sehen ist. Es entsteht ähnlich Bayreuth eine Art Mischklang, obwohl immer wieder aber auch Einzelinstrumente gut zu hören sind – ein besonderes Klangerlebnis in Basel also, und sehr sängerfreundlich. Lediglich das „Siegfried“-Horn hatte einige Probleme. Nott und das Orchester, das beim Schlussapplaus auf einer Leinwand eingeblendet wurde, bekamen sehr starken Applaus, wie auch die Darsteller. Der von Michael Clark einstudierte Chor des Theater Basel war stimmstark und gut choreografiert, ein Pluspunkt der „Götterdämmerung“. Im kommenden Jahr wird es zwei ganze Zyklen geben.
Klaus Billand, 30. Oktober 2024
Siegfried und Götterdämmerung
Richard Wagner
Theater Basel
Besuchte Vorstellungen: 6. und 8. Oktober 2024
Regie: Benedikt von Peter
Musikalische Leitung: Jonathan Nott
Sinfonieorchester Basel