Premiere: 29.9. 2019. Besuchte Vorstellung: 25.1. 2020
Gefragt, was ihn an der Oper so interessiere, antwortete der Regisseur, dass es erst mal wahrscheinlich (!) die Musik sei, die er „so schätze“. Und weiter: „Dann habe ich so ein bisschen ein Faible für, sagen wir mal, sportliche Herausforderungen für die Regie. Ariadne, das ist ja nun ein Stück, an dem ganz regelmäßig die Regie scheitert. Oder vielleicht, sagen wir es gern noch ein bisschen fatalistischer, regelrecht scheitern muss. Und das nehme ich erst mal als sportliche Herausforderung.“
All das, was Dirk Schmeding über die Beweggründe, Strauss‘ und Hofmannsthals Meisterstück zu inszenieren, sagte, findet ein Abbild auf der Bühne des Theaters, auf dem bekanntlich Theater auf dem Theater gespielt wird. Denn inhaltlich motiviert erscheint hier nur das, was, überspitzt ausgedrückt, zum einen richtig scheint – und zum anderen gerade deshalb szenisch platt ist. Vermutlich kommt das (apokopierte) Verbum „platt“ von „Palette“ – aber dazu später.
Sprechen wir zunächst über die Hauptsache, also die Musik. Am Abend der letzten Vorstellung dieser Produktion klingt die Partitur unter der Leitung des GMD Domonkos Héja, man kann es kaum anders sagen, seltsam unstraussisch, einige Takte eher wie Strawinsky, also seltsam trocken. Wenig blüht hier auf, manches wackelt hier zwischen dem Graben und den teils allzu lärmigen Aktionen auf der Bühne. Zwar passt diese Ästhetik hervorragend zur nüchternen Ästhetik der Behelfsbühne im martini-Park, der sich die von Martina Segna entworfene Garagendeko von Vorspiel und Oper ideal anpasst. Nur wird an diesem Abend leider nur ein Strauss mit angezogener Notbremse gespielt, die phasenweise eher die schnarrenden Begleitstimmen als eine Violinmelodie nach oben bringt. Pianissimi werden vielleicht zu ernst genommen; weniger – zu Gunsten der Verständlichkeit der Sänger – ist nicht immer mehr, weniger ist oft eben nur weniger. Man kann das so machen, indem man den Klang als „kammermusikalische Durchhörbarkeit“ lobpreist – aber muss man es summo et unico loco machen?
Die Sänger aber versteht man auch dann nicht immer, wenn unten die Kammermusik sich zurückzieht. Schade, hat doch Hofmannsthal, mit besten Gründen, Wert darauf gelegt, dass jedes Wort begriffen wird. Sally du Rhandt aber ist darüber hinaus, mit ihrem metallischen, denkbar mozartfernen Sopran eine Ariadne machen zu können. Ihre Lady Macbeth war ideal, weil Verdi einmal bemerkte, dass die Lady „nicht singen“ dürfe. Diese Ariadne aber ist, das passt zur strengen Stimme, eher eine ältliche Diva vom optischen Typus „Draculina“ als eine jugendlich beseelte Verlassene. Zugeben: das Argument ist subjektiv, aber ich glaube nicht, dass sich Strauss und Hofmannsthal diesen Stimmtypus vorstellten, als sie die Figur der todessüchtigen Frau imaginierten. Ariadne ist kein Lady Macbeth, wenn auch eine Lady. Mal völlig von der szenischen Idee abgesehen, dass diese Ariadne ihren nächsten Liebhaber – wie Zerbinetta maliziös anmerkt – förmlich zu erwarten scheint, was dem von Hofmannsthal intendierten „Wunder der Verwandlung“ völlig widerspricht. Ein Grund mehr, eine Produktion zu kritisieren, die in diesem wesentlichen Punkt das Stück ins Gegenteil verkehrt und dadurch auch – das ist das eigentlich Dumme dieser Arbeit, die eine Interpretation sein will – die Musik verfälscht. Keine Frage: „Ariadne“ lässt sich nur schwer, vermutlich gar nicht „aktualisieren“, wenn man sie mit den Interessen und Erfahrungen eines Regisseurs und einer Dramaturgin von Anno 2019 vermengt, die eher Lacan als Hofmannsthal vertrauen. Dabei wäre eine konsequente Inszenierung im Sinne der zeitgenössischen Theorien Sigmunds Freud vermutlich spannender, ja selbst im Licht der spekulativen Psychoanalyse und Traumtheorie logischer, also weniger zufällig gewesen, was ein schönes Detail wie ein von Jean Starobinski inspiriertes Bild, aus dem schwarzer Teer ausfliesst, ja nicht ausschliessen muss.
Als Einspringer für den Tenor fungierte diesmal Michael Siemon. Sein körniger Einstand ließ im Vorspiel noch nichts Gutes erwarten, bevor er sich in der Oper vokal derrappelte und am Ende annähernd den Straussglanz seiner Kehle entließ, der für Bacchus reserviert wurde. Freilich widersprach dem sein Auftritt: der „Flüchtling“ – wie ihn die Dramaturgie im Aktualisierungswahn benennt – entert mit einem Schlauchboot und Schwimmweste die Bühne. Kein Kommentar, auch nicht zur Tatsache, dass die Regie hier aus der Hosenrolle des Komponisten eine Komponistin machte, was zumindest die sexuelle Präferenz in der Interaktion mit Zerbinetta verschob. Einziger Pluspunkt der Interpretation: Zerbinetta hat hier tatsächlich eine kurze Minute lang unironisch und stumm über ihre eigene Desorientiertheit nachgedacht. Der Rest ist eine gegenderte Werkveränderung. Man kann das so machen, aber… Zerbinetta heißt in Augsburg Olena Sloia, sie spielt kapriziös und vital, also ausgesprochen zerbinettesk, und bewältigt die gefürchtete wie geliebte Arie mit Anstand.
Und der Komponist, wie die Rolle noch bei Hofmannsthal und Strauss heißt? Natalya Boevas Stimme, die unten wie in der Mitte das Potenzial zur weiteren Kultivierung besitzt, detoniert regelmäßig und hässlich, wenn es an die Spitzentöne geht. Gleiche Unart hört man beim Tintenfisch: Jihyun Cecilia Lee zerstört das Terzett der drei Damen, wenn sie zu ihren Passagen ansetzt. Man sollte ihr vielleicht mitteilen, dass die Bühne im martini-Park nicht die Größe der Scala besitzt.
Tintenfisch? E vero: Najade, Echo und Dryde, das sind hier eine Motte, das Meerestier und ein Wiedehopf, also Wasser, Erde und Luft. Leider klingen Najade, Echo und Dryde bei Strauss und Hofmannsthal nicht eklig, absurd oder tierisch, sondern stets balsamisch. Freilich inszeniert Schmeding mit seinem Kostümgestalter Valentin Köhler die Oper „Ariadne auf Naxos“ als absurde Farce, die von einem Kunsteingreiftrupp (grotesk herausragend: der Tanzmeister mit seinem ungewöhnlich untanzmeisterischen Embonpoint und der riesenhändige Harlekin, der an die abstrusen Gestalten in der Augsburger „Kandaules“-Inszenierung von 2015 erinnerte) optisch in die surreale Ecke gestellt wird, wobei die Idee, Ariadne in einem Sarg hausen zu lassen, noch als assoziative Pointe durchgeht. Der Rest ist, woran die Aktionen des Komikerquartetts ihren Anteil haben, bei Schmeding eine Nach-68er-Performance, in der der Komponist – pardon: die Komponistin – auf der Bühne steht oder durch den Orchestergraben geht. Wer gerade dort hinschaut, verpasst freilich das, was auf der Bühne passiert; schade ist das allerdings selten.
Vermutlich wollte uns Schmeding darauf aufmerksam machen, dass das Verhältnis und die Diskrepanz zwischen dem Vorspiel und der Oper bzw. zwischen der sog. Realität und der Theater-Kunstwelt hier so offen liegen, dass man nichts Böses tut, wenn man es noch offener macht, doch auch der Umgang mit dem Terminus des „Traums“ erklärt hier zu wenig. Aus diesem Grund lässt Schmeding auch zu den Schlusstakten der Oper jenes Publikum, das im Vorspiel noch im hinteren Saal saß und seine Partie feierte, auf die Bühne kommen, wo es sich, fremdgeleitet von einer allzu durchsichtigen Regie, die Ausstattung anschaut. Und zack: die musikalische Wirkung dieses grandiosen, bewegenden Schlusses ist beim Teufel. Strauss und Hofmannsthal aber haben bewusst (und klugerweise) auf eine Widerkehr der Gestalten des Vorspiels verzichtet.
Soviel zur angeblichen Liebe des Regisseurs zur Partitur.
Stichwort „Palette“: werden die Sänger der Oper während des Vorspiels zum Vorspiel in großen Holzkisten, Zerbinetta in einem Pappkarton auf Paletten in die kahle Garage geliefert (natürlich: denn die Künstler sind für den reichen Herren ja nichts als Befehlsempfänger), so ist die Idee so richtig wie platt. Man könnte es verschmerzen, würde ein Musikmeister auf der Bühne stehen, der wenigstens ein wenig über den Wiener Charme verfügen würde, den der Haushofmeister des Erik Völker schon deshalb vermissen lässt, weil er sich vergeblich und peinlich um so etwas wie einen Wiener Zungenschlag bemüht. Man hört die Absicht und man ist verstimmt. In dieser Garage (jaja, bei Hofmannsthal ist auch nur von einem „kaum möblierten“ Raum die Rede: eine großartige Steilvorlage für absolute szenische Ödnis) ist es allerdings völlig gleichgültig, wie man spricht und singt und rezitiert; Alejandro Marco-Buhrmester bringt den graujackettigen Musikmeister insgesamt grau, an diesem Abend auch stimmlich charmelos.
Man könne an der „Ariadne“ nur scheitern? Schmeding hat es gesagt – und leider Recht behalten, weil er dem Stück fast allen Witz und fast alle Poesie austrieb. Lediglich der Sarg und Zerbinettas einsame Minute vermochten zumindest mir zu zeigen, dass es sich vielleicht lohnte, diese Inszenierung anzuschauen, die leider auch den Witz, den Charme und die pathetische Kraft der unvergleichlichen Straussschen Musik bagatellisierte. Und sage keiner, dass man im Ersatzbau des martini-Parks die vielleicht schönste aller Strauss-Opern genau so ironisch sein wollend inszenieren und trocken musizieren müsse. In diesem Fall würde jede Inszenierung jeder Oper am Ort aussehen wie diese: mit Pappkarton, Paletten und absurden Figuren, die das Wichtigste – die Musik – zu einem unverständlichen Krautsalat machen.
Frank Piontek
Fotos: © Jan-Pieter Fuhr