22. Juli 2019
Held wider Willen
Die ins deutsche übertragene Rockoper setzt den Fokus auf das ewig Menschliche. Wer heute eine Aufführung von „Jesus Christ Superstar“ besucht, den treiben wohl kaum religiöse Motive dazu. Seit 1971, als das Stück vom damals noch unbekannten, erst 22-jährigen Komponisten Andrew Lloyd Webber in Töne gesetzt wurde, hat sich die westliche Welt weitgehend vom Glauben an einen allgegenwärtigen, hilfsbereiten Gott abgewendet. Und dennoch schafft es dieses Musikstück auch nach fast einem halben Jahrhundert immer noch, dem säkularisierten Menschen der Gegenwart die Person Jesu nahezubringen. Denn das ist die eigentliche Intention dieser dramatischen zweieinviertel Stunden, in denen von den letzten sieben Tagen aus dem Leben des christlichen Erlösers erzählt wird. Zwölf Jahre hat es gedauert, bis das Stück auf der Freilichtbühne am roten Tor erneut zum Leben erweckt wurde. Das Augsburger Publikum erfreut sich an einer farbenprächtigen, mit viel Engagement präsentierten Inszenierung.
Ganz anders vor fast 50 Jahren – vielleicht weil Widerstände sowohl zum Christentum wie auch zu mutigen Textbüchern gehören: In den 1970ern hatten sich zahlreiche traditionelle Katholiken empört, weil Webber und Rice den Unsympath der Bibel, Judas, in ihren Augen zu positiv dargestellt hatten. Außerdem sahen viele es als Blasphemie an, die ihnen heiligen Abläufe der Bibel in ein rein weltliches Drama zu fassen. Damit haben heutige Besucher des Musicals sicher keine Probleme mehr. Jüngere stören sich eventuell an der leichten Patina, welche schon über dem Begriff „Rockoper“ liegt. In der Tat: So zeitlos „Jesus Christ Superstar“ auch sein mag – das Stück kann nicht verleugnen, aus welchem Jahrzehnt es stammt. Einige mögen gerade das.
So findet der Wiener Schauspieler Markus Neugebauer unter anderem auch die historische Dimension so packend an diesem Stück. Neugebauer versucht, der Figur des leidenden und gekreuzigten Jesus so viel Menschlichkeit und Größe zu geben, wie nur möglich. Sein Heiland ist ein vollbärtiger Stürmer und Dränger, der sich nie in die erste Position drängt, aber auch nicht zur unbeachteten Randfigur verkommt. Damit nähert er sich überraschend genau der Mentalität der 70er Jahre wie der Absicht des prominenten Autoren-Duos. Wie die meisten seiner Kollegen bringt der Österreicher eine gute Portion Bühnenroutine mit: Neugebauer hat in „Joseph and the amazing technicolor dreamcoat“, in „Les misérables“ sowie in „Jekyll & Hyde“ bereits hinreichend Musical-Erfahrung gesammelt. Seine Darstellung auf der Freilichtbühne ist zwar nicht charismatisch, aber jederzeit ausdrucksstark. Man nimmt diesem Jesus ab, dass er sich für die Allgemeinheit opfern würde.
Flankiert wird der 38-Jährige Star der Aufführung in erster Linie von seinem Widersacher wider Willen, Judas Ischariot (David-Michael Johnson), dessen Kommentare immer wieder den Ablauf der Handlung begleiten. Johnson, der aus Ohio stammt, bereicherte – wie übrigens auch Markus Neugebauer – schon zahlreiche Inszenierungen der Rockoper rund um Christus. Seine stimmlichen Fähigkeiten kamen bei den Besuchern in der Freilichtbühne gut an. Ebenfalls machte Johnsons Interpretation deutlich, wie zerrissen diese Figur aus dem Neuen Testament war und wie wenig Judas oft von den eigenen Handlungen überzeugt war. An einigen Stellen gewinnt die Freude des Darstellers am Gesang allerdings die Überhand, und Johnsons Darbietung wirkt zu enthusiastisch. Auch dieser Judas drängt sich an keiner Stelle vor, und so gerät „Jesus Christ Superstar“ in der Lechstadt geradezu zum Ausdruck eines demokratischen Miteinanders.
Es ist kaum zu ignorieren, dass sich die Darsteller auch hinter den Kulissen sehr sympathisch sind – ein Eindruck, den Sidonie Smith, die Augsburger „Maria Magdalena“, noch verstärkt. Gelegentlich hätte sich Smith ruhig mehr in den Vordergrund drängen dürfen, schließlich eignet der von ihr verkörperten Figur jede Menge Dramatik. Mit ihrer Aussprache kann diese Darstellerin der „Maria Magdalena“ auf jeden Fall punkten: Während man Johnson den amerikanischen Hintergrund durchaus anhört, ist das Deutsch dieses auch noch als Violistin und Bratschistin aktiven Multitalents makellos.
Was für ein Vorteil, schließlich kommt „Jesus Christ Superstar“ am roten Tor im heimischen Idiom daher – eine etwas gewöhnungsbedürftige Eigenheit, für welche Regisseur Cusch Jung verantwortlich zeichnet: „Die deutsche Sprache eignet sich wunderbar zum Singen, Spielen und Sprechen.“ Diese Überzeugung trieb Jung – der in seiner eigenen Inszenierung übrigens auch die Partie des Pilatus übernimmt – dazu, sich für die Übertragung des Werks aus dem Englischen zu entscheiden. Wobei der 61-jährige, ebenfalls Musical-erfahrene Regisseur einräumt, dass die Geschichten aus der Bibel sowieso jedem gut bekannt seien, ebenso übrigens wie viele der Songs in „Jesus Christ Superstar“.
Für die durchaus hörenswerte Musik, welche diese „Rockoper“ begleitet, sorgen die Augsburger Philharmoniker – (M.L.: Ivan Demidov) – im Verein mit der Rockband „Abyss“. Das scheinbar nicht Vereinbare fand hier zu einem harmonischen Gleichklang. Ein weiterer Pluspunkt: Das schlichte, relativ monotone Bühnenbild (Karel Spanhak) verzichtete auf Dominanz, und verlieh dadurch dem Geschehen mehr Gewicht. So entfaltete sich das Musical vor der Kulisse eines gemauerten Amphitheaters mit einem riesigen Kreuz in der Mitte. Besonders hervorzuheben sind darüber hinaus die tänzerischen Leistungen, welche vom Ballett Augsburg (Choreografie Ricardo Fernando) erbracht wurden und der Opernchor des Staatstheaters Augsburg (Einstudierung Carl Philipp Fromherz).
Bilder (c) Foto: Jan-Pieter Fuhr
Daniela Egert, 30.7.2019