Handwerklich gut – musikalisch hochstehend
Besuchte Aufführung: 18. 12. 2013 (Premiere: 30. 9. 2012)
Im Angesicht des Todes
Der Augsburger „Don Giovanni“ genießt seit seiner Premiere im Herbst 2012 einen guten Ruf. Mit entsprechend hohen Erwartungen ging man in die Aufführung, wurde dann aber zumindest in szenischer Hinsicht enttäuscht. Die Inszenierung von Patrick Kinmonth, von dem auch das Bühnenbild und die historischen Kostüme stammen, erwies sich als reichlich altbacken und vermochte in ihrer Gesamtheit nicht zu überzeugen.
Dong-Hwan Lee (Leporello), Giulio Alvise Caselli (Don Giovanni)
Was Kinmonth hier auf die Bühne gebracht hat, wird die Rezeptionsgeschichte des Werkes kaum vorantreiben. Handwerklich ist ihm zwar nichts anzulasten; auf die Führung von Personen versteht er sich gut. Nicht zu überzeugen vermochte indes seine grundsätzlichen Herangehensweise an Mozarts Oper. Dem modern eingestellten Intellekt wurde hier rein gar nichts geboten. Allzu sehr blieb die zwar durchaus schön anzusehende, aber zu harmlose Inszenierung in herkömmlichen Konventionen stecken und geriet demzufolge alles andere als aufregend. Kinmonth siedelt das Stück im durch oftmaligen Sprühregen, einem Wasserbassin auf dem Bühnenboden sowie einer Gondel versinnbildlichten Venedig des 18. Jahrhunderts an und identifiziert den Titelhelden mit einem berühmten Einwohner der Stadt: Casanova. An und für sich ein Einfall, der durchaus Sinn hat. Auch die Idee, die Frauen sehr selbstbewusst und emanzipiert vorzuführen, war gefällig, ebenso der missglückte Selbstmordversuch der darob in hysterisches Lachen ausbrechenden Elvira mit Hilfe einer Pistole. Überzeugend war die Quintessenz des Ganzen: Das Prinzip Don Giovanni stirbt nie aus, sondern lebt ständig fort. Dementsprechend fährt der Protagonist nicht zur Hölle, sondern nähert sich am Schluss erneut den Damen. Mit der Andeutung dessen, was vor und was nach der eigentlichen Handlung liegt, kann man ebenfalls leben.
Dong-Hwan Lee (Leporello), Giulio Alvise Caselli (Don Giovanni), Erich Payer (Tod)
So weit so gut. Vereinzelt konnte man Kinmonths Ideen sogar bescheinigen, dass sie in jedes Zeitalter passen. Leider sind das aber nur Eintagsfliegen. Das große Problem der Inszenierung besteht darin, dass mit der Verankerung des Geschehens in der Entstehungszeit der Oper – hier sei noch erwähnt, dass Casanova am 29. 10. 1787 in Prag im Uraufführungspublikum saß – eine Mentalität beschworen wurde, die längst veraltet und von der heutigen Warte aus in keiner Weise mehr nachzuvollziehen ist. Der Tod war damals in Form von Seuchen und Krankheiten allgegenwärtig und mit dem allgemeinen Lebensgefühl untrennbar verbunden. Damals existierten noch zur Genüge bildliche Vorstellungen des Sensenmannes und das Übernatürliche war noch nicht aus der Gedankenwelt der Menschen verbannt. Dem trägt Kinmonth Rechnung, indem er den Tod, lebendig geworden, fast stets präsent sein und zum Zeuge der Handlung werden lässt. In unserer von Vernunft bestimmten Wirklichkeit vermag diese Vorgehensweise wenig zu überzeugen, genau wie die Idee, den Commendatore äußerst traditionell als Reiterstandbild auf einer Gruft vorzuführen. Nicht nur hier wurde letztlich belanglos am Libretto entlang inszeniert, ohne dem Geschehen eine übergeordnete moderne Aussage zu geben. Dass der Zuschauerraum an diesem Abend allenfalls zur Hälfte gefüllt war, war aus szenischer Sicht gut nachzuvollziehen.
Dong-Hwan Lee (Leporello), Giulio Alvise Caselli (Don Giovanni), Vladislav Solodyagin (Commendatore)
Nicht aber aus gesanglicher. Die stimmlichen Leistungen waren bis auf eine Ausnahme ganz vorzüglich. Wieder einmal wurde deutlich, dass heutzutage auch kleine Häuser über hervorragende Ensembles verfügen, die es mit denen großer Bühnen gut aufnehmen können. Giulio Alvise Caselli kann man getrost als idealen Don Giovanni bezeichnen. Nicht nur äußerlich wurde der junge, blendend aussehende und bewegliche Bariton seinem Part voll gerecht. Auch vokal erbrachte er mit seinem prachtvoll focussierten, leicht und geschmeidig ansprechenden wohlklingenden lyrischen Bariton eine Glanzleistung. Man möchte ihn gerne einmal mit Verdi oder Puccini hören. Nicht minder überzeugend war der über ebenfalls bestens gestütztes Bassmaterial verfügende Dong-Hwan Lee, der dem Leporello eine Vielzahl von Facetten abgewann, wobei er indes um des Ausdrucks willen bewusst manchmal etwas seinen guten Stimmsitz aufgab. Das hätte nicht sein müssen. Eine gute Leistung erbrachte auch Natalie Kerl, deren Stuttgarter Ännchen man noch in bester Erinnerung hat. An diesem Abend stellte sie eindrucksvoll unter Beweis, dass sie auch für die Donna Anna eine treffliche Wahl darstellt. Die großen dramatischen Ausbrüche standen ihr in demselben Maße zu Gebote wie einfühlsame lyrische Passagen und Koloraturgewandtheit. In Nichts nach stand ihr Stephanie Hampl, die die Verzweiflung der Elvira, ihre Gefühlsstürme und auch Rachegelüste darstellerisch mit hoher Intensität auskostete und auch stimmlich mit tiefgründigem, emotional eingefärbtem Stimmklang stark für sich einzunehmen wusste. Eine vokal recht kräftige und mit trefflicher Stütze singende Zerlina war Cathrin Lange. Neben ihr präsentierte sich Simon Tischler als ebenfalls mit ansprechender italienischer Technik singender Stadtbürger Masetto. Wunderbares sonores Bassmaterial brachte Vladislav Solodyagin für den Commendatore mit, der hier aber eher der Bruder als der Vater Annas war. Gegenüber seinen Kollegen fiel der Don Ottavio von Christopher Busietta erheblich ab. Mit seinem dünnen, kopfig und bar jeder soliden stimmlichen Anlehnung gegen das Brustbein geführten Tenor bildete er den einzigen Schwachpunkt in dem ansonsten ausgezeichneten Ensemble. Als Tod geisterte Erich Payer stumm über die Bühne.
Dong-Hwan Lee (Leporello), Stephanie Hampl (Donna Elvira)
Roland Techet am Pult setzte zusammen mit den Augsburger Philharmonikern auf einen flüssigen, transparenten und geschmeidigen Klang, der an der einen oder anderen Stelle aber etwas dramatischer hätte ausfallen können. Den Sängern war der Dirigent ein umsichtiger Partner.
Fazit: Eine zwiespältige Aufführung. Gesanglich ist der Abend sehr empfehlenswert, szenisch eher entbehrlich. Worauf er mehr Wert legt, mag jeder Opernfreund für sich selber entscheiden.
Ludwig Steinbach, 22.12. 2013 Die Bilder stammen von A. T. Schaefer.