Augsburg: „Rigoletto“

Bezaubernde Gilda

Premiere: 26. 10. 2013

Der Narr im Wilden Westen

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ die Neuproduktion des „Rigoletto“, mit dem das Theater Augsburg seinen Beitrag zum 200. Geburtstag von Giuseppe Verdi zur Diskussion stellte. Patrick Kinmonth hat sich des Stücks angenommen und eine Deutung präsentiert, die ihm beim Schlussapplaus von dem verstörten, eher konventionell eingestellten Publikum zahlreiche Buhrufe einbrachte. Dabei war seine Herangehensweise an Verdis Oper eher harm- und belangloser Natur.

Chor

Es war schon eine Überraschung, als sich der Vorhang öffnete und man sich jäh in den Wilden Westens Nordamerikas versetzt sah. Rigoletto unter Cowboys und Indianern? Ergibt das Sinn? Das Auditorium meinte fast einstimmig „nein“. Vom Äußeren her mag das sicher stimmen. Da hätte „Un ballo in maschera“, der von Verdi aus Zensurgründen gerade in dieses Land verlegt wurde, besser hingepasst. Die Antwort für diese recht extravagante Vorgehensweise des Regisseurs, der auch die Kostüme schuf und dem Darko Petrovic (Bühnenbild) zur Seite stand, liefert gerade das Genre des Wildwest-Films – oder genauer: der Italo-Western. Der ursprüngliche, in den USA über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich weiterentwickelte und zur Blüte gebrachte Westernfilm mit seinen stets im Vordergrund stehenden edlen Helden und Indianern kann hier nicht viel zum besseren Verständnis beitragen. Sehr wohl aber der in Italien ab den 1960er Jahren entstandene Western, der von seinem Wesensgehalt her mit dem „Rigoletto“ durchaus vergleichbar sind. Im Italo-Western waren die guten Kämpfer für Recht und Ordnung eher zweitrangig. Meistens waren es die dunklen, zwiespältigen und bösen Charaktere, die im Zentrum dieser Filme standen und mit aller Macht ihre wenig hehren Ziele verfolgten. Und genau darin liegt die geistige Parallele zu Verdis Rigoletto, dessen Personal einschließlich der Titelfigur sich ebenfalls aus recht fragwürdigen Spezies der Gattung Mensch zusammensetzt. Hier wie dort geht es nicht um den Kampf des Guten gegen das Böse, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen ziemlich anrüchigen Gestalten.

Jacek Strauch (Rigoletto)

So weit erscheint der Ansatz des Regisseurs also begründet. Indes ist sein Versuch, modern sein zu wollen und etwas gänzlich Neues zu präsentieren, gescheitert. Natürlich war der äußere Rahmen, den er und sein Team der Oper verpassten, neu. Nicht aber der geistige Gehalt. Der bewegte sich größtenteils in ausgetretenen konventionellen Pfaden, ohne vom geistig-intellektuellen Standpunkt aus etwas Neues zu bieten. Dieser Aspekt wird von ihm in seiner Interpretation leider gänzlich ausgeklammert. Dabei war der Beginn noch vielversprechend. Die Handlung wird von Kinmonth gleichsam von hinten aufgerollt. Bei Gildas während des Vorspiels stattfindender Trauerfeier klammert sich der Duca verzweifelt an die Leiche der Geliebten. Das kann Rigoletto nicht ertragen und erschießt seinen ehemaligen Dienstherrn kurzerhand. Die aus Cowboys bestehende Trauergemeinde reagiert prompt und befördert nun ihrerseits ihn ins Jenseits, so dass zu guter Letzt drei Leichen nebeneinanderliegen – wahrlich ein starker Beginn, der auf das Kommende neugierig machte. Leider wurden die Erwartungen in der Folge vom Regisseur nicht erfüllt. Die Kraft des Eingangsbildes wurde später an keiner Stelle mehr erreicht.

Jacek Strauch (Rigoletto), Sophia Christine Brommer (Gilda)

Kinmonth beschränkte sich darauf, die Geschichte in herkömmlichen Deutungsmustern geradlinig und solide, wenn auch ohne echten Tiefgang zu erzählen. Wenn man von dem außergewöhnlichen Rahmen und der Szene auf Gildas Beerdigung einmal absieht, ist ihm zu Verdis Werk gar nichts Neues eingefallen. Eine innere Stellungnahme zu dem Geschehen und eine Auseinandersetzung mit dem Subtext des Librettos werden von ihm nicht geliefert. Die Saloongesellschaft des Anfangs, zu der sich der Duca als äußerlich nicht sehr herausragender Sheriff gesellt und unverhohlen die zur Salondame umgedeutete Gräfin Ceprano anmacht, waren eigentlich nur Staffage. Eine junge Indianerin fungiert als Serviermädchen und Rigoletto selber erscheint als alter Fuzzy mit Rückenwunde, der sich in seinem Duett mit Gilda als Bruder von Donizettis Dulcamara erweist. Zusammen mit seiner Tochter haust er in einem Planwagen und preist auf einer großen Werbetafel „Rigolettos Elixier“ an. Dass sich Gilda während „Caro nome“ in die ihr noch unbekannte Männergesellschaft begibt und einem der Cowboys den Hut vom Kopf reißt und diesen sich selber aufsetzt, hat man im benachbarten München ähnlich gesehen. Sparafucile und Maddalena, die in einem einfachen Tipi leben, gehören der indianischen Urbevölkerung des Landes an. Das war alles wenig originell und riss einen nicht gerade vom Sitz.

Sophia Christine Brommer (Gilda)

Eine Glanzleistung erbrachte dagegen Lancelot Fuhry am Pult. Er dirigierte die Augsburger Philharmoniker mit enormer Intensität und Fulminanz. Er verstand sich trefflich darauf, Spannung aufzubauen, wobei er die durchgehende musikalische Linie kontinuierlich immer mehr zu steigern wusste und das konzentriert und versiert aufspielende Orchester bei den Höhepunkten der Partitur mächtig auftrumpfen ließ. Darüber hinaus fand er genau den richtigen Spagat zwischen dramatischem Aplomb und lyrischer Eleganz und wartete den ganzen Abend über mit einer hervorragenden Italianita auf. Von diesem vielversprechenden Dirigenten wird man in Zukunft wohl noch viel erwarten dürfen.

Kerstin Descher (Maddalena), Ji-Woon Kim (Duca)

Auf insgesamt glänzendem Niveau bewegten sich auch die sängerischen Leistungen. Dabei stand die Premiere unter keinem guten Stern. Der ursprünglich für den Duca vorgesehene Ji-Woon Kim konnte aufgrund einer fiebrigen Erkältung nicht singen. Ursprünglich bereit, seinen Part wenigstens zu spielen, weil Einspringer Andrea Shin vom Badischen Staatstheater Karlsruhe erst zwei Stunden vor Beginn in Augsburg eingetroffen war und demgemäß szenisch nicht mehr eingewiesen konnte, hatte sich sein Zustand 20 Minuten vor Beginn derart verschlechtert, dass er nach Hause geschickt werden musste. Die Lösung sah folgendermaßen aus: Während Regieassistent Dominik Kastl den Duca spielte, steuerte Herr Shin den vokalen Part von der linken Bühnenseite aus bei. Der große tenorale Glanz, den er dabei verbreitete, die fein gesponnene italienische Linienführung sowie die hohe Ausdrucksintensität und Frische seines prächtigen Tenors ließen den herzlichen Schlussapplaus des begeisterten Publikums nur zu berechtigt erscheinen. Ein herzliches Dankeschön an Herrn Schin, den man noch von seinen Duca-Auftritten in Heidelberg und Karlsruhe in bester Erinnerung hat, für sein beherztes Einspringen, das die Premiere gerettet hat. Ein weiterer Glanzpunkt der Aufführung war Sophia Christine Brommer, die sich als Gilda die Herzen der Zuschauer im Sturm eroberte. Und das zurecht. Diese junge Sopranistin, die letzte Saison noch zum Ensemble des Augsburger Theaters gehörte und jetzt an dieses als Gast zurückkehrte, hat alles, was eine gute Vertreterin dieser Rolle braucht. Ausgeprägte lyrische Eleganz und einfühlsame Legatofähigkeiten stehen ihr in demselben Maße zur Verfügung wie Koloraturgewandtheit, Flexibilität und Ausdrucksstärke. Dabei klang ihr perfekt italienisch fundierter Sopran bis in höchsten Höhen des Stimmbereichs voll und rund. Dazu gesellte sich eine sehr gefühlvolle Tongebung und Beseeltheit des Ausdrucks, womit sie besonders bei dem wunderbar gesungenen „Caro nome“ punkten konnte. Diese Gilda hatte Festspielformat. An das hohe Niveau seiner beiden Kollegen vermochte Jacek Strauch in der Partie des Rigoletto nahtlos anzuknüpfen. Mit herrlich sonorem, expansionsfähigem und höhensicherem sowie ebenfalls vorbildlich italienisch geschultem Bariton zog er alle Register seiner Rolle, in der er gänzlich aufging und in der auch darstellerisch sehr glaubhaft war. Vladislav Solodyagin war ein profund singender Sparafucile, der leider beim tiefen ‚f’ am Ende seines Duetts mit Rigoletto im ersten Akt auf die Stimme drückte. Dieser Ton hätte besser auf dem Atem geführt und freier ausschwingen müssen. Das war indes nur eine Kleinigkeit, die dem insgesamt positiven Eindruck keinen Abbruch tat. Kerstin Descher brachte für die Maddalena einen sinnigen, verführerischen Mezzosopran mit. Tadellos auch die Giovanna von Wilhelmine Busch. Stephen Owen gab einen autoritär und recht bestimmt singenden Monterone. Schönes Baritonmaterial brachte Giulio Alvise Caselli für den Marullo mit. Mit tiefgründiger Tongebung wertete Jutta Lehner die kleine Rolle der Gräfin von Ceprano auf. Das gilt auch für den vokal kräftigen Pagen von Constanze Friederich. Stimmlich nicht sehr auffällig waren Christopher Busietta (Borsa) und Daniel Holzhauser (Graf von Ceprano). Den Gerichtsdiener gab Eckehard Gerboth. Als Schamane rundete Erich Payer das Ensemble ab. Einen gefälligen Eindruck hinterließ der von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudierte Herren-Chor.

Fazit: Von der szenischen Seite her nicht gerade aufregend, war die Aufführung in musikalischer und stimmlicher Hinsicht voll gelungen. Der Besuch kann durchaus empfohlen werden.

Ludwig Steinbach, 30. 10. 2013 Die Bilder stammen von Nik Schölzel.