Überzeugende musikalische Darbietung
Aufführung am 28.02.2014 (Premiere am 25.02.2014)
Beleuchtungswechsel zwischen Liebesnacht und ödem Tag
Vom Bayreuth-Kanon des sächsischen Komponisten fehlen in der Ägide des scheidenden Intendanten-Regisseurs John Dew nach seiner Tristan-Inszenierung in Darmstadt nur noch Tannhäuser und Lohengrin – die hat er aber anderen Orts inszeniert. In kürzlichen Interviews hat Dew mit dem modernen Regie-Theater, dessen „böser Bub“ er einst selber war, abgerechnet und erstaunlicherweise kundgetan, die Opern müssten so aufgeführt werden, wie sie in Libretto und Partitur von den Autoren vorgezeichnet sind. Ganz so hat er es nun mit dem neuen Tristan in Darmstadt doch nicht gemacht, aber viel Neues und/oder Erhellendes ist dabei nicht herausgekommen. Und dennoch wurde es (vor allem musikalisch) eine überzeugende Aufführung von Tristan und Isolde.
„Dem Wagner kann man ja viel zumuten“ fand Wolfgang Wagner auf seine alten Tage noch heraus; hinzugefügt sei: wenn nur die musikalische Seite stimmt. Viel falsch machen kann man auch beim Tristan nicht, es sei denn der Regisseur zerstört mutwillig. (Luk Percevals Stuttgarter Tristan oder der von Marthaler bei den Bayreuther Festspielen fallen Ihrem Kritiker hier zwanglos ein.) John Dew weist im Programmheft zu Recht darauf hin, dass Wagners Spezifizierung „Handlung in drei Aufzügen“ eine provokante Unwahrheit ist; denn eine Handlung findet eigentlich gar nicht statt, denn es geht gar nicht um „Vorgänge“, sondern viel mehr um „Zustände“. Diese szenisch zu vertiefen ist in der Tat keine einfache Aufgabe, vor allem deswegen weil das in dieser Oper schon die Musik ganz perfekt leistet. Um dieser auch den entsprechenden Rezeptionsraum zu lassen, lässt John Dew auf der Bühne in einer einfachen Szenographie eine recht reduziertes Spiel ablaufen, dessen wesentliche Elemente die auch wieder sehr einfache Lichtregie sowie (eher überflüssig) ein immer stärker werdendes Gewaber von Theaternebel ist.
Ralf Lukas (Kurwenal); Tristan; Ruth-Maria Nicolay (Isolde); Erica Brookhyser (Brangäne)
Für die Ausstattung zeichnete sein langjähriges Team aus José-Manuel Vázquez (Kostüme) und Heinz Balthes (Bühne) verantwortlich. Letzterer stellt für die Inszenierung ein Einheitsbühnenbild zur Verfügung: einen großen Salon, spärlich mit Sitzgruppen und einem Esstisch möbliert, im Hintergrund durch eine halbtransparenten metallisch glänzende Wand begrenzt. Im Wesentlichen wird nur das Hauptpersonal auf der Bühne sichtbar; Nebenrollen und Chor singen aus dem Off bzw. (Chor) von ganz oben aus dem Theaterraum. Ein Schiff vermag man im ersten Aufzug nicht festzustellen. Tristan und Kurwenal haben es sich auf einem kleinen Sofa bequem gemacht und schauen immerfort nach hinten; statt Kapitäns- und Offiziersuniformen tragen beide Cutaways, die laut Protokoll feierlichste Bekleidung morgens und nachmittags. Brangäne und Isolde an der anderen Seite des Salons in hübschen langen Gewändern. Ein funktional wesentliches Requisit fehlt nicht: es ist ein Überseekoffer, in welchem sich die diversen Getränke befinden, natürlich auch der strahlend rote Liebestrank. Die einzigen Änderungen, die zu den beiden Folgeaufzügen stattfinden: die Möbel werden umgestellt.
Die beiden Bewusstseinsebenen der Oper (der öde Tag und die erstrebenswerte Nacht) werden durch Lichteffekte dargestellt. Aus nachtblauem Licht (zu Isoldens nachtblauem Gewand im zweiten Aufzug: „oh sink hernieder, Nacht der Liebe“) steigt (senkrecht! als ob man am Äquator sei) erst rötlich, dann fahl und unangenehm hell die Morgensonne empor: „Der öde Tag zum letztenmal!“ Tristan hatte es sich inzwischen in einem einfachen Straßenanzug etwas bequemer gemacht. Der Salon (kein Bett!) mit der transparenten Hinterwand, durch welche man die zweiköpfige Jagdgesellschaft abziehen und zurückkommen sieht) passt hier am besten zum Schloss des König Marke. Auch der dritte Aufzug ist im gleichen Salon angesiedelt. In dem Maße, wie mehr und Nebel wabert, wird die Bühne dunkler, man erkennt nur noch die Titelpersonen; alle sind nun in einfach in Nachtschwarz gekleidet. Zum Abschlussapplaus erschienen sie wie nach einer konzertanten Oper, nach dem das tödliche Geschehen auf der bretonischen Burg Kareol durch den italienischen Vorhangzug bemäntelt wurde.
Durch die vielen verfügbaren Ton/Bildträger für Tristan&Isolde und der dadurch verwöhnten Publikumserfahrung ist das Risiko eines musikalischen Misserfolgs viel größer als das des szenischen. Hier kann man aber ganz zuvörderst dem Staatsorchester Darmstadt unter Leitung von Martin Lukas Meister ein Kompliment machen. Über knappe vier Stunden reine Spielzeit wurde bis auf vernachlässigbare Ungenauigkeiten konzentriert durchmusiziert. Meister wählte eher gemäßigte Tempi, ohne aber breit zu werden; er ließ (im Vorspiel am besten vorgezeichnet) einen spannungsreichen großen Bogen musizieren, den er mit kleinteiliger Dynamik noch anzureichern verstand. Besonders achtete er auf p- und pp-Kultur des Orchesters: wie spannungsgeladen kann ein pp-Tremolo in den Streichern wirken! Durchweg unproblematisch auch das Blech selbst bei zarter Intonation. Das Orchester verfügte über ein sattes Streicher-Fundament, aus dem die Holzbläser farbgebend, aber auch stimmführend herauskamen. Fast unnötig zu erwähnen, dass bei diesem meist fein ziselierenden Dirigat die Sänger zu keiner Zeit überfordert waren. Die kurzen Einwürfe des Herrenchors (Einstudierung: Markus Baisch) kamen präzise aus der Höhe des Zuschauerraums.
Als Tristan war Ian Storey besetzt, der diese Rolle bei der Eröffnung der Mailänder Scala 2007 gesungen hatte (Patrice Chéreau, Daniel Barenboim), aber damals ebenso nur teilweise überzeugen konnte wie an diesem Abend in Darmstadt. Mit seiner schlanken, großen und kräftigen Bühnenerscheinung gab er einen idealtypischen Helden. Aber neben den strahlend hervorgebrachten und sicheren Spitzentönen klang der baritonal timbrierte Tenor in der Tiefe und der deklamatorischen Mittellage teilweise müde, farblos und unstet. Zum dritten Aufzug bat das Theater um Verständnis dafür, dass sich der Gastsänger nach sechs Wochen Krankheit noch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte fühlte. Aber er stand die mörderische Partie im dritten Akt kaum zurückgenommen ordentlich durch. Mit Ruth-Maria Nicolay kam als Isolde eine helle, deutlich artikulierende Sopranstimme zum Einsatz. Bei weitem noch keine Hochdramatische, gefiel sie aber mit guter Intonation, schönem Fokus der klaren Stimme ohne jede Schärfe bei und nuancenreichem Ausdruck. Um sie stimmlich nicht zu überfordern, ließ die Regie sie überwiegend im vorderen Bühnenbereich agieren.
Thomas Mehnert vom Darmstädter Ensemble wurde mit Erkältung gemeldet. Davon war indes nichts zu hören; er gestaltete den König Marke mit kräftigem, warm strömendem Bass, ohne sich zu schonen. Die Sängerin des Abends war zweifellos Erica Brookhyser als Brangäne. Sie setzte ihren kraftvollen Mezzo mit bester Textverständlichkeit ein und begeisterte das Publikum mit Fokus und weicher Intonation ihrer einschmeichelnden Stimme; makellos auch ihre Bühnenerscheinung. Schade, dass sie den Wachtgesang hinter der Szene singen musste und dabei offensichtlich noch „abgeregelt“ wurde. Eine weitere Spitzenbesetzung war Ralf Lukas als Kurwenal, einem in Darmstadt bestens bekannten Wagner-Interpreten von ebenso langer Erfahrung wie anscheinend nicht versiegender jugendliche Kraft: beste Voraussetzungen für den Kurwenal. Auf seinem soliden dunklen Fundament aufbauend gestaltete er ausdrucksstark und nuancenreich. Mit Peter Koppelmann war als Melot ein Tenor besetzt, der ihn mit bellender Schärfe unsympathisch gestaltete. Weich, melodisch und melancholisch erklang Minseok Kims gut grundierter Tenor als Stimme des jungen Seemanns aus dem Off; auch seine Vorstellung als Hirt brachte ihm viel Beifall ein.
Das Publikum im sehr gut besuchten Saal war’s zufrieden und bedankte sich mit großem, langanhaltender Beifall, der meiste deutlich für Erica Brookhyser und das Orchester und seinen Dirigenten. „Tristan und Isolde“ kommt noch viermal in dieser Spielzeit: am 9. und 29.3., am 11.5. und am 8.6.2014
Manfred Langer, 01.03.2014
Fotos: Barbara Aumüller (Als Tristan ist Andreas Schager von der Premiere zu sehen)