Buchkritik: „Maria Callas“, Eva Gesine Baur (zweite Besprechung)

Zwei Seelen wohnten, ach, in ihrer Brust. Sie war „die Callas“, die berühmteste Opernsängerin ihrer Zeit, der nun im Jahr ihres hundertsten Geburtstags neue Huldigungen zwischen Buchdeckeln dargebracht werden. Und sie war „Maria“, das eigentlich immer unglückliche Geschöpf, das griechische Mädchen aus New York, die tolle Stimme im walküren-großen, verlachten Körper, schließlich die erschlankte, elegante, stylische Society-Berühmtheit, die mit keinem Mann ihr Glück fand. So steht Maria Callas in der jüngsten Biographie von Eva Gesine Baur vor uns.

Extreme Persönlichkeiten faszinieren die Normalmenschen der Mit- und Nachwelt, die den „Besonderen“ begierig zusehen. Die Callas war en besonders dankbares Beispiel. Immer am Gipfel und gleichzeitig immer auf der Kippe, es interessierte ihr Scheitern ebenso wie ihre Triumphe. Man konnte sich grenzenlos an ihr abarbeiten und hat es getan . Die Autorin bestätigt, dass sie nach der Lektüre von zig-tausend Seiten Callas-Material am liebsten von ihrem Vertrag zurück getreten wäre, daran verzweifelnd, ob Neues zu dieser Persönlichkeit zu sagen wäre.

507 Seiten benötigt die routinierte Biographien-Schreiberin Eva Gesine Baur dann, um das Konzept dieser beiden Schicksale nebeneinander und verschränkt zu erzählen. Es ist eine gute Voraussetzung, um ein Buch schreiben, das gut und süffig und detailreich zu lesen ist, aber weit mehr wie ein Roman oder die spannende Fortsetzungsgeschichte in einer Hochglanzillustrieren wirkt  als eine wissenschaftliche Biographie (ungeachtet der Anmerkungen und des Literaturverzeichnisses).

Wann immer man sich auf die Gefühlsebene begibt, ist man ja doch im Reich der Spekulation gelandet. Das zieht die Autorin bis zum Ende durch – wo sich ein Biograph anderen Zuschnitts mit Emboli als Todesursache begnügen würde (auch wenn man anderswo Herzinfarkt liest) und dies vielleicht medizinisch nachgefragt hätte, kommt Eva Gesine Baur zu doch eher schwülstigen Überlegungen, wenn schon nicht von einem gebrochen Herzen die Rede sein sollte, dann von der leidenschaftlichen Sängerin, die ohne Resonanz des Publikums nicht leben konnte… Gestorben am 16. September 1977 in Paris

Muss man leiden, um eine große Künstlerin zu werden? Fast scheint es so am Beispiel der Callas, geboren als Maria Kalogeropoulou am 2. Dezember 1923 in New York City, der von ihrer Herkunft her keine Rosen gestreut wurden. Die Geschichte ihrer Jugend ist der klassische Fall einer überdominanten Mutter, die den Gatten vertreibt und die beiden Töchter eisern tyrannisiert. Die künstlerischen Anfänge in Athen, wo sie während des Krieges unter deutscher Besatzung ein Repertoire sang, zu dem sie nie zurück kehrte (Fidelio, Brünnhilde, Marta), führten dann nach Italien, wo sie wohl nicht ohne Berechnung Giovanni Battista Meneghini heiratete, dessen Geld und Einfluß in der Musikbranche ihr nicht schadeten. Die „Callas“ arbeitete sehr bewusst an ihrer Karriere – „Maria“ ging von einer unglücklichen Beziehung zur anderen.

Cherubinis „Medea“ ist eine stimm- und herzzerreißende Partie, die niemand je so schonungslos interpretiert hatte wie die Callas. Danach begann, wie die Musik-Größen der Epoche offenbar auf Anhieb wussten, ihre „Ära“.

Wenn Eva Gesine Baur nun das psychologische Porträt eines zutiefst tragischen Frauenschicksals liefert, dann kommt die geniale Sängerin etwas zu kurz – man hat es schon bei der Marlene Dietrich-Biographie der Autorin festgestellt, dass dort die Schauspielerin hinter der funkelnden Medien-Persönlichkeit zu kurz gekommen ist. Ähnliches passiert bei der Callas. Andererseits erreichte diese vor allem an der Seite von Aristoteles Onassis als Medien-Persönlichkeit wohl tausendfach mehr Menschen denn als Sängerin. Aber man sollte nicht vergessen, dass es vor allem diese ist, derer es zu gedenken gälte.

Renate Wagner 11. April 2016


Eva Gesine Baur

Maria Callas

Die Stimme der Leidenschaft

507 Seiten,  Verlag C.H.Beck, 2023