Premiere: 02.01.2022, besuchte Vorstellung: 16.01.2022
Schattenspiele
Lieber Opernfreund-Freund,
Dido’s Lament gehört wohl zu einem der berühmtesten Stücke aus Barockopern – und wer diese Arie in Perfektion erleben will, muss derzeit nach Essen fahren. Das liegt nicht nur an der überwältigen Interpretation der Titelheldin von Jessica Muirhead und auch nicht an der überzeugenden und bildgewaltigen Erzählweise von Ben Baur. Erst die perfekte musikalische Umsetzung durch Andrea Sanguineti macht diesen kurzen Abend zu einem Gesamtkunstwerk.
In der historischen Sagenwelt verliebt sich Dido, die zu früh zur Witwe gewordene Königin von Karthago, in Aeneas, dem mit einigen wenigen die Flucht aus Troja gelungen war, als der auf dem Weg nach Italien in Karthago anlegt. Doch er besinnt sich auf seinen göttlichen Auftrag und verlässt die Unglückliche, die an gebrochenen Herzen stirbt. Bei Purcell dann sind es Hexen, die Dido ihr Glück nicht gönnen und für Aeneas‘ Abreise sorgen. Bei Ben Baur nun ist die Zauberin die dunkle Seite Didos. Die Herrscherin ist hin- und hergerissen, kann dem eigenen Glück nicht trauen und treibt so Aeneas von sich, statt ihn an sich zu binden. Dabei hat der in der Jagdszene keinen Eber erlegt, sondern sich gleich selbst der Herrscherin geopfert.
Beflügelt durch die grandiose Ausleuchtung der fast requisitenlosen Szenerie, die überdimensionale, ja übermächtige Schatten erzeugt, malt Ben Baur fast statisch wirkende Bilder, die Didos Inneres spiegeln. Uta Meenen krönt Dido und ihr Alter Ego, die Zauberin, mit einem madonnenhaften Lichterkranz, steckt Bedienstete und Chor in schlichte schwarze Schleier; Kriegsheld Aeneas kommt gar nicht heldenhaft daher, sondern ist blutverschmiert und sichtlich des Kämpfens müde. So erklärt sich auch, warum er sich Didos Wunsch, sie zu verlassen, nicht widersetzt, sondern resigniert die Segel streicht. Die symbolismengetränkte, düstere Bebilderung allein aber könnte den kurzen Abend nicht tragen ohne die exquisite musikalische Interpretation.
Jessica Muirheads warmer Sopran ist zu einer solchen Zartheit fähig, dass er Dido von Anfang an etwas unglaublich Zerbrechliches verleiht. Diese Frau hat Angst vor der eigenen Courage, vor dem eigenen Glück und zerbricht an sich selbst. Das eingangs bereits erwähnte Lamento wird so zum gefühlsgeladenen Höhepunkt einer perfekten Interpretation durch das britisch-kanadische Ensemblemitglied. Nicht nur stimmlicher Gegenpart ist die Zauberin von Bettina Ranch, die mit energiegeladenem, unheilsschwangerem Mezzo Missgunst versprüht. Der US-Amerikaner Tobias Greenhalgh kann mich am meisten überzeugen, wenn er seinen Bariton im Piano über den Graben schickt, wie in seiner letzten Szene; der energische Auftritt liegt ihm weniger, denn dabei neigt er zu starken Tremoli. Giulia Montanari als Belinda hingegen trumpft sicher auf mit ihrem farbenreichen Sopran.
Sängerischer Star – neben Jessica Muirhead – ist gestern Abend aber der von Patrick Jaskolka betreute Chor. Die Stimmen der Damen und Herren sind perfekt ausbalanciert und ihnen gelingt eine Gratwanderung zwischen präzisem Gesang und höchster Emotion, die mich verzaubert. Als Zauberer entpuppt sich auch Andrea Sanguneti, der vom Cembalo aus die Aufführung leitet. Mit einer Mischung aus frischem Esprit und berührendem Gefühl zeigt er, dass Barockmusik alles andere als nüchtern sein muss. Lebendig und nuancenreich präsentiert er so eine mitreißende musikalische Interpretation und macht den Abend perfekt, an dem sich Ben Baur als behutsamer Erzähler eines Seelenzustandes statt einer bloßen Geschichte erweist. Schade, dass dieses kurze Musiktheatererlebnis in dieser Spielzeit nur noch ein einziges Mal am Aalto-Theater zu erleben sein wird. Vielleicht gelingt Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, ja dennoch ein Besuch.
Ihr
Jochen Rüth
17.01.2022
Die stimmungsvollen Fotos stammen von Bettina Stöß.