München: „Cosi fan tutte“, Wolfgang Amadeus Mozart

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Così fan tutte die am wenigsten beliebteste der drei Da Ponte-Opern, jener Werke, die Wolfgang Amadeus Mozart in Zusammenarbeit mit dem genialen Librettisten Lorenzo da Ponte schrieb. Zu unglaubwürdig, ja albern, erschien den Menschen die Handlung dieser Oper. Heute ist Così fan tutte eine der meistgespielten Opern überhaupt. Das Staatstheater am Gärtnerplatz zeigt das Werk in einer Inszenierung von Olivier Tambosi, die beweist, wie viel mehr als die oberflächliche Handlung in ihm steckt und wie viel Spaß Così fan tutte machen kann. Ein schauspielerisch hervorragendes Solistenensemble macht die Wiederaufnahme perfekt.

© Jean-Marc Turmes

Olivier Tambosis Inszenierung von Così fan tutte, die 2015 im Cuvilliéstheater Premiere feierte, ließe sich in einem Wort wohl am besten mit „rasant“ beschreiben. Auf der Bühne spielen sich immer viele Dinge gleichzeitig ab. Hier lehnt Fiordiligi die Avancen des verkleideten Ferrandos noch ab, dort flirtet Dorabella bereits eifrig mit Gulielmo. Inmitten der Aktion steht seelenruhig Don Alfonso und instruiert Despina, was denn der nächste Schritt des Unternehmens „Frauen verführen lassen“ ist. Es gibt den ein oder anderen ruhigeren Moment, doch meistens ist mindestens eine Person mehr auf der Bühne, als dort laut Libretto gerade benötigt werden. Sehr oft ist diese zusätzliche Person Don Alfonso. Er, dessen Überzeugung von der weiblichen Untreue schließlich der Grund für das Verwechslungsspiel, das den größten Teil der Handlung von Cosí fan tutte ausmacht, ist, wird von Tambosi als Spielleiter, gleichsam Regisseur der Handlung, inszeniert. Von der ersten Sekunde an ist er präsent, schiebt Gulielmo, Ferrando und später auch Despina herum und sagt ihnen genau, wie sie zu handeln haben. Er dirigiert mit seinem Gehstock sogar den Chor, der hinter den Kulissen mit einer Hymne auf das Soldatenleben die vorgebliche Abreise und am Ende der Oper die Heimkehr von Gulielmo und Ferrando markiert.

Così fan tutte als Experiment – diese Deutung wird gestützt durch Bengt Gomèrs an ein Labor erinnerndes Bühnenbild, einem weiß gefliesten Raum, in dem die verschiedenen Schauplätze der Oper nur angedeutet werden. Von der Decke hängende Bambusstangen etwa zeigen, dass sich die Figuren gerade in einem Garten befinden. Auch die Kostüme von Carla Caminati tragen zum Versuchscharakter der Inszenierung bei. Bis auf winzige Details sind die beiden Paare genau gleich gekleidet, wie um zu zeigen: Es geht hier nicht um individuelle Schicksale, sondern um das große Ganze. Dabei gelingt es Caminati auch, die Figuren allein durch die Anzahl der Kostümwechsel zu charakterisieren: Die „Versuchsteilnehmer“ Ferrando und Gulielmo – das Gärtnerplatztheater wählt die Schreibweise ohne das zweite g – haben in ihrer Rolle als Offiziere Uniformen, als „Albaner“ Turbane und offensichtlich angeklebte Schnurrbärte. Die doch eher flatterhaften Fiordiligi und Dorabella dagegen wechseln mit fast jedem Auftritt das Kostüm. Und die sonst in graue Zofentracht gekleidete Despina bekommt als Arzt und Notar einen leuchtend gelben Mantel, eine Überbetonung ihrer Verkleidung. Der Einzige, der sich nie umzieht, ist Don Alfonso, der in seiner Rolle als Spielleiter konstant bleibt.

Die klare Einordnung der Handlung als eine Spielsituation tut dem Stück gut. Denn auch wenn Così fan tutte heute eins der meistgespielten Werke der Opernliteratur ist, die Handlung ist immer noch denkbar unrealistisch: Zwei junge Männer gehen mit dem Philosophen Don Alfonso eine Wette ein, dass ihre Verlobten ihnen niemals untreu sein könnten. Nach einem gespielten, dramatischen Abschied und Abmarsch in den Krieg kehren die beiden als „Albaner“ verkleidet zu ihren Geliebten zurück und versuchen die Verlobte des jeweils anderen zu verführen. Und das durchaus mit Erfolg. Denn nicht nur erkennen Fiordiligi und Dorabella ihre Verlobten nicht, vielmehr lassen sie sich nach anfänglichem Zögern mit den „Fremden“ ein und drängen schließlich, ohne auch nur die Namen ihrer neuen Liebhaber zu kennen, sogar auf eine Doppelhochzeit. Beim bloßen Lesen löst diese Handlung eher Stirnrunzeln als Neugierde auf die Oper aus. Doch es geht bei Così fan tutte eben nicht darum, wie wahrscheinlich das ist, was auf der Bühne passiert. Così fan tutte ist ein Spiel, ist ein Experiment, auf jeden Fall Theater. Und genau das zeigt Olivier Tambosi mit dieser Inszenierung.

© Jean-Marc Turmes

Così fan tutte hat auch ernste Seiten, keine Frage. Zum einen ist da, wirft man doch noch einen Blick auf die Handlung, die Grausamkeit dieses Experiments: Durch Don Alfonsos Spiel werden zwei junge Männer von ihren Verlobten betrogen, und die Verlobten hinters Licht geführt. Dann sind da die philosophischen und gesellschaftskritischen Hintergründe der Oper. „Così fan tutte“ – „So machen es alle (Frauen)“, singt Don Alfonso, als beide Damen dem Werben der fremden Männer nachgegeben und ihre Geliebten betrogen haben, keine Frau sei treu und man solle die Treue nicht so wichtig nehmen. Die Frage nach der Bedeutung von Treue in einer Partnerschaft ist heute so präsent wie schon zur Zeit der Uraufführung von Così fan tutte: Unter dem aufgeklärten Kaiser Joseph II war die Scheidung im österreichischen Kaiserreich eine Option geworden, wodurch die Frage nach der Qualität der Beziehung und auch die Treue neue Relevanz gewannen. Diese ernsthaften und gesellschaftskritischen Elemente rücken in Olivier Tambosis Inszenierung allerdings in den Hintergrund. Echte Gefühle werden auf der Bühne gezeigt, wie in der Gartenszene, wenn sich beide Paarkonstellationen näherkommen, oder wenn die Männer verständlicherweise enttäuscht über die Untreue ihrer Frauen sind, doch im Mittelpunkt dieser Inszenierung steht das komische Potenzial des Dramma Giocoso. Das kommt auch an. Im Publikum wird viel gelacht, etwa wenn Ferrando und Gulielmo ihrer Enttäuschung unabhängig voneinander Luft machen, indem sie ein überdimensional großes Portrait ihrer Geliebten beschimpfen, oder wenn die identischen Kostüme beider Paare den Nebeneffekt haben, dass Fiordiligi und Dorabella auch im unverkleideten Zustand gelegentlich ihre Partner, beziehungsweise deren Portraits verwechseln.

Gelegentlich driftet die Inszenierung dabei ins Alberne ab. So zum Beispiel, wenn Despina in ihrer Verkleidung als Arzt die beiden angeblich vergifteten Männer mittels eines Magnetstabs heilt, der interessanterweise vor allem den Schritt der beiden anzieht. Es ist vor allem dem schauspielerischen Talent der Sängerinnen und Sänger zu verdanken, dass solche Momente schnell vergessen sind und es großen Spaß macht, der Inszenierung zuzusehen. Besonders hervorzuheben sind Mária Celeng als Fiordiligi und Sophie Rennert als Dorabella. Die beiden werfen sich ihren Verlobten zu Füßen, fallen einander in die Arme und ohnmächtig zu Boden. Das alles gnadenlos übertrieben und doch mit so viel Ernsthaftigkeit, dass es nie lächerlich wirkt, sondern eben wie eine gelungene Parodie auf derartig dramatisches Verhalten. Auch Daniel Gutmann als Gulielmo und Maximilian Mayer als Ferrando gelingt es, selbst die abstrusesten Einfälle ihrer Figuren ernst zu nehmen und voller Energie und Überzeugung darzustellen, etwa wenn sich Gulielmo mehrmals das Hemd vom Leib reißt, um verkleidet Dorabella zu beeindrucken.

Ein Highlight des Abends ist Julia Sturzlbaum. Die junge Österreicherin hat in Wien nicht nur Operngesang, sondern auch Musikalisches Unterhaltungstheater studiert, was man ihrer Darstellung der Despina im positivsten Sinne anmerkt. Sogar wenn in den Verkleidungen als Arzt und Notar eine Maske den größten Teil ihres Gesichts verdeckt, schafft sie es, das Publikum mimisch und durch gezielt platziertes Räuspern zum Lachen zu bringen. Ein stimmlich wie szenisch überragender Don Alfonso ist Timos Sirlantzis. Seine Bühnenpräsenz wird der Rolle, die Tambosi dem Don Alfonso in seiner Inszenierung gibt, mühelos gerecht, auch wenn er als der zynische Philosoph auf übertriebenes Spiel verzichtet. Er zeigt eher die Erhabenheit seiner Figur über das Drama um ihn herum, beobachtet das Geschehen, meistens mit einem Gesichtsausdruck, der höchstes Amüsement und Siegesgewissheit verrät, der dann aber grandios ins Genervte wechselt, wenn der Chor vehement eine Bezahlung für sein Mitwirken am Experiment verlangt – ein Chorsänger bleibt fast minutenlang neben Don Alfonso stehen, bis auch er seine Gage für die Show erhalten hat. Alle Akteure auf der Bühne wirken so, als hätten sie den Spaß ihres Lebens und so ist es ein großes Vergnügen, dem Schauspiel zuzugucken.

© Jean-Marc Turmes

Auch musikalisch ist der Abend ein Erlebnis. Oleg Ptashnikov führt das Orchester des Staatstheater am Gärtnerplatz mit einem guten Gefühl für Tempo und Dynamik. Sein Dirigat passt sowohl zur Komödie auf der Bühne als auch zu der Ironie und Tiefe von Musik und Libretto.

Stimmlich fällt vor allem Daniel Gutmann als Gulielmo auf. Er imponiert mit einer sehr kräftigen, vollen Baritonstimme, die er so agil führt, dass er allein vokal die Ironie und Komik der Oper zeigt. Als Don Alfonso ist Timos Sirlantzis stimmlich ebenso präsent wie szenisch, und vereint scheinbar mühelos die Eleganz des Philosophen mit dem Amüsement des Spielleiters. Mária Celeng singt die Fiordiligi souverän und meistert selbst die schwierigen Sprünge in der Felsenarie scheinbar mühelos, Maximilian Mayer wirkt im ersten Akt noch ein wenig angestrengt, ist im zweiten aber voll präsent und singt Ferrandos Annäherungsversuche genauso überzeugend, wie er sie spielt. Auch Sophie Rennert und Julia Sturzlbaum können vokal überzeugen.

Wenn auch die Inszenierung, durchaus gewollt, eher auf Komik setzt und an der Oberfläche des Così-Stoffes bleibt, anstatt in die Tiefe zu gehen, gutes Musiktheater ist der Abend auf jeden Fall. Mit einem großartigen Ensemble zeigt das Gärtnerplatztheater eine szenisch wie musikalisch gleichermaßen überaus gelungene Wiederaufnahme von Così fan tutte, die große Freude bereitet.

Adele Bernhard, 2. Januar 2023

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN


„Cosi fan tutte“ Wolfgang Amadeus Mozart

Gärtnerplatztheater München

Premiere 2015 im Cuvilliéstheater / Wiederaufnahme 20. Dezember 2022

Inszenierung: Olivier Tambosi

Musikalische Leitung: Oleg Ptashnikov

Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz