Schweinfurt: „Der Zarewitsch“

Aufführung am 08.01.2019

Eine Aufführung wie aus einem Guss – mit Stimmen, die einfach zu Herzen gehen

Es gibt wenige Operettenbühnen, die das Metier ernst nehmen und nur wenn man die Operette ernst nimmt, kann man ganz große Aufführungen auf die Bretter stellen. Das Operettentheater Salzburg ist eine dieser wenigen Bühnen, in welcher die Operette ohne Schnörkel dargeboten wird. Keine Selbstverwirklichung eines musikalisch total uninteressierten Regisseurs, kein Austoben von Bühnenbild, Kostümen und Choreografie um nachzuweisen, dass die Operette heutzutage niemanden mehr interessiert, keine drittrangigen Stimmchen, die einen erschaudern lassen und die einem die Freunde an einer der herrlichsten Nebensachen der Welt, der Operette vermiesen können. Neu, eine stimmige ausgezeichnet den Stoff der Operette verfolgende Inszenierung, passende und aufwendige Kostüme, ein einfaches, aber für jedem Akt genau passendes Bühnenbild und dann natürlich – und das ist das Herzstück einer guten Operette – herrliche Stimmen, die man in dieser Fülle nur selten zu hören bekommt. Anders ausgedrückt, ein Operettennachmittag, der einfach nur Spaß macht und Lust auf mehr. Eigentlich wäre man gerne sitzengeblieben und hätte noch ein zweites musikalisches Meisterwerk in sich aufgesaugt. Also kurzes Resümee, ein Operettennachmittag, wie man ihn – leider – nicht allzu oft erleben kann.

Die Geschichte des anfänglichen Frauenhassers, des Zarewitsch, der durch eine Intrige des Hofes mit einer Frau zusammengebracht wird, in die er sich unsterblich verliebt, die er aber aus Staatsräson wieder verlässt, weil er den russischen Thron besteigen muss, wird zu Recht sehr oft aufgeführt. Ich glaube, dass ich mehr als 12 bis 13 Aufführungen gesehen habe und gleichviele durchgeweinte Taschentücher meiner Frau beklagen musste, denn hier wird eine Operette geboten, bei der am Ende kein Happyend steht, wie es sonst üblich ist, sondern der großzügige Verzicht auf die Liebe des Lebens, aus Liebe zum Volk. Das ist schon berührend und die herrliche Musik Franz Lehár´s tut ein weiteres dazu. Die Inszenierung von Lucia Meschwitz ist grundsolide und dies ist nicht negativ gemeint, im Gegenteil, sie arbeitet den zu Beginn scheuen, sich dann stürmisch verliebenden und dann wieder schmerzvoll entsagenden Zarenanwärter völlig nachvollziehbar heraus und stellt das große Opfer der Entsagung des Ballettmädels Sonja heraus und in den Vordergrund. Und alles ist nachvollziehbar, alles berührt das Publikum, geht direkt ins Herz.

Doch kommen wir nun zu etwas weiterem Erfreulichem. Das Bühnenbild von Petya Dinova , in erster Linie ein großes Kabinett, welches sich je nach Akt beliebig verändern lässt ist zweckdienlich, leicht umzustellen und gefällt sehr gut, dafür dass man ja hier ein Tourneetheater vor sich hat, welches sich auf jeweils anders geschnittene Bühnen einstellen muss, ist es auffallend großzügig und beeindruckt. Die Kostüme von Gerlinde Höglhammer sind farbenprächtig, gefällig anzusehen, passen genau in die dargestellte Zeit hinein, die Choreographie von Alexandru Fotescu ist phantasievoll, begeisternd, rasant, und stimmig, die Tanzeinlagen ein sehr großer Pluspunkt, der Chor und das Ballett der Staatsoper Rousse ein wahrer Aktivposten. Für eine Wanderbühne alles sehr aufwendig, auf die Situation zugeschnitten und mehr als gefällig. Das Orchester, ebenfalls von der Staatsoper Rousse wird an diesem Nachmittag von Christian Pollack geleitet, und er macht dies äußerst routiniert, wuchtig, jedoch auch äußerst sängerfreundlich, wenn er die Wogen des Orchesters zurücknimmt um den Stimmen den notwendigen Raum zu geben. Klangvoll und sauber bringt das Orchester das Lehársche Meisterwerk eindrucksvoll zu Gehör. Alles ist im Lot, dieses fast „kleinopernhafte“ Werk wird schwungvoll und leidenschaftlich dargeboten.

Christine dell ‘Antonio als Mascha, Camillo dell ‘Antonio als Bardolo

Kommen wir nun zum wichtigsten Teil der Operette, den gesanglichen Leistungen. Leider wird heutzutage viel zu viel über alles andere berichtet und die Sänger, die mit die Hauptlast der Operette zu tragen haben, etwas stiefmütterlich mit wenigen Worten abgespeist. Nein, sie sind das Salz in der Suppe Operette und jede noch so tolle Inszenierung, jede noch so farbenprächtige Kostümierung und jedes noch so eindrucksvoll spielende Orchester wäre ohne die beglückenden Stimmen, die das Werk erst zum Ereignis emporheben, fast Nichts. Deswegen verweile ich immer recht gerne bei den einzelnen Protagonisten im gesanglichen Bereich der Operette und hier gibt es – Gott sei Dank – nur positives zu berichten. Der Zarewitsch des heutigen Nachmittags wird von dem in Tirol geborenen und in Wien aufgewachsenen Tenor Eugene Amesmann gestaltet und seine Interpretation ist einfach nur ein Glücksfall. Das beginnt schon beim darstellerischen, wie herrlich blasiert gibt er das verwöhnte Zarensöhnchen, arrogant und überheblich. Dann die aufkeimende und immer stürmischer werdende Liebe zu Sonja, die Leidenschaft, die ihn den Zurückhaltenden durchdringt und der schmerzliche Moment zum Wohl des Volkes auf seine persönliche Liebe verzichten zu müssen, das bringt er in unnachahmlicher Weise auf die Bühne. Und dann besitzt er einen strahlenden, beeindruckenden Tenor, der jede Nuance der Arien und Duette bis ins Kleinste auskostet. Schmelzend, mit wunderbaren zarten Piani und einem sich anschließenden Crescendo, welches seinesgleichen sucht. Höhenprobleme kennt er nicht und er gestaltet seine Rolle auf eine atemberaubende Weise. Eine der besten Interpretationen, die ich jemals von dieser Rolle erleben durfte. Es ist für mich ein Rätsel, warum dieser sowohl darstellerisch als auch vor allem stimmliche Ausnahmetenor, nicht viel öfter in Erscheinung tritt, auch in der großen Schwester der Operette, der Oper.

Raimund Stangl als Iwan

Seine kongeniale Partnerin als Sonja ist Doris Langara. Die in München geborene Sopranistin hat einen äußerst beweglichen und höhensicheren Sopran, der klar, frisch und leuchtend ist. Mit gefühlvollem wohlklingendem Organ kann sie nicht nur in den Soli glänzen, sondern vereint sich vor allem in den Duetten mit der Stimme Amesmanns zu beifallsumtoster Leistung. Die zwei möchte man öfter hören und sehen. Zwei Ausnahmesänger, die sich wunderbar ergänzen und die leidvolle Geschichte des Zarewitsches gefühlvoll dem Publikum nahebringen. Einem sehr applausfreudigen Publikum an diesem Nachmittag.

Doris Langara als Sonja, Eugene Amesmann als Zarewitsch

Christine dell´Antonio ist Mascha, die Ehefrau des Kammerdieners Iwan. Die Wiener Soubrette, deren Stimmvolumen inzwischen über das einer reinen Soubrette hinausgewachsen ist, ist ein ganz besonderer Hingucker. Einmal von ihrer Ausstrahlung, liebreizend, quirlig, beweglich, mit einer frischen Natürlichkeit und Spielfreudigkeit, weiß sie nicht nur ihren Iwan um die Finger zu wickeln, sondern auch das Publikum und so mancher Herr in den Reihen des Zuschauerraumes würde gerne mit Iwan tauschen. Dazu kommt ein klarer, beweglicher Sopran, der auch in den Duetten mit ihrem Iwan beeindruckt. Es macht einfach Spaß ihr zuzuschauen und auch zuzuhören. Ihr Iwan wird von dem in Südafrika geborenen, in Österreich aufgewachsenen Tenor Raimund Stangl gegeben. Auch er ein spielerisches Schwergewicht, sein weicher, zarter, ausdrucksvoller Tenor braucht keine schmetternden Spitzentöne um beim Publikum zu punkten und er ergänzt sich hervorragend mit seiner Mascha. Vom darstellerischen her geben sich beide nichts nach und sind auch hier mehr als überzeugend. Camillo dell´Antonio, in Natters bei Innsbruck aufgewachsener Tenor ist als Oberhofmeister und als liebestoller Bardolo zu erleben. Er kann in erster Linie darstellerisch punkten, hat aber auch eine kleine Sologesangseinlage, die er ohne Fehl und Tadel einbringt. Als Großfürst kann Manfred Schwaiger seine langjährige Bühnenerfahrung ins Gewicht führen und mit Max Sahliger als Ministerpräsident darstellerische Akzente und kleine versteckte Bonmots einbringen. Dass dabei auch ganz tolle Dialoge zu viel zusätzlichen Erkenntnissen führen, sei ebenfalls lobend am Rande erwähnt. Eine tolle Leistung der beiden Künstler. Brigitte Wegenberger als Lina bzw. Olga, Mariana Lazar als Vera und Wolfgang Stögermayer als Kammerdiener vervollständigen das ausgezeichnete Ensemble ohne Fehl und Tadel.

Dem Publikum hat es gefallen und es applaudiert lange und ausdauernd. Ein Nachmittag, der die Alltagssorgen auf wunderbare Art und Weise für ein paar Stunden vergessen und sein Publikum träumen lies. Und was will man von einem schmissigen Operettennachmittag mehr verlangen. Das Operettentheater Salzburg hat wieder einmal gezeigt, dass es zu den Großen im Lande gehört.

Manfred Drescher 15.01.2019

Bild 2 und 3 von Joachim Schlote

Bild 1 und 4 von Wolfgang Stögermayer