am 27.4.2018
Eine Legende demontiert sich
Es ist immer traurig anzusehen und anzuhören, wie eine Sängerlegende sich selbst demontiert. Edita Gruberova hatte ihren Zenit bereit überschritten, als diese Produktion von Lucrezia Borgia vor neun Jahren Premiere hatte, heute ist sie ein Schatten ihrer selbst. Es gelingen ihr zwar immer noch einige schöne Spitzentöne, die aber kaum mehr organisch aus den Melodiebögen entwickelt werden können. Intonationsprobleme zu Beginn, das wurde im Laufe des Abends besser, aber nicht gut. Die einstmals leuchtende Piani, die sie so unvergleichlich bruchlos ins Forte anschwellen und wieder zurücknehmen konnte, sind fahl und matt geworden, die Stimme spricht nicht immer an. Stattdessen flüchtet sich die Sängerin in eine geradezu veristisch anmutende Gestaltung mit der Stimme, die mit Belcanto wenig zu tun hat.
Etwas entschädigt wurde man durch die Leistung der anderen Sänger. Vor allem Juan Diego Flórez als Gennaro war eine Augenweide und weitgehend auch ein Ohrenschmaus. Für ihn wurde extra eine in dieser Inszenierung gestrichene Arie im zweiten Akt wieder eingefügt, die er mit mühelosen Spitzentönen sang. Seine leicht nasale Stimme schien allerdings manchmal ein bisschen zu klein für das Haus.
Franco Vassallo dagegen konnte seien Stimmmuskeln mal so richtig spielen lassen. Der Regie (Inszenierung: Christof Loy) hat es gefallen, den Don Alfonso als zwischen Lächerlichkeit und Gefährlichkeit changierenden Charakter zu zeichnen, ein Spannungsfeld, das zwar keinen Raum für subtile Gestaltung bot, aber umso mehr für lang gehaltene Spitzentöne.
Dem Ensemblemitglied Dean Power wünschte ich die Möglichkeit, sich in größeren Rollen zu beweisen. Als Rustighello hat er leider ziemlich wenig zu singen, aber das tat er wie immer mit sehr schönem Schmelz in seinem lyrischen Tenor.
Die einzige weitere Frauenstimme, neben der Lucrezia, ist die Hosenrolle des Maffio Orsini, die in dieser Vorstellung mit Teresa Iervolino sehr gut besetzt war. Eine schöne, warme Altstimme, die bruchlos bis fast in Sopranhöhen aufsteigen kann.
Die Freundestruppe Gennaros war ebenfalls hervorragend besetzt: Joshua Owen Mills (Jeppo Liverotto), Christian Rieger (Don Apostolo Gazella), Andrea Borghini (Ascanio Petrucci), Matthew Grills (Oloferno Vitellozzo) und Alexander Milev (Gubetta konnten durch individuelle Charakterzeichnung überzeugen.
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Friedrich Haider, offenbar der Lieblingsdirigent der Gruberova, sie trat in München meistens mit ihm zusammen auf. Er ist ihr ein sorgsamer Begleiter, der sehr darauf achtet, sie nicht zuzudecken. Mit den anderen Sängern ist er nicht ganz so rücksichtsvoll: er ließ die Musik manchmal schon sehr krachen. Zur Auftrittsarie der Lucrezia extrem langsam, zog er das Tempo danach an. Trotzdem erschien die Musik des Vielschreibers Donizetti sehr beliebig und austauschbar.
Mein persönliches Fazit: das war mein letztes Mal mit „Grubi“, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt wird. Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie sie ich sie vor mehr als 25 Jahren kennengelernt habe: als Lucia mit wunderbar mädchenhafter Stimme und leuchtenden Piani, als großartige Norma und als berührende Elisabetta in Roberto Devereux.
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Bild (c) Wilfried Hösel