Ein zauberhafter Abend
An diesem sommerlich warmer Septemberabend sitzen nicht alle draußen bei Wein und Bier. Die Tanzfans strömen lieber in die nun wieder von allen Wasserschäden befreite Deutsche Oper Berlin, steht doch „Schwanensee“ mit Berlins Darling und Superstar Polina Semionova auf dem Programm.
Im Vorjahr wurde sie mit dem seltenen Titel „Berliner Kammertänzerin“ geehrt. Nun hat sie die Fachzeitschrift „Tanz“ nach einer Umfrage unter internationalen Fachkritikern zur Tänzerin des Jahres 2018 gekürt. Schon 2007 wurde ihr diese undotierte, aber hochgeschätzte Ehrung zuteil.
Im November 2005 habe ich sie erstmals als Schwanenkönigin –mit Vladimir Malakhov als Prinz Siegfried – erlebt und dann im „Neuen Merker“ geschrieben: „Mit Polina Seminova hat er (Malakhov) eine Partnerin, wie sie graziler, schöner und animierender kaum sein könnte.“
Polina Semionova (c) Sandra Hastenteufel
Nach 10 Jahren ging bekanntlich die Zusammenarbeit mit ihrem Entdecker in die Brüche, und sie wechselte zum American Ballet Theater (ABT). 2014 kehrte sie nach Berlin zurück, ohne sich wieder fest ans Staatsballett zu binden. Nach einjähriger Babypause 2016/17 – auf dem damaligen Höhepunkt ihrer Karriere – tritt die Startänzerin seit April 2017 wieder als heiß geliebter Gast in den klassischen Balletten an den drei Berliner Opernhäusern auf.
Speziell ihretwegen eilen die Fans nun zur 217. Aufführung des Dauerbrenners „Schwanensee“, eine Choreographie von Patrice Bart (nach Iwanow und Petipa). Sie alle wollen diese fabelhafte Schwänin in der Doppelrolle Odette / Odile erleben. Es wird eine großartige Aufführung, immer wieder brandet der Zwischenbeifall auf.
Nicht ohne Grund. Noch mehr ist Polina in diese Rolle hineingewachsen, bringt zusammen mit ihrem Können auch ihre Lebenserfahrung mit hinein. In dem frisch engagierten Kubaner Alejandro Virelles – zuletzt Erster Solotänzer beim Bayerischen Staatsballett und hier in seinem Rollendebüt – hat sie auch einen überzeugenden Partner. Dem athletischen, ausdrucksstarken Tänzer, der sich beim Beifall bescheiden zurückhält, merkt wohl niemand an, dass er die Rolle des Prinzen Siegfried zumindest in Berlin zum ersten Mal interpretiert. Die beiden harmonieren vorzüglich, und bei den Hebungen, wenn das Publikum den Atem anhält, kann sie sich voll auf ihn verlassen. Auch die Soli gelingen beiden bestens.
Zunächst aber – bei den zu seiner Geburtstagsfeier gebotenen diversen Tänzen – zeigt er sich als Trotzkopf gegenüber seiner königlichen Mutter, die ihn vergöttert. Sarah Brodbeck als neu engagierte Solotänzerin im langen weißen Kleid füllt diese Rolle mit Verve aus. Das gilt auch für Alexej Orlenco als bösartiger, tänzerisch sehr wendiger Premierminister von Rotbart. Der gerade zum Demi-Solotänzer beförderte Murilo de Oliveira als Siegfrieds eifersüchtiger Freund Benno von Sommerstein punktet nicht nur mit seinen spagatartigen Sprüngen. Eine insgesamt vollwertige, ja festliche Besetzung.
Auch scheint mit dem Amtsantritt des neuen Intendanten Johannes Öhman, dem sich Sasha Waltz 2019/20 als Ko-Intendantin hinzugesellen wird, ein frischer Wind durch das personell von 84 auf 93 Tänzerinnen und Tänzer aufgestockte Staatsballett Berlin zu wehen. Das anfängliche „Nummernballett“, das mich früher mitunter gelangweilt hatte, wirkt jetzt – nicht nur wegen der farbenfrohen Kleider ((Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli) deutlich lebhafter. Alle Tänzerinnen und Tänzer sind offenbar mit neuem Spaß bei der Sache.
Dennoch geht nichts über die Szenen mit den beiden Liebenden. Zunächst Polina Semionova als zerbrechlich-melancholische Schwanenkönigin Odette, die angstvoll vor Prinz Siegfried zurückweicht und sich zunächst keine Gefühle gönnen will. Wie sie langsam Vertrauen fasst und Liebe spürt, ist in dieser tänzerischen Vollkommenheit fast zum Weinen schön.
Doch wie anders kommt sie als schwarze Schwänin Odile daher. Als selbstbewusste Verführerin, temperamentvoll und mit blitzenden Augen. Sie wirbelt auf einem Bein, ist sich ihrer Macht sicher, und „natürlich“ kann Siegfried ihr nicht widerstehen. Siegfrieds erstem vergessenen Treueschwur folgt nun ein zweiter. Als seine weiße Schwänin im Bilde erscheint, bricht er reuevoll zusammen, hat aber noch Kraft genug, um den bösen Geist alias Premierminister, zu erwürgen.
All’ das vollzieht sich zu der wunderbaren Musik von Peter I. Tschaikowsky. Die Dirigentin Alevtina Ioffe macht auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin munter und achtet sehr auf die Tanzenden. Beim Schlussjubel für das neue Traumpaar, das noch einmal am 11. Oktober zu erleben ist, wird auch sie gut bedacht.
Weitere Aufführungen von Schwanensee in anderer Besetzung siehe unter www.staatsballett-berlin.de. Übrigens gibt es im September zwei Tickets zum Preis von einem! Codewort: Iwanow
Copyright: Enrico Nawrath
Ursula Wiegand 23.9.2018
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