Frankfurt: „L’Incoronazione di Poppea“, Claudio Monteverdi

Es siegt das Verruchte – mit himmlischem Gesang

Premiere am 20.12. 2014 im Bockenheimer Depot

Monteverdi ist zwar nicht der Erfinder der Oper, aber seine drei erhaltenen Opern sind die ältesten, die man auch heute noch mit großer Regelmäßigkeit auf den Spielplänen der Häuser in aller Welt findet. Nun schließt die Oper Frankfurt ihren Monteverdi-Zyklus im Bockenheimer Depot mit acht Aufführungen seines Spätwerks ab, einer der ersten Opern überhaupt, die für ein öffentliches Theater geschrieben wurden. Monteverdi und sein Librettist Francesco Busenello verarbeiten keinen Stoff aus der griechischen Mythologie mehr, sondern wenden sich einem historischen Thema aus dem frühen römischen Kaiserreich zu. Hier gibt es genügend verruchte operntaugliche Gestalten, die noch bis in die jüngste Gegenwart herangezogen wurden (z.B. Detlev Glanert: Caligula – 2006 auch in Frankfurt).

Mit der Anlage der Handlung sind über 100 Jahre Barockoper vorgezeichnet. Es gibt einen wahren historischen Hintergrund, vor welchem sich weniger authentische persönliche Beziehungsgeschichten abspielen. Der Librettist bezog seine historischen Kenntnisse von Tacitus. Die handelnden Figuren zeichnete er, wie sie zum Karneval passten: da wurde es schon früher in Venedig mit der „Moral“ nicht so ernst genommen: jährlicher von der Kirche sanktionierter Freigang. Monteverdis Oper ist ein Welttheater mit Gottheits-Allegorien, mit der „feinen“ Gesellschaft der Herrschenden und dem niederen Volk mit Figuren aus der commedia dell’arte.

Römer bejubeln den Imperator

Die Regisseurin Ute M. Engelhardt, bis vor kurzem noch Regieassistentin am Frankfurter Haus, lässt diese Dreischichtigkeit in der recht einfachen Szenographie von Hulia Müer verdeutlichen. Hinten auf der Bühne befindet sich ein aus dem Lot und dem Leim gegangenes hohes Baugerüst. In diesen „wolkigen Höhen wohnen die Götter“, die sich im Prolog gerade um die Macht über das Schicksal der Menschen streiten. Die sollten ja von den Göttern geleitet und behütet werden, aber Amor obsiegt im Streit, treibt das danach vorgestellte Spiel mit dem doppelten Ehebruch und greift anders als seine Kolleginnen Virtù und Fortuna sogar direkt in die Handlung ein. Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!

Hinter dem Göttergestell ist ein großer Schirm gespannt, auf welchem zu Beginn der römischen Plebs als Schattenfiguren Nero für panem et circensis zujubelt. Vor dem Gestell spielen abwechselnd die Herrschenden und die Diener. Geeignete Requisiten zur Verdeutlichung des Geschehens werden auf zwei Schlitten von der Seite hereingezogen. Es kommt z.B. ein Modell des Forums mit Triumphbogen herein (als Bett für Poppeas und Nerones Lüderlichkeit hergerichtet) oder ein riesiges Sofa, auf dem die einsame Ottavia die Untreue ihres Mannes beweint; auf einem solchen Sofa kommt man sich nicht automatisch nahe… Der über Anstand und Sitte salbadernde Seneca tritt mit einem vielseitig ausgestatten Bollerwagen auf. Unten liegen Schriftrollen seiner Ergüsse. Oben Nürnberger Trichter (?), mit denen er den skeptischen Untertanen Moral eintrichtern will? Oder handelt es sich um eine kuriose spracherkennende Druckmaschine, die seine Worte gleich auf Papierstreifen ediert, an denen er zum Schluss selber erstickt? Aber dann erweisen sich die Trichter als Füllhörner auf dem zurück gelassenen Wagen, die genügend Stoff für ein rauschendes Völlerei-Gelage beinhalten. So reihen sich 36 Szenen mit teilweise polterndem Wechsel der Bühnenmöblierung; die heiteren Seiten des Geschehens überdecken dessen ernste Aspekte, ein Eindruck der durch Kostümierung und Ausstaffierung des handelnden Personals noch verstärkt wird. Die Personen in ihrem ewig gleichen Geschäft von Niedertracht, Verzweiflung und Triumph steckt die Kostümbildnerin Katharina Tasch in Kostüme zwischen antikisierend, modern und gänzlich verulkt, wozu noch etliche bizarre Masken kommen. Nerone und Poppea treten zu Anfang im Partner-Look auf. Von allem etwas in der Inszenierung. Zu einem geschlossenen Ganzen vermögen sich die überwiegend originellen Einzelbilder indes nicht zu vereinigen. Die Botschaft lautet: jeder treibe es, wie er will; aber im Vorteil sind (vorübergehend) die, die einen Plan haben.

Gaëlle Arquez (Nerone), Naomi O’Connell (Poppea)

Eine Konstante der Inszenierung ist der ewig lamentierende Verlierer und Poppea-Ehemann Ottone. Er verzweifelt am Treiben seiner Frau Poppea mit Nerone, lässt sich von dessen Frau Ottavia zu einem Mordanschlag auf die Edelhure verleiten, für das er die Kleider seiner Anbeterin Drusilla überzieht. Dank des Eingreifens des spielbestimmenden Amore missglückt der Anschlag; alles kommt heraus. Nero verbannt seine Gattin und Ottone, dem Drusilla ins Exil folgt. Ottavia sieht man auf schwankendem Boot im Hintergrund abreisen. Da der Moralapostel Seneca schon verstummt ist, ist der Weg für Poppea und Nerone frei. Er krönt sie zu seiner Frau. Ihr fast bühnenbedeckendes Schleppenkleid gibt beim Weggehen den Blick auf einige abgeschlagene Köpfe frei (sie geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen). Zum betörenden Schlussduett Poppeas und Nerones lässt die Regie auf dem rückwärtigen Schirm projizieren, wie Rom später brennen würde, als ob Poppeas Krönung dafür kausal wäre. Wenn man nun historusch auf das Ende sieht: die Hochzeit/Krönung der Poppea fand im Jahre 62 statt; der Brand von Rom ist für das Jahr 64 verbürgt. Die schwangere Poppea starb im Jahr 65 angeblich an einem Fußtritt Neros in den Unterleib. Er überlebte sie nur drei Jahre; er wurde zum Volksfeind erstach sich angesichts seiner drohenden Absetzung 31-jährig im Jahre 68. Dieses Ende hat Amore wohl nicht vorhergesehen, der wie ein Spitzenpolitiker das Volk direkt beglücken wollte.

Alfred Reiter (Seneca)

L‘incoronazione di Poppea war die letzte Oper des fast schon 75-jährigen Komponisten, die in zwei nicht originalen Fassungen überliefert ist. In Frankfurt wird die venezianische Fassung gespielt, Rezitative und Duette sind hingegen aus der neapolitanischen Fassung genommen. In den meisten Monteverdi-Partituren sind nur die Gesangslinien und der Generalbass notiert, dazu die sinfonia und einige Ritornelle mit „vollem“ Ensemble, das hier aus achtzehn spezialisierten Gästen und Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters mit Originalinstrumenten bestand (Die andere „Hälfte“ spielte im Opernhaus zur gleichen Zeit Bellini). Die Partitur war von Andreas Küppers arrangiert worden. Er saß selbst am Cembalo und bediente auch Orgel und Perkussion. Er hatte bei fast allen Gesangsstücken auf die zusätzliche Notierung der Mittelstimmen verzichtet, so dass die Violinisten und Bläser wenig zu tun hatten und die Sänger durch jeweils charakteristische Kombinationen der Zupf- und Tasteninstrumente und die tiefen Continuo-Streicher begleitet wurden. Das führte bei vielen Gesangspassagen zu einem recht trockenen Klang. Am Pult lieferte an diesem Abend ein weiterer Nachwuchskünstler sein erstes Dirigat ab. Solorepetitor Simone Di Felice hatte die musikalische Leitung des Abends inne, spielte selbst Passagen auf dem zweiten Cembalo und sorgte für die gerade im frühen Barock so wichtige Präzision und Genauigkeit auch im Zusammenspiel zwischen „Graben“ und Bühne. Mehr als rhythmische und harmonische Stütze für die Gesangssolisten enthält die Partitur nicht; erst die späteren reichlicher instrumentierten und voll notierten Partituren des Barock überlassen den Instrumentalisten auch Farben und Affekte. Einige Musiker spielten abwechselnd mehrere Instrumente, wobei die Kombination von Zink, Blockflöte und Gitarre die ungewöhnlichste war.

in blauem Umhang Gaëlle Arquez (Nerone), in blauem Rock Anna Ryberg (Drusilla)
und in schwarzem Samtmantel Francisco Brito (Lucano); Ensemble

Der Besetzungszettel zeigt 25 Rollen auf, die auf 15 Solisten verteilt sind. Von denen sind nur sieben wirkliche Nebenrollen und diese auf drei Solisten verteilt. Bei diesem Auftritt versteht man, warum das Opernhaus Frankfurt am gleichen Abend im Haupthaus nur noch La Sonnambula spielen konnte, für die man nur sieben Solisten braucht… Die Leistungen der Gesangssolisten setzten dem Abend musikalisch die Krone auf. Allen voran, ohne die Mitglieder des Frankfurter Ensembles herabwürdigen zu wollen, zwei Gastsängerinnen. Die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez ist dem Frankfurter Publikum noch von ihrer fulminanten Medea aus Händels Teseo in Erinnerung. Sie brachte an diesem Abend als Nerone das recitar cantando mit überragender und leicht geschärfter Diktion auf den Punkt und begeisterte mit ihrem sehr hellen, klaren und beweglichen Mezzo in strahlenden Höhen und kräftigen Tiefen. Dazu verkörperte sie den menschenverachtenden Egomanen darstellerisch in idealer Wendigkeit. Das „hohe Paar“ komplettierte als Poppea Naomi O’Connell ein zweiter Mezzosopran mit raffiniert weich ansprechender Stimme, warmem Timbre und verführerischer Geschmeidigkeit. Schauspielerisch machte sie in gefälligen Szenen, die nicht die Grenzen des guten Geschmacks rührten klar, dass es ihre Begabung in horizontaler Tätigkeit ist, die sie für Nerone unwiderstehlich machen.

Naomi O’Connell (Poppea) und William Towers (Ottone)

Claudia Mahnke als Ottavia war die dritte im Bunde starker Mezzosopranistinnen; im Bunde mit den beiden anderen stand sie aber dramaturgisch gar nicht. Vereinsamt auf ihrem langen Sofa ließ sie in ihren Lamenti ihre üppige Stimme leuchten und glühen. William Towers brauchte als Poppeas Mann Ottone für seine Rolle Nuancierungvermögen nicht groß zu bemühen. Gewollt oder ungewollt blieb er eindimensional in seinem Gejammer als geborener Verlierer der Geschichte. Von Drusilla (Anna Ryberg mit etwas ausladendem, nuancierendem Sopran) will er sich nicht trösten lassen. Sehr gut gefiel Alfred Reiter in der Rolle des Seneca als sonorer basso profondo, den er schön strömend und dabei bestens konturierend salbadern ließ. Hans-Jürgen Lazars Amme Arnalta war buffonesk gestaltet; stimmlich brachte Lazar seinen, schlanken Tenor ein. Als der sich im letzten Akt plötzlich hörbar belegte, räusperte es das so nonchalant und professionell weg, als ob es so notiert wäre. Eine prächtige Leistung brachte Elizabeth Reiter, die sich mehrfach zwischen Amore (als plumpe Witzfigur auswattiert) und dem Diener Valletto umziehen musste, den sie mit ihrem quicklebendigen hellen glockenklaren Sopran gestaltete und mit ihrer Wendigkeit spritzig verkörperte. Ein häufiger, verlässlicher Gast in Frankfurt ist der Counter Martin Wölfel, dem die ulkig-steife Rolle der Nutrice anvertraut war, hier im Rollendebut. Mit Francisco Brito kehrte ein früheres Mitglied des Frankfurter Opernstudios zurück und übernahm neben der Rolle des Lucano noch die von Liberto und Littore und gefiel als Tenorbuffo mit bronzener Stimme. — Mit ihrem hinreißend vorgetragenen traumschönen „Pur ti miro, pur ti godo“ hinterließen Gaëlle Arquez und Naomi O’Connell den letzten musikalischen Eindruck des Abends, und der ist bekanntlich der nachhaltigste. Das klang wie echte Liebe.

Naomi O’Connell (Poppea) und Gaëlle Arquez (Nerone)

Die Aufführungen von Barockopern im Bockenheimer Depot brauchen derzeit nichts weniger als Berichte und Kritiken zur Bekanntmachung und Information. Die vorauseilende Zuwendung des Publikums führte auch in diesem Fall dazu, dass schon Wochen vor dem Premierentag alle acht Aufführungen ausverkauft waren. Hier und da kommt aber ein Platz zurück; schauen Sie bei Interesse mal nach. Außerdem räumt das Theater am Abend immer noch ein oder zwei Dutzend Stühle dazu, damit niemand nach Hause gehen muss. Denn wenn man sich an einer nicht besonders stringenten, teilweise auch beliebigen Regie nicht stört, kann man im Bockenheimer Depot alte Oper vom Feinsten genießen. Das Premierenpublikum war dafür der beste Beweis: sogar in Frankfurt selten, wie konzentriert es war. Es geht ihm um die Musik und nicht ums Gesehenwerden an einem Platz, der „in“ geworden ist.

Manfred Langer, 22.10.2014 Fotos: Monika Rittershaus