Bregenz: „Carmen“

Zum Zweiten

Vorstellung am 9.8.2018

„Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? Zum zwanzigsten Male Bizets Meisterstück. (…) Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie ‚schwitzt‘ nicht. (….) – Ohne Grimasse! Ohne Falschmünzerei! Ohne die Lüge des großen Stils! (…) Sie ist so unaffektiert und aufrichtig, dass ich sie praktisch ganz auswendig gelernt habe, von Anfang an.“

Was damals schon Friedrich Nietzsche begeisterte hat auch heute nichts von seiner Faszination verloren. Bei der Uraufführung 1875 zunächst von den Kritikern verschmäht, wurde das Werk nach Bizets Tod zu einem Klassiker.

Es wird langsam Abend am Bodensee, die letzten Schiffe mit Zuschauern legen am Steg neben der Bühne an. Der See glitzert im Licht der Scheinwerfer, und trotz leichten Regens herrscht eine gespannte Atmosphäre. Das ist es wohl, was neben der erstklassigen musikalischen und inszenatorischen Leistung die Großartigkeit der Bregenzer Festspiele ausmacht.

Plötzlich dringt Nebel aus dem unteren Teil der Kartenbühne. Wie aus einer anderen Welt erscheint sie mit den anderen Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik in Sevilla: Gaëlle Arquez (Carmen), die freiheitsliebende Königin der Herzen. Es ist nicht der erste Auftritt der Figur in dieser Inszenierung. Bereits zu Beginn des ersten Aktes sieht man Carmen als Kind (Lea Gratzer), die abseits von den anderen Kindern die Karten legt und somit das Schicksal zum ersten Mal herausfordert. Frustriert wirft sie die Karten in die Luft, eine Anspielung auf das imposante Bühnenbild von Es Devlin mit den vielen Spielkarten zwischen zwei Frauenhänden.

Dieses wird als Teil der Inszenierung von Kasper Holten bestens genutzt, um den Konflikt Carmens zwischen Freiheit und Hingabe an das Schicksal näher zu betrachten. Was dabei so fasziniert ist, dass sowohl auf als auch außerhalb der Bühne viel passiert. So schwimmt Carmen dem armen Daniel Johansson (Don José) nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis einfach davon, die Zigeuner in Lillas Pastias Schenke tanzen mit wehenden Röcken im Wasser und Cristina Pasaroiu (Micaëla) singt ihre Arie „Je dis, que rien ne m’épouvante“ während sie auf einer der großen Hände sitzt und sich abschließend in die von Feuern erleuchtete Höhle der Schmuggler herabseilt.

Besonders in Erinnerung bleiben wird auch die Schlüsselszene, in der Léonie Renaud und Marion Lebèque (Mércèdes und Frasquita) zusammen mit Carmen die Karten legen um das Schicksal zu befragen. Während bei den beiden glücklichen die Karten für Liebe und Reichtum groß auf die Bühne projiziert werden, ist es bei Carmen immer nur „la mort“, der Tod.

Das Motiv der Spielkarten bietet noch mehr Anlässe für weitere Interpretationen. So ist zu Beginn die Karte der Herzdame im oberen Teil der Bühne zu sehen, im Verlauf des Spiels rückt sie immer weiter nach unten. Vielleicht ein Motiv für Carmens abnehmende Lebenszeit, denn im Finale wird sie von Don José im See ertränkt.

Musikalisch hat die Aufführung in Bregenz die Erwartungen vollkommen erfüllt. Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Jordan de Souza spielen das Werk präzise, mit großer Spielfreude und dem angemessenen Schwung.

Als Chöre waren ebenso mit viel Klangstärke und Präzision der Prager Philharmonische Chor sowie der Bregenzer Festspielchor zu hören, zudem noch der Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt.

Cristina Pasaroiu glänzte durch ihren klaren und präzisen Sopran sowie durch ihre sehr eindringliche und einfühlsame Darstellung der Micaëla. Besonders der Ausdruck während der Arie „Je dis, que rien ne m’épouvante“ ist in Erinnerung geblieben.

Daniel Johansson sang den Don José souverän, sehr emotional war die Darstellung des Finales und der inneren Zerrissenheit seiner Rolle. Rafael Fingerlos präsentierte sich gut als Sergeant Moralès.

Andrew Foster-Williams als Stierkämpfer Escamillo schaffte es, die feurige Carmen zu verführen als er mit dem Boot in der Schmugglerhöhle auftaucht um ihr seine Liebe zu gestehen. Als weitere Darsteller konnten Yasushi Hirano (Zuniga), Dariusz Perczak (Le Dancaïre) und István Horváth (Le Remendado) in ihren Rollen überzeugen.

Gaëlle Arquez als Carmen ist bei der Aufführung sowohl mit ihrer stimmlichen als auch mit ihrer schauspielerischen Leistung aufgefallen, ihr gelang es den Stolz und die Verführungskünste ihrer Rolle eindrucksvoll zu präsentieren. Ihre Soli beim Habanera sowie beim Zigeunerlied bekamen jeweils Zwischenapplaus vom Publikum.

Zu Recht wurde daher diese sensationelle Leistung des Ensembles mit einem großen Schlussapplaus und Bravorufen gefeiert. Die Befürchtung, dass sich die Menge von fast 7000 Zuschauern negativ auf die Atmosphäre auswirken könnte hat sich nicht bestätigt, es war den Darstellern anzumerken wie sehr sie das Spiel auf dem See genossen haben.

Katrin Düsterhus 12.8.2018

Übernahme eines Beitrags unserer Freunde vom OPERNMAGAZIN

Bilder siehe unten Premierenbesprechung!