Halle: „Adriana Lecouvreur“

besuchte Vorstellung: 28.02.2016

Opulente Kostümschlacht

Lieber Opernfreund-Freund,

alle paar Jahre nimmt sich ein deutsches Opernhaus Francesco Cileas Musikdrama „Adriana Lecouvreur“ an und zeigt das durchaus sehens- und hörenswerte Werk, das um die Liebschaft zwischen Motiz von Sachsen und der französischen Schauspielerin Adrienne Lecouvreur ein Ränkespiel aus Eifersucht und Machtgier nach einer Vorlage von Eugène Scribe spinnt. Die Oper gipfelt im wahrlich bühnenreifen Tod der Actrice durch vergiftete Veilchen, die die Rivalin ihr hat schicken lassen, und ist seit rund 110 Jahren – 1902 wurde sie mit Enrico Caruso als Maurizio in Mailand uraufgeführt – beliebtes Steckenpferd von herausragenden Singschauspielerinnen, da die Titelrolle keine besonders hohen Ansprüche an die Tessitura, jedoch enormes darstellerisches Talent erfordert. In die Reihe von Claudia Muzio, Renata Tebaldi, Montserrat Caballé, Joan Sutherland und jüngst Angela Gheorghiu versucht sich in der laufenden Spielzeit am Opernhaus Halle Romelia Lichtenstein einzureihen, die seit mehr als 20 Jahren am Haus engagiert ist und als Hausdiva gefeiert wird.

Dass dies nur bedingt gelingt, mag auch am unsensiblen und fast groben Dirigat von Hartmut Keil liegen, der die Aufführung an Stelle von GMD Josep Caballé-Domenech, der das Werk einstudiert hat, leitet. Der junge Dirigent erfeut sich offenbar dermaßen an den klanggewaltigen Passagen, die das Werk zweifelsohne hat, dass er im Wesentlichen lediglich zwischen verschiedenen forte-Stufen differenziert, die Sänger da und dort übertönt, die Staatskapelle Halle über Gebühr anfeuert und so eine recht undifferenzierte, sängerfeindliche Version der an sich facettenreichen Partitur präsentiert. Dabei hat sich Regisseur Ulrich Peters für eine traditionelle Lesart des Werkes entschieden, zeigt das Theater im Theater mit Witz und imposantem Bühnenbild von Christian Floeren. Der durfte sich überdies in der Schneiderei eine wahre Materialschlacht liefern und präsentiert Sängerinnen und Sänger in prachtvollen, mit Federn, Pailletten und Goldlamé wunderbar ausstaffierten Roben, schmucken Uniformen und opulentem Kopfschmuck. Da macht das Zusehen richtig Spaß, die Szenerie drängt aber dennoch nicht in den Fordergrund und bietet so den passenden Rahmen, die Protagonisten singen und spielen zu lassen.

Romelia Lichtenstein ist mit Sicherheit eine große Künstlerin, eine wunderbare Sängerin und überzeugende Darstellerin obendrein. Gestern allerdings hatte ihre Mittellage einen gewissen Hang zum Tremolo, klang wenig klar, die Höhe war nicht ohne Schärfe. So konnte sie in der Titelrolle am Ende leider nur im letzten Akt überzeugen, in dem ihr hinreißende Pianissimo-Bögen gelangen und sie in einer herzergreifenden Sterbeszene auch stimmlich anrühren konnte. Darstellerisch aber bewältigte sie die Ansprüche, die die Partie stellt, mit Bravour. Bruno Ribeiros Maurizio hingegen ist – von ein paar seltsamerweise in Kopfstimme genommenen Tönen im letzten Akt – stimmlich nahezu perfekt.

Der portugiesische Tenor verfügt über eine tolle Stimme voller Farben, Kraft und Gefühl, scheint aber von der Regie nicht mit besonders viel Aufmerksamkeit bedacht worden zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass man ihn seine überzeugende vokale Leistung lediglich durch zwei, drei allzu opernhafte Gesten untermalen lässt. Kwang-Keun Lee als unglücklich verliebter Theaterchef Michonnet begeistert mit gefühlvollem, weichen Bariton, vermittelt in seinen beiden ans Herz gehenden Arien viel Wärme und weiß zudem auch komödiantisch zu überzeugen. Die Fürstin von Bouillion findet in Svitlana Slyvia eine würdige Interpretin, die mit durchschlagendem Mezzo mit umgarneneder Mittellage glänzt. Auch darstellerisch beeindruckt sie als intrigante Gegenspielerin Adrianas. Ihr Mann, der Fürst, und der Abbé von Chazeuil sind in Halle ein hinreißendes Gespann. Der imposante Bass von Ki-Hyun Park ist wie gemacht für den gönnerhaften, mit Geld um sich werfenden Fürsten, Ralph Ertels heller Tenor klingt hier verschmitzt und fast linkisch und passt toll zur Figur des Abtes. Die Ensemblemitglieder des Theaters zeigen eine solide Leistung sowie große Spielfreude und meistern das Manko, dass die Abendspielleiterin Ann-Kathrin Franke die Rolle der Jouvenot spielt, während Lini Gong die frisch einstudierte Partie für die erkrankte Linda van Coppenhagen von der Seite hinreißend singt, mit Bravour. Lediglich der Mezzo von Dangeville Olivia Saragosa klingt in der Gruppe recht schwach, während Robert Sellier als Poisson und

Ulrich Burdack als Quinault durchaus überzeugen.

In Halle wird dankenswerterweise das Ballett im dritten Akt gezeigt. Olga Shalaevskayas und Andriy Holubovskyys klassisch getanztes „Urteil des Paris“ ist schön anzusehen. Der Tänzer verkörpert überdies den von der ersten Szene an allgegenwärtigen Tod – ein schöner Regieeinfall – und vermag durchaus Schauer zu erzeugen. Da die Ballettszene um die Pastorale gekürzt wurde, hat der von Jens Petereit einstudierte Chor recht wenig zu tun, erscheint nicht einmal mehr zum Schlussapplaus, den das Publikum im fast ausverkauften Haus mehr als freundlich und lang anhaltend spendet. Blumen gibt es für die Damen, Bravo-Rufe darüber hinaus vor allem für Bruno Ribeiro und – vielleicht an diesem Nachmittag nicht ganz zu Recht – für die Hausdiva.

Ihr

Jochen Rüth / 29.02.2016

Die Bilder stammen von Anna Kolata