Halle: „Siegfried“

Schön und kraftvoll

Zugegeben: als ich las, dass Andreas Schager in der „Ring“-Produktion der Theater Ludwigshafen und Halle den Siegfried singen würde, erschrak er ein bisschen. Er kannte den jungen Sänger zunächst als lyrischen Operettentenor; im Theater Hof hatte man ihn 2004 als Adam im „Vogelhändler“ gehört, vor kaum drei Jahren sang er – noch als Andreas Schagerl mit dem charakteristischen, österreichischen End-“L“ ausgestattet – in einer Produk- tion der Coburger Sommeroperette den Grafen in der „Nacht in Venedig“ – und nun, nach Tamino, Florestan und David (bei Gustav Kuhn in Erl) erlebte ein völlig enthusiasmiertes Hallenser Publikum sein sensationelles Rollen- debüt in einer der schwersten Partien der Operngeschichte. Wie Schager das macht, ist erstaunlich. Wann erlebt man schon einen jungen Siegfried, der noch den letzten Ton schön und kraftvoll zu singen weiß?

Nein, dieser Siegfried mag, wie Regisseur Hansgünther Heyme immer wieder betont, kein „Held“ sein – stimmt ist er es durchaus. So läuft er durch die Inszenierung, die der Wanderer in der Hand zu haben scheint, weil er immer noch, als Regisseur des Weltgeschehens, die Strippen zieht: als reiner, unterm Mantel weiß gekleideter Tor. Sympathisch, dass er nicht, wie man’s normalerweise erleben darf, seinem Ziehvater die Bratpfanne über den Schädel schlägt. Anrührend, wie er sich im Augenblick der ersten Furchterfahrung in die Arme der Mutter begibt, die als maskiertes Wesen, auch als vogelköpfiges „Mutterwesen“ im Wald auftaucht, um ihren Sohn von „drüben“ zu begleiten – auch hierin liegt die Hoffnung der Liebe. Für diese intellektuell grundierte wie sinnlich vermittelte „Ring“-Deutung hat Heyme zusammen mit vielen Jugendlichen den „Vorhang der Hoffnung“ – und die „Wand der Verzweiflung“ erfunden. „Hoffnung hat den Morgen für sich, der noch wieder kommt“, so heißt es beim gebürtigen Ludwigshafener Philo- sophen der Hoffnung, bei Ernst Bloch, dessen Text wir auf dem bunten Vorhang lesen können.

Hoffnung ist, im Prinzip, auch bei Heyme nicht: wo der Wanderer den Waldvogel (ansprechend: Ines Lex) als Riesenpuppe über Siegfried fliegen lässt, ahnen wir, dass es mit Siegfrieds Freiheit nicht weit her ist. Man darf immerhin darüber streiten, ob der Waldvogel selbst ein freies Wesen oder ein Repräsentant Wotans ist; vieles an dieser seit 1976 modischen Idee spricht dagegen – das szenisch-poetische Niveau dieser Produktion wird davon nicht beschädigt. – und Gérald Kim singt den Wanderer, in diesem deutlichen „Ring“, genauso unverschwiemelt wie Ralph Ertel seinen Mime und Gerd Vogel seinen Alberich.

Zwei hübsche „Boten des Todes“ – „schwarze Erotik“: so nennt man das wohl – die die Überreste der Ring-Opfer in die bekannten Asservatenkästen legen, Grane als Pferd- und Flügelwesen (und als alter ego Wotans), nicht zuletzt der naturalistische Bär: diese teils hinzu erfundenen Figuren tragen zum symbolischen wie märchenhaften Charakter der Produktion bei, die mit Lisa Livingston eine gute, leider stark tremolierende Brünnhilde und mit Deborah Humble und Christoph Stegemann zwei weitere beeindruckende Protagonisten besitzt. Fafner und Erda sehen nicht nur interessant aus (der Riese mit eingezogener Schulterstütze), Erda mit einem riesigen Tuch, viele (verzweifelte?) Hände zeigend. Nebenbei: der Abschied Wotans von der schönen Erda geschah selten so zärtlich, und der Drachenkampf mit seiner bildstarken Symbolik eines großen, sich in eine symbolische Vulva verwan- delnden Auges, in dessen Mitte der böse Teufel sitzt, wurde mit Hilfe von einfachen, sinnfälligen Hängern souverän gelöst.

Ein Hänger mit einer naturalistisch melancholischen Waldlandschaft zitierte immerhin sinnfällig die Idee eines gesunden Waldes. In Mimes Höhle sitzt der Zwerg, gekleidet wie ein Gefangener, in seinem persönlichen Gefängnis, wenn auch gelegentlich auf einem archaischen Hochsitz, den ein einäugiger Totenschädel ziert – was für eine Idee in Hinblick auf Wotan, der als Wan- derer nach wie vor ruhelos "schafft"´! Nur auf den Einkaufswagen könnte der Zuschauer verzichten; Heyme, der wieder sein eigener Ausstatter ist, hat ein derartig abgenütztes, wenn auch zweifellos praktisches Requisit nun wirklich nicht nötig.

Riesiger Beifall, auch für die Staatskapelle Halle unter Karl-Heinz Steffens, die dies komplexe wie kräftezehrende Partitur mit klarem Klang, sänger- freundlich und farbenreich brachte. Klug etwa, wie Steffens den Eintritt und die Wiederholung des lyrischen Sehnsuchtsthemas in der ersten Szene anlegte: mit eingebauter, durchaus nicht selbstverständlicher Steigerung. So gesehen, gibt es auch unterhalb der Bühne Helden – und Heldinnen wie die glänzende Solo-Hornistin, die so gut zum wunderbar frischen Siegfried Andreas Schager passt.

Frank Piontek

Die Fotos stammen von Gert Kiermeyer

Die Besprechungen aller Opern de Gemeinschaftsproduktion des Rings Halle/Ludwigshafen befinden sich auf unserer Seite Ludwigshafen