Berlin: „Götterdämmerung“

Premiere am 17.10.2021

Orchestraler und vokaler Glanz gegen szenischen Mischmasch

Wie fühlt sich der Besucher von Wagners Götterdämmerung in der Regie von Stefan Herheim, wenn er nach 6 1/2 Stunden das Haus an der Bismarckstraße verlässt? Die Verheißung im Programmheft der Deutschen Oper hatte davon gesprochen, dass wir „durch kollektive Kunsterfahrung zu Göttern werden“, eine Erfahrung, die nicht jedem der Besucher zuteil geworden sein mag, eher die der Erschöpfung . Die Wagner-Götter glänzen ja bekanntlich in der Götterdämmerung durch Abwesenheit, in der alten Götz-Friedrich-Inszenierung sah man sie im brennenden Walhalla verglühen, nun sind sie überaus und in großer Zahl einschließlich aller Walküren präsent, teilen mit den Flüchtlingen aus Rheingold und Walküre die Liebe zu Schiesser-Feinripp (Kostüme Uta Heiseke) , und noch immer oder wieder füllen Berge von Hunderten von Fluchtkoffern die Bühne, obwohl die Flüchtlinge, wenn nicht gerade zu Göttern, dann doch zu Besuchern der Deutschen Oper mutiert sind, die im auf die Bühne versetzten Parkettfoyer samt seinem Mobile, dieses allerdings außer Funktion, mit Sektgläsern in der Hand flanieren.

Und dank der Regie haben sich auch die Chordamen, allerdings stumm bleibend, die Götterdämmerung erobert. Das Gebäude scheint eine große Anziehungskraft und Nachahmungssucht auf Regisseure und ihre Bühnenbildner auszuüben, denn im „Rigoletto“ sah sich der Besucher des 1. Rangs seinem Spiegelbild auf der Bühne gegenüber, und in „Aida“ wurde gar der gesamte Zuschauerraum bespielt, und der arglose Besucher staunte, wenn sein Nachbar plötzlich zu singen anfing.

Nicht nur was die Anwesenheit von Damen abgesehen von den von Wagner konzipierten betrifft, ist Herheim schöpferisch tätig geworden, auch in der Behauptung, Hagen würde zu seinen Untaten nicht von Alberich, sondern von Wotan, der auch mal am viel, so als Scheiterhaufen, beanspruchten Flügel sitzen und wie die anderen in die Tasten hauen darf. Ähnlich vielseitig ist der Einsatz von riesigen weißen Tüchern, natürlich als Brautschleier, Leichentuch, Betttuch, Zudecke, Fanggerät und des Rheines Fluten. Sehr oft hat man den Eindruck, die Inszenierung erstarre in der Ausstellung des Dekorativen (Mitbühnenbildnerin Silke Bauer) , statt dass Interaktion zwischen den Figuren stattfindet.

Und wenn Alberich, Siegfried und Gunther mit Clownsmasken auftreten ( Gunther auch bei der Überwältigung Brünnhildes dabei ist und die Nacht mit ihr verbringt, dann fragt man sich, wie der Verdacht aufkommen kann, Siegfried habe nicht Nothung zwischen sich und die Braut des Blutsbruders gelegt), dann reiht sich eine Ungereimtheit an die andere. Es gibt viele Gründe, warum man nach wie vor dem Friedrich-Ring nachtrauern muss und einer davon ist die Gestaltung der Szene mit dem Vergessenstrunk. Während im alten Ring eine wundersame Verwandlung Siegfrieds ins Wesenlose stattfand, stürzt er sich nun auf Gutrune, um ihr sofort an die Wäsche zu gehen. Viele alte Regiehüte werden noch einmal ausgekramt, so die Lichtkegel ins Publikum, das Abgehen des Chors, der, was die Damen betrifft, keiner ist, durch die Saaltüren, die Benutzung der Rampen seitlich über dem Orchestergraben für Aktionen, das Platzieren eines Solisten unter den Zuschauern, alles schon gehabt und nie für gut befunden. Und wenn Hagen Siegfried nicht nur ersticht, sondern ihm auch noch den Kopf abschlägt, dann setzt es doch sehr in Erstaunen, dass der abgeschlagene Kopf eine andere Frisur hat als der kurz zuvor noch auf dem Rumpf befindliche, ganz abgesehen von Assoziationen mit Salome, wenn die Damen sich des Hauptes annehmen.

Den Anspruch, den der Text im Programmheft erhebt, löst die Aufführung nicht ein, die am besten gelingt, wenn all der erwähnte Schnickschnack entfällt wie in der Szene mit Waltraute oder der mit den Rheintöchtern.

Keine bessere Brünnhilde als die von Nina Stemme kann sich ein Haus wünschen, und auch an diesem Abend erfüllte sie alle hochgespannten Erwartungen mit einem dunkel strahlenden, unermüdlichen Sopran der unangefochtenen Höhensicherheit und mit einer der Wotanstochter würdigen Darstellung trotz des schlichten Flatterhemdchens, das ihr für den gesamten Abend verordnet worden war. Fast zu einer Karikatur hatten Regie und Kostümierung den Siegfried von Clay Hilley gemacht, von Kopf bis Fuß oder Flügelhelm bis Wadenbändern das Klischee eines germanischen Helden erfüllend, dann aber auch im Frack und, angesichts der Körperfülle des Sängers grenzwertig, ebenfalls in Schiesser-, ja Feinripp. Voll entschädigen für die verstörende Optik konnte der Sänger mit einem nimmermüden, nie matt werdendem Heldentenor, der sich unterschiedslos großzügig nie verausgabte, so aber auch zu keiner Steigerung mehr für Brünnhilde, die heilige Braut fähig war, sondern sein bemerkenswertes Stimmmaterial unterschiedslos verschwendete. Im Gegensatz dazu ließ der Hagen von Gidon Saks, als indisponiert angesagt, nur einen Schatten von Bassgewalt vernehmen, brüchig und unausgeglichen und auch optisch nicht die Erfüllung. Mit einem sonoren Bariton und mit der besten Diktion des Abends erfreuend, war Thomas Lehman ein vorzüglicher Gunther, Aile Asszonyi gab das Dummchen von Gutrune mit schönem lyrischem Sopran.

Jürgen Linns Bariton war fast zu klangvoll für den bösen Alberich, für den eigentlich Markus Brück vorgesehen war. Okka von der Damerau glänzte durch eine eindringliche, klangvolle Bittstellerin Waltraute und konnte bereits in der ersten Pause den jubelnden Beifall des Publikums entgegennehmen. Schöne junge Stimmen aus dem Ensemble konnte die Deutsche Oper für Rheintöchter ( Meechot Marrero, Karis Tucker, Anna Lapkovskaja) und Nornen ( Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Aile Asszonyi) aufbieten. Der Herrenchor ließ sich durch die Anwesenheit der Damen nicht irritieren, sondern ließ die Mannen so machtvoll wie kultiviert schmettern (Jeremy Bines) . Im schimmernden, glanzvollen Orchesterklang, der den Hörer in den ersten Momenten, da nach langer Zeit mit coronabedingter Zimmerlautstärke entwöhnt, fast erschlug, konnte man genussvoll baden, ohne zu überhören, wie fein und nuancenreich im Orchestergraben ausgelotet wurde, was auf der Bühne oft in allgemeiner Betriebsamkeit unterging. Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles hat aus seinem Klangkörper ein wunderbares Wagnerorchester gemacht.

Der noch fehlende Siegfried wird im Rahmen mehrerer Ringzyklen im November und Dezember nachgeholt.

Fotos Bernd Uhlig

18.10.2021 Ingrid Wanja