Vorstellung am 25.12. 2016
„Modern“ und überzeugend
In einer packenden Inszenierung von Vera Nemirova wird derzeit ‚Meistersinger‘ in einer Coproduktion der Städte Erfurt und Weimar gegeben. Die Handlung wird in die Nachkriegszeit verlegt, ansonsten interpretiert Nemirova das Stück ganz aus sich selbst heraus, wenn sie dabei auch zu eigenwilligen Schlüssen kommt. Zum Vorspiel schaut sich ein Publikum in einem einfachen längsgeschnittenen braunverkleideten Saal (Bühne: Tom Musch) Dokumentarfilme aus der Nazizeit und aus dem 2.Weltkrieg an, was auch zu heftigen Bewegungen innerhalb der Stuhlreihen führt. Nach Absingen des Chorals konfrontiert David Stolzing mit den ausgepichten Regeln des Meistergesangs.
Während der Ansprache Pogners fühlen sich die Meistersinger plötzlich wie im Fitnessstudio und jeder trainiert auf seine Weise in Sportklamotten. So fließen immer wieder moderne Aspekte in die Regie ein. Neben ihrer schwarzen (Regisseurs-) Einheitskluft haben die Meistersinger also auch schreiend türkisgrüne Trainingsanzüge im Schrank (Kostüm: Marie-Therese Jossen), in denen sie sich total verausgaben. Nur so können sie offensichtlich als gesellschaftliche Elite bestehen. Tom Musch führt seine Szenen fort, indem er eine Nachkriegsarchitektur als planlose Verbauung vorführt. Es handelt sich um vier rechteckige, echt trashige Häuser, darunter das Sachs-Haus mit Schriftzug und Neon-Damenschuh, rechts davon etwas größer das Pognerhaus mit einer Art Veranda als Balkon, die in der Innenszene auch als ‚Separé‘ für den Merker dient. Beim Vorspiel zum 3.Akt sind darin Orchesterpulte aufgestellt, und der Merker dirigiert das Vorspiel mit.
Er selber hat aber nur einen völlig verzogenen, kaputt ‚verpeilten‘ Notenständer. In diesen Ambienten wird in sinnfälliger Personenregie agiert. Bei der Prügelszene hampeln die die Akteure mit Stöcken und Baseballschlägern bewehrt herum. Beckmesser sang sein Ständchen davor mit Elektronikanlage verstärkt und Einspielung seines Leier-Liedes darauf. Bei der Schlußszene treten die Zünfte und das Volk vom Zuschauerraum her auf, Mädel von Fürth in Trachten, das Volk trashig aber liebevoll eingekleidet. Nach seinem Lied dreht Beckmesser völlig durch und wird bei entblößtem Oberkörper aus der Menge herauseskortiert. Nach Stolzings Preislied im Smoking tritt dieser nach Verweigerung der Meisterwürde mit Eva durch den Zuschauerraum ab. Sachs in schwarzem Anzug mit Fliege verliert nach der Schlußansprache völlig die Contenance, rauft sich die Haare, wälzt sich bei der Akklamation durchs Volk quasi auf der Bühne. Anscheinend kommt er doch nicht über seine große Liebe zu Eva hinweg, die sich immer wieder auch als reizendes kleines Kind (Nina Bloch) zeigte.
Durch den Einbezug in die Szene wirkt das Vorspiel vielleicht nicht so dramatisch aufgeladen, als quasi Vorwegnahme des gesamten Werks. Die Staatskapelle Weimar versteht es, unter Kirill Karabits wunderbar zu begleiten. Karabits verliert nie den Kontakt zur Bühne, lässt aber das Orchester auch mal klangstark eingreifen. Eine schöne Insel im Getümmel stellt das Quintett dar, das traumselig die Johannisnacht in den Stimmen transzendiert. Die Chöre des DNT Weimars und des Theaters Erfurt singen sehr klangmächtig, aber auch schlank und durchhörbar. Den Nachtwächter gibt Mate Solyom-Nagy mit einer fast mysteriösen Aura, so als wäre vorher gar nichts gewesen. Die Magdalene wird von Sayaka Shigeshima ganz brillant schönstimmig gegeben wie sie auch vom Aussehen her punkten kann und gar nicht karg wirkt. Ihr David stellt Jörn Eichler mit witzigen Pointen dar und hat einen angenehmen biegsamen Tenor zu Eigen.
Das Meistersinger Ensemble ist mit Richard Carolucci, Jörg Rathman, Alexander Günther, Yong-Jae Moon, Gregor Loebel und Daeyoung Kim auch stimmlich vielfarbig bestens besetzt. Veit Pogner wird von Vazgen Ghazaryan mit einem schmiegsam balsamischen Bariton zelebriert. Den Beckmesser singt mit gut artikuliertem und kräftigem Bariton Andreas Jören von der Seite, Björn Waag ist in der Szene sozusagen der Spielmeister sowie unentbehrlicher Protagonist in dieser Inszenierung. Heiko Börner gibt einen schlagkräftigen Haudegen als Stolzing ab und kann den Preisliedern auch tenorale Glut verleihen. Seine Eva ist mit berückendem kostbaren Sopran Larissa Krokhina, und den Sachs gibt glanzvoll, allen Gemütsschwankungen angepaßt, Frank van Hove, der, eher klein gewachsen, die Szene doch beherrscht, auch in seiner finalen Verzweiflung. Sein Baßbariton trägt schön in den Monologen und generiert ein Fluidum edlen Gesangs.
Bilder (c) Nationaltheater Mannheim / Edelhoff
Friedeon Rosén 5.1.17
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